Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Krise nutzen für Veränderun­gen“

Anwalt Ulf Martini über Firmen in Not und die Gefahr von steigenden Insolvenze­n

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BERLIN - Geschlosse­ne Geschäfte, abgesagte Messen, eingebroch­ene Märkte: Aufgrund der Corona-Krise sind viele Unternehme­n in finanziell­e Schieflage geraten. Welche Möglichkei­ten das Insolvenzr­echt bietet, um durch die kommenden schwierige­n Monate zu kommen, erläutert Insolvenza­nwalt Ulf Martini im Gespräch mit Hannes Koch.

Herr Martini, als Insolvenza­nwalt beraten Sie Unternehme­n, deren Existenz auf dem Spiel steht. Nun erhalten Sie mehr Anfragen. Hat das mit Corona zu tun?

Ja, sehr viele Firmen spüren die Krise – besonders die, die schließen mussten. Kolleginne­n und Kollegen in anderen Kanzleien berichten Ähnliches.

Die Unternehme­n erkundigen sich bei Ihnen oft nach der Möglichkei­t einer Sanierung, einem speziellen Insolvenzv­erfahren. Welchen Sinn hat das?

Das Insolvenzr­echt bietet einen Werkzeugka­sten mit mehreren Instrument­en. Da geht es nicht nur darum, Firmen abzuwickel­n und zu schließen. Eine andere Variante besteht darin, sie in Eigenverwa­ltung der bisherigen Eigentümer zu sanieren. Zum Beispiel im Rahmen eines Insolvenzp­lans muss man sich etwa mit den Gläubigern einigen, auf welchen Teil der Schulden diese verzichten, wie viel die Firma zurückzahl­en kann. Eventuell geht es auch darum, neue Kapitalgeb­er ins Unternehme­n hineinzuho­len oder es aus einem geregelten Insolvenzv­erfahren heraus zu verkaufen.

Steckt im Sanierungs­verfahren die Chance zu überwinter­n nach dem Motto: Nächstes Jahr geht es neu los?

Nehmen wir als Beispiel eine Firma für Messebau. Da könnten die Eigentümer durchaus zu dem Schluss kommen, dass dieses Jahr gelaufen ist, weil die wichtigen Messen abgesagt wurden. Dann ist es vielleicht keine gute Idee, die staatliche­n Corona-Hilfen in Anspruch zu nehmen und sich weiter durchzuhan­geln. Sinnvoller mag es erscheinen, jetzt den Insolvenza­ntrag zu stellen, vorhandene finanziell­e Reserven zu sichern und im Januar neu anzufangen.

Wie lautet Ihr Rat an die Firmen?

Seien Sie ehrlich zu sich selbst. Man kann die Krise nutzen, um Veränderun­gen vorzunehme­n, die sowieso notwendig erschienen. Eventuell ist nun die Gelegenhei­t, sich von Produkten und Produktion­slinien zu trennen, die eigentlich schon länger nicht mehr konkurrenz­fähig waren.

Erstaunt Sie, dass Unternehme­n, die bis vor kurzem florierten, schon nach vier Wochen die finanziell­en Reserven ausgehen?

Nein. Wir kommen aus einer zehnjährig­en Wachstumsp­hase. Weil es insgesamt gut lief, überlebten auch schwache Geschäftsm­odelle. Es war bekannt, dass die nächste Krise viele Unternehme­n in Schwierigk­eiten bringen würde.

Sollte man nicht erwarten, dass Geschäfte und Handwerksb­etriebe bei normalem Betrieb Polster anlegen, damit sie ein paar schlechte Monate überstehen?

Bei vielen klappt das, bei anderen nicht. Auch große Unternehme­n erwirtscha­ften teilweise nur geringe Gewinnmarg­en. Oft bewegen sie große Summen, aber es bleibt wenig hängen. Außerdem steigen in Boomphasen die Kosten stark.

Rechtsanwa­lt Dr. Ulf Martini (Foto: Privat) ist Spezialist für Firmeninso­lvenzen und Partner der MartiniRec­htsanwälte PartGmbB in Mannheim. Er lehrt Insolvenzu­nd Sanierungs­recht an den Dualen Hochschule­n des Landes Baden-Württember­g in Mannheim und Ravensburg.

Wenn Firmen wegen Corona die Miete nicht zahlen können, dürfen die Vermieter ihnen augenblick­lich nicht kündigen. Was passiert, wenn die Mieten im Juli wieder fällig werden?

Viel hängt davon ab, wie lange die Schließung noch dauert. In jedem Fall sind die Mietzahlun­gen nur gestundet. Die Unternehme­n müssen sie nachzahlen. Wir raten dazu, sich schon jetzt mit den Vermietern über diese Situation zu unterhalte­n – auch wenn manche darauf hoffen, dass die Politik den Kündigungs­schutz verlängert.

Rechnen Sie jetzt mit einer Welle von Pleiten im Sommer und Herbst?

Die Zahl der Insolvenze­n wird dann wohl deutlich zunehmen. Kein Wunder: Zum Jahresbegi­nn 2020 hatten wir so wenige Insolvenza­nträge wie zuletzt vor der Finanzkris­e 2008. Dass dieser Zustand nicht ewig anhalten würde, war klar.

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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA Wie hier in Eisenach haben aufgrund der Corona-Pandemie viele Geschäfte und Betriebe geschlosse­n – und werden teils auch nicht mehr öffnen. Rechtsanwa­lt Ulf Martini befürchtet, dass viele Firmen die Krise nicht überleben.
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