Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Corona-Krise betrifft auch Gefangene
Im Ravensburger Gefängnis müssen Insassen Einschränkungen durch Pandemie akzeptieren
RAVENSBURG - Obwohl sie sowieso nicht in Freiheit leben dürfen, spüren Insassen des Ravensburger Gefängnisses jetzt zusätzliche Einschränkungen durch die Corona-Pandemie. Ein Krankheitsausbruch im Gefängnis könnte fatale Folgen haben. Denn Abstandhalten ist dort auch wegen der Überbelegung nicht immer möglich.
Im Gefängnis in Ravensburg-Hinzistobel sitzen derzeit 430 Gefangene, davon 360 im geschlossenen Vollzug, wo es eigentlich lediglich Platz für 300 Männer gibt. Die Justizvollzugsanstalt ist überbelegt. Vor der Corona-Krise war die Situation noch angespannter und die Zahl der Gefangenen lag um rund 40 höher. Die leichte Entspannung wurde erreicht, indem Staatsanwaltschaften zurzeit den Vollzug von Ersatzhaftstrafen aussetzen. Das heißt: Wer eine Geldstrafe nicht bezahlt, muss dafür nicht jetzt, sondern erst später in Haft.
Diese Entlastung sei zwingend erforderlich gewesen, sagt Anstaltsleiter Thomas Mönig, damit im Gefängnis ein Bereich für mögliche Covid-19-Fälle leer geräumt werden konnte. Sollte es einen Verdachtsoder Krankheitsfall geben, müsse der betroffene Gefangene isoliert werden, um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren. Wenn Bedienstete betroffen sind, müssen sie zu Hause bleiben.
Die Gefangenen sind laut Anstaltsleiter Mönig bisher gesund, von den Bediensteten sei jemand an Covid-19 erkrankt. Für den Ablauf in der JVA, wo aktuell weder Handschuhe noch Mund-Nase-Schutz getragen werden, kann Mönig von Glück sprechen: „In diesem Fall war kein relevanter Kontakt zu anderen Bediensteten oder Gefangenen gegeben, sodass für den Anstaltsbetrieb keine weiteren Konsequenzen zu ziehen waren.“
Um das Ansteckungsrisiko zu reduzieren, dürfen keine Angehörigen mehr zu Besuch kommen. Das Verbot gilt für alle Gefängnisse in BadenWürttemberg seit dem 15. März. Mönig spricht von einer „sehr einschneidenden Maßnahme, die die Gefangenen sehr trifft, genauso aber auch deren Angehörige“. Hinzu kommt, dass viele Männer im Gefängnis nicht wie gewohnt täglich arbeiten dürfen, damit die Kontakte untereinander verringert werden. Ins Freie, zum sogenannten Hofgang, gehen die Gefangenen jetzt nur in ihrer Abteilung, die 30 bis 40 Gefangene umfasst. Damit sie die übrigen 23 Stunden nicht nur im Haftraum sitzen müssen, haben sie gewisse Phasen der Freizeit, die sie mit den anderen Männern innerhalb ihrer Abteilung verbringen.
Die Corona-Pandemie versetzt auch das Gefängnis in den Ausnahmezustand: Eine vergleichbare Situation und damit vergleichbare Maßnahmen habe es in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht gegeben, sagt Mönig. Um die Einschränkungen für die Gefangenen abzufedern, dürfen sie öfter telefonieren. Weil ihnen die Arbeitseinkünfte fehlen, dürfen Angehörige etwas mehr Geld an die Gefangenen überweisen, mit dem sie sich zum Beispiel Briefmarken, Essen und Zigaretten kaufen oder Telefonrechnungen bezahlen können.
Der Sozialdienst, der Psychologische Dienst und zwei hauptamtliche Seelsorger sind weiterhin für die Gefangenen
da. „Die direkte und damit persönliche Betreuung und Begleitung der Gefangenen durch diese Dienste und alle Bediensteten ist in der momentanen Situation ganz besonders wichtig, weil die Gefangenen verständlicher Weise viele Fragen und Sorgen haben“, sagt Mönig. Er lobt, dass die Mehrheit die Corona-Gefahr ernst nehme und bisher „mit bemerkenswertem Verständnis“auf die Einschränkungen reagiert.
Sollte das Virus einmal in der Einrichtung sein, könnte es sich theoretisch schnell verbreiten. „Die Einhaltung des Mindestabstands ist sowohl unter Häftlingen wie zwischen Häftlingen und Bediensteten nicht in jeder Situation möglich“, sagt Mönig. Aus Platzgründen sind viele Gefangene zu zweit in einem Haftraum untergebracht sind. Und: Bei rund einem Viertel der Gefangenen liegt laut Mönig eine nach gängigem Verständnis risikoerhöhend wirkende Vorerkrankung vor.
In der Justizvollzugsanstalt können die einsitzenden Männer untersucht und behandelt werden, ähnlich einer Hausarztbehandlung. Bei schweren Verläufen müsste ein Gefangener in ein Krankenhaus verlegt werden. Weil auch das baden-württembergische Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg im Kreis Ludwigsburg nicht mit allen Apparaturen ausgestattet sei, könne es auch sein, dass Häftlinge mit Covid-19 in eine gewöhnliches Krankenhaus gebracht und dort rund um die Uhr überwacht werden – mit erheblichem Personalaufwand.
Wer jetzt aus der Haft entlassen wird, steht indes vor besonders großen Herausforderungen, etwa weil Behörden und Arbeitsamt schwieriger erreichbar sind. Auch eine Wohnung zu finden, sei derzeit nicht so leicht.
Wer betreutes Wohnen braucht, stoße ebenfalls an Grenzen, weil Einrichtungen häufig keine neuen Bewohner aufnehmen.
„In Fällen ohne aufnahmebereites familiäres Umfeld bereitet dies aktuell besonders große Schwierigkeiten, die nicht in jedem Fall befriedigend gelöst werden können“, sagt Mönig.