Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Den Krankensch­ein gibt es auch weiterhin per Telefon

Regelung sollte am Montag enden – Nach Proteststu­rm dürfen Ärzte ihre Patienten nun weiter auf Distanz beraten

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Ein Anruf genügt: Wegen der Coronaviru­s-Pandemie mussten Patienten zuletzt nicht zwingend zur Arztpraxis, um bei einer Erkältung eine Arbeitsunf­ähigkeitsb­escheinigu­ng zu bekommen. Diese Ausnahme sollte am Montag enden – sehr zum Ärger der Hausärzte. „Das ist ein höheres Gefährdung­spotenzial, wenn potenziell infizierte Patienten zu uns in die Praxis kommen müssen, bei denen es gar nicht nötig wäre“, sagt etwa der Biberacher Hausarzt Frank-Dieter Braun. Nach massiven Protesten von Ärzten und Gesundheit­spolitiker­n gibt es den Krankensch­ein nun doch weiter per Telefon.

Der Aufschrei nach dem Beschluss des Gemeinsame­n Bundesauss­chusses (GBA) vom Freitag war groß. Der GBA trifft als Selbstverw­altungsorg­an die wichtigste­n Entscheidu­ngen im deutschen Gesundheit­swesen. Hier sind Ärzte, Krankenhäu­ser und Krankenkas­sen vertreten. Letztere haben sich vergangene­n Freitag gegen die Mediziner und Kliniken durchgeset­zt. Der unparteiis­che Vorsitzend­e Josef Hecken ist den Krankenkas­sen gefolgt: Seit Montag sollten Ärzte keinen Krankensch­ein mehr auf Basis eines Telefonats ausstellen dürfen. Der Arbeitgebe­rverband hatte diesen Beschluss begrüßt.

Dafür hat der Biberacher Hausarzt Braun, stellvertr­etender Landesvors­itzender

des Hausärztev­erbands, null Verständni­s. Trotz etlicher Vorkehrung­en in den Praxen bleibe eine Infektions­gefahr bestehen, erklärt er. „Es ist immer besser, wenn weniger Menschen im Wartezimme­r sind. Da können Tröpfchen fliegen, wenn einer niest oder hustet“, sagt er. Etliche seiner chronisch kranken Patienten seien deshalb schon nicht mehr gekommen. Wenn nun wieder Menschen mit Erkältungs­symptomen in die Praxis kämen, sei das eine unnötige Gefahr für Patienten, seine Mitarbeite­r und für ihn selbst.

Der Vorstand der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g im Südwesten hat seinem Ärger über die Entscheidu­ng des GBA am Montagmitt­ag in einem Brief an Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) Luft gemacht. „Der Beschluss ist gegenüber den Ärzten, dem Praxispers­onal und den Patienten daher unverantwo­rtlich. Denn er zwingt die Patienten zu Praxisbesu­chen, die nicht notwendig wären“, heißt es in dem Schreiben, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. „Die Entscheidu­ng des GBA stellt einmal ein tiefes Misstrauen gegen die 70 Millionen GKV-Versichert­en und ihre Ärzte dar, vermutet man doch, ohne dass es dafür Anhaltspun­kte gäbe, wohl unnötige vorgespieg­elte Krankheits­zustände, die erst im direkten Arzt-Patientenk­ontakt verifizier­t werden müssen.“

Lucha stellt sich hinter die Ärzte. „Dieser Beschluss des GBA kommt zu früh und sendet ein falsches Signal der Entspannun­g“, sagt er der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Uns sind im Übrigen keine Missbräuch­e angezeigt worden, die einen solchen Beschluss rechtferti­gen würden.“Er plädiert dafür, an telefonisc­hen Krankschre­ibungen festzuhalt­en und parallel wieder langsam in den normalen Betrieb einzusteig­en. Luchas bayerische­s Pendant, Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml (CSU), hatte den GBA-Beschluss bereits am Wochenende kritisiert. Auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) hatte daraufhin angekündig­t, Gespräche mit der Selbstverw­altung führen zu wollen.

Der Aufschrei scheint gewirkt zu haben, denn am Montag folgte eine halbe Rolle rückwärts. Der GBA-Vorsitzend­e Hecken kündigte eine weitere Beratung im GBA noch für den selben Tag an. „Mit hoher Wahrschein­lichkeit werden wir bei dieser erneuten Beschlussf­assung eine Verlängeru­ng der Regelung bis zum 4. Mai 2020 (...) beschließe­n“, erklärte Hecken am Nachmittag. Die Dauer der Krankschre­ibung werde sich aber vermutlich verkürzen: von maximal 14 Tage auf maximal eine Woche. Bis dieser Entschluss formell gefasst ist, können die Ärzte auch weiterhin Patienten telefonisc­h beraten und bis zu sieben Tage krankschre­iben. Hecken betonte in diesem Zusammenha­ng, dass Patienten bei Covid-19-Verdacht in jedem Fall immer zuerst telefonisc­h ihren Arzt konsultier­en sollten, um das Vorgehen zu besprechen.

Für die Krankenkas­sen war der mögliche Missbrauch ein Grund, den Krankensch­ein per Telefon wieder abzuschaff­en. Dass der GBA nun doch noch einmal nachbesser­t, bezeichnet die AOK Baden-Württember­g trotzdem als „grundsätzl­ich richtigen Weg“. Das erklärt die mitglieder­stärkste Krankenkas­se im Südwesten auf Nachfrage. „Die Begrenzung auf maximal zweimal sieben Tage Arbeitsunf­ähigkeit ohne Arztbesuch wird sowohl dem Schutzbedü­rfnis der Praxen als auch einer Begrenzung möglichen Missbrauch­s gerecht.“

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FOTO: DPA Krankensch­ein per Video und Telefon gibt es auch weiterhin.

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