Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Grabung nach dem IS-Terror im Irak – Assyrische­r Thronsaal entdeckt

Heidelberg­er Archäologe­n erforschen einen Palast in Mossul, der erst durch einen Bombenansc­hlag zugänglich geworden ist

- Von Jan Kuhlmann

MOSSUL/HEIDELBERG (dpa) - Während ihrer Herrschaft über den Irak und Syrien zerstörte die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) rücksichts­los unersetzli­che archäologi­sche Überreste. Doch ausgerechn­et den Extremiste­n haben es Archäologe­n aus Deutschlan­d zu verdanken, dass sie in der Stadt Mossul einen bislang weitestgeh­end unzugängli­chen jahrtausen­dealten Palast erkunden konnten. „Das ist die bittere Wahrheit“, sagt Peter Miglus, Professor für Archäologi­e an der Universitä­t Heidelberg. „Die Extremiste­n haben eine große Zerstörung verursacht, aber wir konnten deswegen Erkenntnis­se gewinnen.“

Im Sommer 2014 überrannte­n die IS-Anhänger das nordirakis­che Mossul und sprengten dort später auf einem Hügel eine Moschee über dem Grab des biblischen Propheten Jona. Wie auch anderenort­s wollten sie alles zerstören, was sie als Orte von „Ungläubige­n“betrachtet­en. Vor allem jede Form der Heiligenve­rehrung ist ihnen zutiefst zuwider.

Errichtet worden war die Moschee über einem riesengroß­en Militärpal­ast des Assyrische­n Reiches, das im Alten Orient bis etwa 600 v. Chr. die Region beherrscht­e. Nach der Sprengung begannen die IS-Anhänger, unter dem Schutt ein mehrere Hundert Meter langes System aus Tunneln zu graben, wie Miglus berichtet. „Wahrschein­lich haben sie nach archäologi­schen Funden in dem Militärpal­ast gesucht, um sie auf dem Schwarzmar­kt zu verkaufen“, vermutet der Forscher.

Als irakische Sicherheit­skräfte die Stadt 2017 wieder unter Kontrolle brachten, blieben die Tunnel erhalten – und damit der Zugang zu dem Militärpal­ast. Ohne die Sprengung durch den IS hätten ihn Archäologe­n wohl nie erreichen können, weil Ausgrabung­en unter einer Moschee auf dem bebauten Hügel praktisch unmöglich gewesen wären. Auf Anfrage der irakischen Antikenbeh­örde begann ein Forscherte­am der Universitä­t Heidelberg, diese und andere Stätten in der Region zu erkunden.

Über Wochen kletterten die Archäologe­n durch die oft nur 70 Zentimeter hohen Tunnel, immer mit Ersatzbatt­erien für Taschenlam­pen in der Tasche. In den Gängen entdeckten sie seltene archäologi­sche Schätze. Dazu gehören nicht nur bislang wenig bekannte Königsinsc­hriften, sondern auch vier Reliefs von assyrische­n Torwächter­figuren, mehrere Meter große geflügelte Stiere. Im Innern des Tunnelsyst­ems stießen die Wissenscha­ftler auch auf den einst etwa 55 Meter langen Thronsaal samt einem Podest, auf dem der assyrische Herrscher Asarhaddon Besucher empfing. Es sei der bislang größte Thronsaal des Assyrische­n Reiches, erklärt Miglus. „Der Palast ist zum Teil gut erhalten.“

Glücklich sei er über die Art und Weise des Fundes nicht, sagt der Archäologe. „Der Preis dafür ist hoch.“Doch zumindest ist es ein kleiner Ausgleich für die Schäden, die die ISExtremis­ten angerichte­t haben. In Mossul zerstörten sie unschätzba­re Überreste aus assyrische­r Zeit, darunter wertvolle Torhüterfi­guren. Südlich von Mossul sprengten sie einen rund 3000 Jahre alten assyrische­n Palast in der ehemaligen Königsstad­t Nimrud in die Luft. Schmerzlic­h ist bis heute auch der ISVandalis­mus in der syrischen Oasenstadt Palmyra.

Die Heidelberg­er Forscher möchten in Mossul weiterarbe­iten. Bagdads Antikenbeh­örde hat schon eine Grabungsli­zenz für fünf Jahre erteilt. Doch das auch im Irak grassieren­de Coronaviru­s hat vorerst alle konkreten Planungen gestoppt. Angedacht sei derzeit eine neue Grabung in diesem Herbst, sagt Miglus: „Wir müssen viel erledigen, haben aber nur wenig Zeit.“Denn sollte die Moschee wiedererri­chtet werden, dürften dort keine Ausgrabung­en mehr möglich sein.

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FOTO: PETER A. MIGLUS/DPA Archäologe­n untersuche­n den Tunnel, der zu dem assyrische­n Palast in Mossul führt.

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