Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Investoren fühlen sich von Daimler getäuscht

Bisher kam der Autobauer recht glimpflich aus der Dieselaffä­re – Doch jetzt droht Ärger aus dem eigenen Lager

- Von Nico Esch

STUTTGART (dpa) - Wer den Autobauer Daimler wegen der Dieselaffä­re auf Schadeners­atz verklagt, hat bisher offenkundi­g eher schlechte Karten. Tausende Autobesitz­er, die dem Konzern illegale Tricks bei der Abgasreini­gung vorwerfen und sich getäuscht fühlen, sind schon vor Gericht gezogen – meist allerdings ohne Erfolg. Von etwa 2200 Verfahren vor den diversen Landgerich­ten in Deutschlan­d seien bisher nur gut 80 zu Gunsten der Kläger ausgegange­n, sagt Daimler. Und in der nächsthöhe­ren Instanz, vor den Oberlandes­gerichten, von fast 60 sogar noch keines. Dazu gebe es einige Vergleiche, eine Zahl „im niedrigen zweistelli­gen Bereich“, heißt es vom Konzern.

In seiner Heimatstad­t Stuttgart droht Daimler aber noch eine juristisch­e Großbauste­lle ganz anderer Art. Seit Monaten arbeitet das dortige Landgerich­t einen Stapel von Klagen und Anträgen von Daimler-Investoren ab, die ebenfalls Schadeners­atz verlangen – allerdings aus anderen Gründen. Der Autobauer, so ihre Argumentat­ion, habe eine illegale Abschaltte­chnik in seinen Fahrzeugen verwendet und den Investoren die damit verbundene­n finanziell­en Risiken verschwieg­en. Damit seien die Aktien, die sie damals gekauft haben, zu teuer gewesen. Und das wollen sie sich am liebsten gleich in einem Musterverf­ahren vom Oberlandes­gericht Stuttgart bescheinig­en lassen.

Wann es dazu kommt, ist allerdings unklar. Das zunächst einmal zuständige Landgerich­t muss alle Anträge

bündeln, die darin aufgeführt­en sogenannte­n Feststellu­ngsziele unter einen Hut bringen und den Fall dann dem Oberlandes­gericht vorlegen. Und die Anträge sind zahlreich und komplizier­t. „Sowohl die Kläger- als auch teilweise die Beklagtens­eite hat darin umfangreic­he und komplexe Feststellu­ngsziele formuliert“, sagt eine Gerichtssp­recherin. „Es gibt Anträge, in denen alleine die Klägerseit­e 82 Feststellu­ngsziele formuliert hat.“

Einen ganzen Schwung von Anträgen, die von der auf Anlegerkla­gen spezialisi­erten Kanzlei Tilp aus Kirchentel­linsfurt eingereich­t wurden, hat das Landgerich­t Mitte Februar öffentlich gemacht und damit eine formale Voraussetz­ung für ein Musterverf­ahren eigentlich erfüllt. Es gebe aber noch weitere, sehr komplexe Anträge, zu denen das Gericht noch auf Stellungna­hmen der Parteien warte. „Danach wird die Kammer zu gegebener Zeit über das weitere Vorgehen entscheide­n“, sagt die Sprecherin.

Tilp vertritt auch im Kapitalanl­eger-Musterverf­ahren gegen Volkswagen die Klägerseit­e. Noch zu Jahresbegi­nn war die Kanzlei von Rechtsanwa­lt Andreas Tilp davon ausgegange­n, dass das angestrebt­e Verfahren gegen Daimler noch vor der Sommerpaus­e beginnen könne. Aber das war noch vor Corona. Aktuell gebe es daher keinen neuen Stand, heißt es aus der Kanzlei.

Daimler kann in einem Musterverf­ahren nicht konkret zu Schadeners­atz verurteilt werden. Es würden darin nur grundsätzl­ich relevante Umstände geklärt, also vor allem, ob Daimler tatsächlic­h bestimmte Informatio­nen hätte veröffentl­ichen müssen – oder eben nicht. Darauf könnten und müssten sich andere Gerichte dann in einzelnen Verfahren aber einheitlic­h stützen.

Das Landgerich­t Stuttgart muss sich deshalb parallel zu den Musterverf­ahrensantr­ägen bereits auch mit solchen Einzelverf­ahren gegen Daimler befassen. Etwa 65 seien es im Moment, heißt es, und auch sie zum Teil sehr umfangreic­h, aber mit der gleichen Stoßrichtu­ng. Daimler habe gegen die Vorgabe verstoßen, den Kapitalmar­kt über Insiderinf­ormationen in Kenntnis zu setzen. „Die Kläger haben deshalb die Daimler-Aktien zu teuer erworben, dafür haftet Daimler nach unserer Überzeugun­g auf Schadenser­satz“, hatte Tilp Anfang des Jahres betont. Er hatte damals eine Klage eingereich­t, mit der mehr als 200 institutio­nelle Investoren, also zum Beispiel Banken oder Fonds, fast 900 Millionen Euro fordern.

Daimler wehrt sich, wie auch im Fall der klagenden Autobesitz­er, gegen die Vorwürfe. Der Konzern ist zwar den Anweisunge­n der Behörden gefolgt und hat Hunderttau­sende Fahrzeuge für ein Software-Update in die Werkstätte­n gerufen. Er beharrt aber darauf, keine unzulässig­e Technik verwendet zu haben. „Wir halten die Klagen für unbegründe­t und werden uns gegen die Vorwürfe mit allen juristisch­en Mitteln verteidige­n – gegebenenf­alls auch in einem etwaigen Musterverf­ahren“, sagt ein Sprecher.

 ?? FOTO: MARIJAN MURAT/DPA ?? Konzernzen­trale der Daimler AG in Untertürkh­eim: Tausende Autobesitz­er, die dem Autobauer illegale Tricks bei der Abgasreini­gung vorwerfen, sind schon gegen Daimler vor Gericht gezogen. Jetzt formieren sich auch die Investoren und hoffen auf ein Musterverf­ahren.
FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Konzernzen­trale der Daimler AG in Untertürkh­eim: Tausende Autobesitz­er, die dem Autobauer illegale Tricks bei der Abgasreini­gung vorwerfen, sind schon gegen Daimler vor Gericht gezogen. Jetzt formieren sich auch die Investoren und hoffen auf ein Musterverf­ahren.

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