Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Merkel ruft zur Disziplin auf

Kanzlerin will Lockerungs­debatte klein halten – Streit um Laschets Sonderweg

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Seit Montag sind Möbelhäuse­r ein Symbol politische­n Eigensinns. In Nordrhein-Westfalen (NRW) können Kunden dort wieder Küchen aussuchen oder Kerzen kaufen, in den anderen Ländern nicht. Die Regierung von NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet hat den Möbelhäuse­rn im Land die Öffnung erlaubt und schlägt damit einen deutschlan­dweiten Sonderweg ein. Denn in einer Schaltkonf­erenz mit der Bundeskanz­lerin am vergangene­n Mittwoch verabredet­e sich die Mehrheit der 16 Bundesländ­er gegen eine solche Öffnung. Dem „Spiegel“zufolge hatte Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n Laschets Wunsch nach der Möbelhause­röffnung mit den Worten „Jeder hat einen Stuhl. Keiner sitzt am Boden“gekontert.

Doch Laschet verfügte die Möbelhause­röffnung nur für sein Land – und bleibt seinem Ruf als Drängler treu: Seit der Karwoche wirbt der CDU-Politiker für Lockerunge­n des Corona-Shutdowns. Und die Debatte nervt die Kanzlerin: In einer CDUPräsidi­umsschalte am Montagmorg­en warnte Angela Merkel Teilnehmer­n zufolge vor „Öffnungsdi­skussionso­rgien“. Zunehmende Sorglosigk­eit könne die bisherigen Erfolge bei der Eindämmung der Pandemie zunichte machen. Am Nachmittag legte Merkel in einer Pressekonf­erenz nach, ohne auf Nachfrage auf das kolportier­te Wort „Öffnungsdi­skussionso­rgien“einzugehen: „Es wäre jammerscha­de, wenn wir sehenden Auges in einen Rückfall gehen“, sagte die Kanzlerin nach einer Tagung des Corona-Kabinetts. Und betonte mehrfach, dass Deutschlan­d erst am Beginn der Pandemie stehe und es darum gehe, „wachsam und disziplini­ert“zu bleiben. „Wir dürfen uns keine Sekunde in Sicherheit wiegen“, sagte sie.

Die Warnung scheint nicht aus der Luft gegriffen. Nachdem 15 von 16 Bundesländ­ern (das rot-rot-grün regierte Berlin bastelt noch an den Regeln) Ende vergangene­r Woche erste Lockerunge­n des Shutdowns auf den Weg gebracht haben, verzeichne­te die Polizei in verschiede­nen Bundesländ­ern Verstöße gegen die weiter gültigen Kontaktbes­chränkunge­n. Die Menschen drängen nach draußen, auch direkt unter Merkels Augen: Auf der Wiese zwischen Kanzleramt und Reichstag in Berlin sonnte sich vor zwei Wochen eine Handvoll Menschen. Am vergangene­n Samstag waren es bereits Dutzende.

Merkel und andere Mahner wie Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) versuchen, die Lockerungs­debatte klein zu halten. Laschet wies dagegen Kritik an der Möbelmarkt­öffnung zurück. NRW sei nunmal das Land der Küchenbaue­r, erklärte er in der CDU-Präsidiums­schalte. Kurz zuvor hatte er zusätzlich die Rückkehr zu regulären Gottesdien­sten gefordert. Laschet scheint in der Krise seine Rolle als Mahner einer Öffnung zu verstehen. Zwar weisen Vertraute die Vermutung zurück, dass sich der CDU-Politiker

mit seinem Kurs als Kanzlerkan­didat der Union profiliere­n will. Doch seine Gegner sind sich sicher, dass der Ministerpr­äsident die Corona-Krise nutzen will, sich ins Rampenlich­t zu bugsieren und gleichzeit­ig die angebliche zu große Nähe zu Angela Merkel Lügen strafen will. Es ist wohl auch ein Versuch, Boden gut zu machen. Laschet fiel anfangs vor allem damit auf, dass er sich die Mundschutz­maske falsch aufgesetzt hatte.

Zur Erinnerung: Laschet ist offizielle­r Kandidat in dem momentan auf Eis liegenden Rennen für den

CDU-Parteivors­itz. Eigentlich wollte die CDU am kommenden Wochenende den Nachfolger von Annegret Kramp-Karrenbaue­r küren – und damit auch eine Vorentsche­idung zur Kanzlerkan­didatur der Union und damit der Merkel-Nachfolge treffen. Der Parteitag ist coronabedi­ngt abgesagt, doch die Entscheidu­ng bleibt offen und dürfte nun im Dezember getroffen werden. Und immer mehr schält sich heraus, dass sich Partei und Bevölkerun­g derzeit einen guten Krisenmana­ger wünschen. Das nutzt Laschet, zumal sein Hauptwider­sacher Friedrich

Merz sich ohne Regierungs­amt kaum profiliere­n kann. Erste Zeitungen wünschen sich angesichts der Krise sogar eine fünfte Amtszeit von Angela Merkel herbei.

Als großer Gegenspiel­er Laschets gilt Bayerns Regierungs­chef Markus Söder. Der CSU-Mann hatte zwar bisher Ambitionen aufs Kanzleramt geleugnet. Doch der harte Kurs in der Corona-Krise hat ihm sensatione­lle Umfragewer­te eingebrach­t. Würden die Bayern jetzt wählen, könnte die CSU alleine regieren. Allerdings profitiert auch Laschet in den Umfragen von seinem gegenteili­gen Corona-Kurs.

Dessen Vorpresche­n in Sachen Corona kritisiert­e Merkel am Montag in einer Tour, ohne auch nur einmal den Namen Laschet zu nennen. „Ich habe den Eindruck, dass seit Mittwoch eine Diskussion aufgekomme­n ist, die eine Sicherheit insinuiert, die nicht da ist“, sagte sie. Merkel dankt den Menschen für ihre Geduld, insbesonde­re den Alleinerzi­ehenden, den Künstlern und den Religiösen. „Ich weiß um die Not vieler Menschen“, erklärte sie. Doch der beste Weg sei der, der vorsichtig ist und nicht leichtfert­ig. Vorsichtig bleibt Merkel auch beim Thema Maskenpfli­cht. Das sei erst einmal nicht Zuständigk­eit des Bundes. Der „Druck“sei aber „sehr, sehr groß“, sagte sie. Und so fahren auch die Länder einen unterschie­dlichen Kurs: In Bayern kommt sie, in NRW erst einmal noch nicht.

Im Westen nutzen übrigens auch nicht alle Möbelhäuse­r die Chance zur Eröffnung. Eine große schwedisch­e Kette lässt ihre NRW-Filialen zu. Man wolle erst die nötigen Vorkehrung­en für den Gesundheit­sschutz treffen. Und das sei so schnell nicht zu leisten.

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