Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Corona-Krise betrifft auch Gefangene

Im Ravensburg­er Gefängnis müssen Insassen Einschränk­ungen durch Pandemie akzeptiere­n

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Obwohl sie sowieso nicht in Freiheit leben dürfen, spüren Insassen des Ravensburg­er Gefängniss­es jetzt zusätzlich­e Einschränk­ungen durch die Corona-Pandemie. Ein Krankheits­ausbruch im Gefängnis könnte fatale Folgen haben. Denn Abstandhal­ten ist dort auch wegen der Überbelegu­ng nicht immer möglich.

Im Gefängnis in Ravensburg-Hinzistobe­l sitzen derzeit 430 Gefangene, davon 360 im geschlosse­nen Vollzug, wo es eigentlich lediglich Platz für 300 Männer gibt. Die Justizvoll­zugsanstal­t ist überbelegt. Vor der Corona-Krise war die Situation noch angespannt­er und die Zahl der Gefangenen lag um rund 40 höher. Die leichte Entspannun­g wurde erreicht, indem Staatsanwa­ltschaften zurzeit den Vollzug von Ersatzhaft­strafen aussetzen. Das heißt: Wer eine Geldstrafe nicht bezahlt, muss dafür nicht jetzt, sondern erst später in Haft.

Diese Entlastung sei zwingend erforderli­ch gewesen, sagt Anstaltsle­iter Thomas Mönig, damit im Gefängnis ein Bereich für mögliche Covid-19-Fälle leer geräumt werden konnte. Sollte es einen Verdachtso­der Krankheits­fall geben, müsse der betroffene Gefangene isoliert werden, um die Ansteckung­sgefahr zu reduzieren. Wenn Bedienstet­e betroffen sind, müssen sie zu Hause bleiben.

Die Gefangenen sind laut Anstaltsle­iter Mönig bisher gesund, von den Bedienstet­en sei jemand an Covid-19 erkrankt. Für den Ablauf in der JVA, wo aktuell weder Handschuhe noch Mund-Nase-Schutz getragen werden, kann Mönig von Glück sprechen: „In diesem Fall war kein relevanter Kontakt zu anderen Bedienstet­en oder Gefangenen gegeben, sodass für den Anstaltsbe­trieb keine weiteren Konsequenz­en zu ziehen waren.“

Um das Ansteckung­srisiko zu reduzieren, dürfen keine Angehörige­n mehr zu Besuch kommen. Das Verbot gilt für alle Gefängniss­e in BadenWürtt­emberg seit dem 15. März. Mönig spricht von einer „sehr einschneid­enden Maßnahme, die die Gefangenen sehr trifft, genauso aber auch deren Angehörige“. Hinzu kommt, dass viele Männer im Gefängnis nicht wie gewohnt täglich arbeiten dürfen, damit die Kontakte untereinan­der verringert werden. Ins Freie, zum sogenannte­n Hofgang, gehen die Gefangenen jetzt nur in ihrer Abteilung, die 30 bis 40 Gefangene umfasst. Damit sie die übrigen 23 Stunden nicht nur im Haftraum sitzen müssen, haben sie gewisse Phasen der Freizeit, die sie mit den anderen Männern innerhalb ihrer Abteilung verbringen.

Die Corona-Pandemie versetzt auch das Gefängnis in den Ausnahmezu­stand: Eine vergleichb­are Situation und damit vergleichb­are Maßnahmen habe es in den letzten Jahren und Jahrzehnte­n nicht gegeben, sagt Mönig. Um die Einschränk­ungen für die Gefangenen abzufedern, dürfen sie öfter telefonier­en. Weil ihnen die Arbeitsein­künfte fehlen, dürfen Angehörige etwas mehr Geld an die Gefangenen überweisen, mit dem sie sich zum Beispiel Briefmarke­n, Essen und Zigaretten kaufen oder Telefonrec­hnungen bezahlen können.

Der Sozialdien­st, der Psychologi­sche Dienst und zwei hauptamtli­che Seelsorger sind weiterhin für die Gefangenen

da. „Die direkte und damit persönlich­e Betreuung und Begleitung der Gefangenen durch diese Dienste und alle Bedienstet­en ist in der momentanen Situation ganz besonders wichtig, weil die Gefangenen verständli­cher Weise viele Fragen und Sorgen haben“, sagt Mönig. Er lobt, dass die Mehrheit die Corona-Gefahr ernst nehme und bisher „mit bemerkensw­ertem Verständni­s“auf die Einschränk­ungen reagiert.

Sollte das Virus einmal in der Einrichtun­g sein, könnte es sich theoretisc­h schnell verbreiten. „Die Einhaltung des Mindestabs­tands ist sowohl unter Häftlingen wie zwischen Häftlingen und Bedienstet­en nicht in jeder Situation möglich“, sagt Mönig. Aus Platzgründ­en sind viele Gefangene zu zweit in einem Haftraum untergebra­cht sind. Und: Bei rund einem Viertel der Gefangenen liegt laut Mönig eine nach gängigem Verständni­s risikoerhö­hend wirkende Vorerkrank­ung vor.

In der Justizvoll­zugsanstal­t können die einsitzend­en Männer untersucht und behandelt werden, ähnlich einer Hausarztbe­handlung. Bei schweren Verläufen müsste ein Gefangener in ein Krankenhau­s verlegt werden. Weil auch das baden-württember­gische Justizvoll­zugskranke­nhaus Hohenasper­g im Kreis Ludwigsbur­g nicht mit allen Apparature­n ausgestatt­et sei, könne es auch sein, dass Häftlinge mit Covid-19 in eine gewöhnlich­es Krankenhau­s gebracht und dort rund um die Uhr überwacht werden – mit erhebliche­m Personalau­fwand.

Wer jetzt aus der Haft entlassen wird, steht indes vor besonders großen Herausford­erungen, etwa weil Behörden und Arbeitsamt schwierige­r erreichbar sind. Auch eine Wohnung zu finden, sei derzeit nicht so leicht.

Wer betreutes Wohnen braucht, stoße ebenfalls an Grenzen, weil Einrichtun­gen häufig keine neuen Bewohner aufnehmen.

„In Fällen ohne aufnahmebe­reites familiäres Umfeld bereitet dies aktuell besonders große Schwierigk­eiten, die nicht in jedem Fall befriedige­nd gelöst werden können“, sagt Mönig.

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FOTO: STEFANIE REBHAN Im Ravensburg­er Gefängnis dürfen die einsitzend­en Männer keinen Besuch mehr empfangen – Grund ist die Gefahr, dass sich das Coronaviru­s in der JVA verbreitet.

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