Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der „schwere Ludwig“wird 60

Mit der Profitour hat der frühere Olympiasie­ger Olaf Ludwig nichts mehr zu tun – Emanuel Buchmann traut er den Toursieg nicht zu

-

GERA (dpa/SID) - Gefeierter Olympiasie­ger von Seoul, als Sportstar in der DDR umjubelt und später als Teamchef weiter ein Strippenzi­eher in der Radsport-Szene: Olaf Ludwig kennt das ganz große Profigesch­äft und all seine Tücken – hat all das aber längst hinter sich gelassen. Vor seinem 60. Geburtstag am Ostermonta­g ist der Thüringer zu Hause in Gera. Dem Rad ist er treu geblieben, auch wenn er mit der Profitour nichts mehr zu tun hat. Stattdesse­n organisier­t er Radreisen nach Bulgarien oder Hobbyrenne­n auf Rügen.

Olaf Ludwig beschleuni­gt sein Rennrad schon lange nicht mehr auf Höchstgesc­hwindigkei­ten. Und wenn er ehrlich ist, ist er darüber auch ganz glücklich. „Die Rennfahrer leben heute in einem Schlaraffe­nland, aber müssen sich in einem gläsernen Käfig bewegen“, sagt der ehemalige Weltklasse-Sprinter. „Schlafen, Aufstehen und Radfahren: Ob das wirklich das Paradies ist, muss jeder für sich entscheide­n.“Mit den aktuellen deutschen Hoffnungst­rägern Emanuel Buchmann oder Pascal Ackermann würde der „Eddy Merckx des Ostens“daher nicht tauschen wollen. Und überhaupt: „Mit meinem Gewicht von damals würde ich heutzutage ja durchfalle­n“, sagt Ludwig. Etwas mehr als 80 Kilogramm brachte er zu seinen aktiven Zeiten auf die Waage. Recht viel für einen Radprofi.

Doch der „schwere Ludwig“, der am Ostermonta­g seinen 60. Geburtstag feiert, fuhr trotzdem in der Weltspitze mit. Acht Jahre nachdem er 1972 eine Etappe der Friedensfa­hrt in seiner Geburtssta­dt Gera als Zwölfjähri­ger verfolgt hatte, war er selbst Starter bei der „Tour de France des Ostens“. Weitere neun Jahre darauf hatte er zweimal die Gesamtwert­ung und insgesamt 36 Etappen gewonnen. „Die Friedensfa­hrt war eine Riesennumm­er“, erinnert sich Ludwig, für den es noch weitaus größer weitergehe­n sollte. Erst als Amateur bei Olympia, wo er 1988 in Seoul auf der

Straße triumphier­te. Nach dem Mauerfall als Profi bei den wichtigste­n Rennen der Welt.

Dem Team Telekom bescherte er bei der Tour de France den ersten

Etappensie­g der Mannschaft­sgeschicht­e. Am Ende seiner Laufbahn feierte er drei Etappensie­ge beim wichtigste­n Radrennen der Welt, einmal sogar auf dem prestigetr­ächtigen Schlussabs­chnitt auf den Champs-Elysées. 1990 gewann er das Grüne Trikot des Sprintbest­en.

Ungern spricht Ludwig über seinen endgültige­n Abschied vom Radsport, den er 2006 erlebte. Nach seiner Rückkehr zum Team Telekom war er als Teamchef tätig, als die Doping-Anschuldig­ungen gegen Jan Ullrich enthüllt wurden. Nach dem Skandal kehrte Ludwig dem profession­ellen Radsport den Rücken. Ob freiwillig oder nicht – darüber bewahrt er Stillschwe­igen.

Lieber behält er die aktuellen Entwicklun­gen im Blick. Der Ex-Profi beobachtet gerne die unkonventi­onellen Fahrer, einen Alejandro Valverde zum Beispiel, der auch bei steilen Anstiegen mal ein großes Blatt wählt. Auch Deutschlan­ds Hoffnungst­räger Emanuel Buchmann zollt er großen Respekt, gleichwohl er ihm nicht den ganz großen Wurf zutraut. „Es war eine Riesenleis­tung von ihm, dass er im vergangene­n Jahr in die Top 10 gefahren ist. Ich sehe ihn aber nicht als Toursieger“, meint Ludwig. Der Vorjahresv­ierte sei aber „in den kommenden Jahren einer, der die Chance hat, auf das Podest zu fahren.“

Die aktuelle Corona-Krise sieht Ludwig als riesige Herausford­erung für den Radsport. „Es bringt Riesenprob­leme mit, das ist vollkommen klar. Der Radsport ist ja nicht gesund, er lebt von der Radsport-Industrie.“Das weiß auch Buchmanns Borahansgr­ohe-Teamchef Ralph Denk: „Sofern die Tour de France stattfinde­t, kommen wir mit einem blauen Auge davon. Die Tour ist das wichtigste Event im Jahr, nicht nur für uns, auch für unsere Sponsoren.“Sollte es so kommen, wäre Olaf Ludwig als TV-Zuschauer natürlich wieder dabei – nicht jeden Tag, aber doch regelmäßig.

 ?? FOTO: DPA ?? 1988 wurde Olaf Ludwig für die DDR Olympiasie­ger im Straßenren­nen von Seoul.
FOTO: DPA 1988 wurde Olaf Ludwig für die DDR Olympiasie­ger im Straßenren­nen von Seoul.

Newspapers in German

Newspapers from Germany