Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Grönlands Gletscher schmelzen schneller

Neue Studie zeigt, dass der Eisschild stark schrumpft – Schuld ist der Jetstream

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NEW YORK (dpa) - Rund 600 Milliarden Tonnen Eis hat der Eisschild auf Grönland im Jahr 2019 verloren. Das entspricht einem weltweiten Anstieg des Meeresspie­gels um knapp zwei Millimeter. Als Grund nennt eine aktuelle Studie außergewöh­nlich häufiges Hochdruckw­etter mit wolkenlose­m, klarem Himmel über Grönland im Sommer 2019. Marco Tedesco von der Columbia University in New York (USA) und Xavier Fettweiss von der Universitä­t Lüttich (Belgien) veröffentl­ichten ihre Untersuchu­ngsergebni­sse im Fachjourna­l „The Cryosphere“.

Zwar schmolz etwas weniger Eis als im Rekordjahr 2012, dafür kamen nur etwa 50 Milliarden Tonnen Eis durch Schneefall hinzu. Deshalb ist die Eismassenb­ilanz noch negativer als 2012, wie Tedesco und Fettweiss anhand von Satelliten­messungen ermittelte­n. Im Vergleichs­zeitraum 1981 bis 2010 waren im Durchschni­tt jedes Jahr 375 Milliarden Tonnen hinzugekom­men, was das Schmelzen und Kalben von Gletschern großenteil­s ausgleiche­n konnte.

Ein Hochdruckg­ebiet führt an seinen Rändern Luftmassen im Uhrzeigers­inn. „Stellen Sie sich diesen Wirbel vor, der sich im südlichen Teil Grönlands dreht und der buchstäbli­ch wie ein Staubsauge­r die Feuchtigke­it und Wärme von New York City ansaugt und in der Arktis ablädt“, erklärte Tedesco. Die entlang der Westküste Grönlands gedrückte Luft habe zwar im Norden Grönlands zu verstärkte­r Wolkenbild­ung geführt, so die Forscher. Aber anstatt Schneefall zu bringen, hätten diese warmen und fangen, feuchten die Wolken normalerwe­ise die Wärme vom eingeff Eis abgestrahl­t wird, und so einen kleinen Treibhause­ffekt erzeugt. „Diese atmosphäri­schen Bedingunge­n werden in den letzten Jahrzehnte­n immer häufiger“, sagte Tedesco. Dies sei sehr wahrschein­lich auf die starke Auslenkung des polaren Jetstreams (eines Starkwindb­andes in großer Höhe) zurückzufü­hren. Diese Veränderun­g hängt nach Auffassung der Forscher unter anderem mit dem Schwinden des Meereises und der Schneedeck­e in Sibirien zusammen. Aktuelle globale Klimamodel­le seien nicht in der Lage, diese Effekte zu erfassen, weshalb Computersi­mulationen den Eisverlust im Zuge des Klimawande­ls wahrschein­lich unterschät­zten.

Anders Levermann vom PotsdamIns­titut für Klimafolge­nforschung (PIK) lobt, dass die Daten des Jahres 2019 so schnell veröffentl­icht werden. Die Studie sei deshalb sehr wichtig, weil sie das Ausmaß des Grönlandei­sverlustes in Verbindung bringe mit dem veränderte­n polaren Jetstream. „Dies ist das durch den Klimawande­l verursacht­e Phänomen, das die größten Auswirkung­en auf unser Leben haben wird und es hat bereits begonnen“, sagte Levermann. Er nennt die letzten beiden heißen Sommer in Mitteleuro­pa und die extremen Wintereinb­rüche in den USA in den vergangene­n Jahren als Folgen des veränderte­n Jetstreams.

Der Grund für das starke Mäandern des Jetstreams sei, dass sich die Polargebie­te doppelt so schnell erwärmten wie der Rest der Erde. Dies führe zu einer stärkeren und häufigeren Auslenkung des wetterbest­immenden Stroms mal nach Norden, mal nach Süden. „Noch schlimmer ist es, wenn die Tief- und Hochdruckg­ebiete wochenlang beinahe stehenblei­ben. Dann komme es zu heftigen Überschwem­mungen in einigen Regionen und extremer Trockenhei­t und Hitze in anderen.

Inwieweit die sauberere Luft aufgrund der Corona-Krise sich auf den Klimawande­l auswirken wird, hält Levermann für schwer voraussagb­ar. Denn einige Staubteilc­hen in der Luft führten zu Abkühlung, andere zu einer Verstärkun­g der Erwärmung. Da sich an Aerosolen (Schwebetei­lchen) auch Regentropf­en bilden, könne es bei weniger Aerosolen unter Umständen regional später anfangen zu regnen. Insgesamt seien aber die Folgen der Luftveränd­erung durch die Corona-Krise ein komplexes Zusammensp­iel vieler Effekte.

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FOTO: KEVIN KRAJICK/EARTH INSTITUTE/DPA Rund 600 Milliarden Tonnen hat der Eisschild auf Grönland im Jahr 2019 verloren.

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