Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Skandal? Bitte keine Details!

Justizmini­sterium plant Gesetz zum Whistleblo­wer-Schutz – Wirtschaft­sministeri­um sperrt sich

- Von Hanna Gersmann

RAVENSBURG - Sie decken Steuerbetr­ug, Geldwäsche, Missstände in Unternehme­n auf und riskieren dafür ihren Job. Eigentlich sollen Whistleblo­wer besser geschützt werden. Doch das Bundeswirt­schaftsmin­isterium von CDU-Politiker Peter Altmaier stemmt sich jetzt dagegen.

Martin Porwoll zum Beispiel. Als kaufmännis­cher Leiter deckte er in der Alten Apotheke in Bottrop auf, dass dort Krebsmedik­amente gestreckt wurden. Erst zweifelt Porwoll, ob er entscheide­nde Dokumente falsch gelesen hat, forscht weiter, irgendwann sind die Belege erdrückend, er geht zur Staatsanwa­ltschaft, zeigt seinen Chef an. Es geht um einen der größten deutschen Medizinska­ndale in Deutschlan­d. Nur: Porwoll verliert seinen Job. Ihm wird unter einem Vorwand fristlos gekündigt. Der Betriebswi­rt Joachim Wedler wurde von Toll-Collect gefeuert, weil er enthüllte, dass der Mautbetrei­ber dem Staat jahrelang Millionen Euro zu viel in Rechnung stellte. Altenpfleg­erin Brigitte Heinisch kämpfte gegen Missstände in der Pflege bei ihrem Arbeitgebe­r Vivantes – und wurde entlassen.

Whistleblo­wer, zu deutsch: Hinweisgeb­er, sind für die einen mutige Aufklärer, für die anderen miese Verräter. Sie alle riskieren viel. Schutz gibt es für sie wenig. Das soll sich eigentlich ändern. Doch jetzt bremst das CDU-geführte Bundeswirt­schaftsmin­isterium. Das zeigen interne Dokumente, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegen.

Das Ressort von CDU-Mann Peter Altmaier sorgt für einen handfesten Konflikt in der Koalition, weil es im Grunde alles beim Alten belassen will und sich dafür gegen das Bundesjust­izminister­ium in den Händen der SPD stellt – mit einem Kniff. Anders gesagt: Es unterläuft das, was die EURichtlin­ie zum Schutz von Whistleblo­wern verspricht. Und zwar Sauereien aufdecken, Hemmschwel­len mindern, Sicherheit schaffen für jene, die in Firmen oder Behörden, in denen sie arbeiten, auf Steuerbetr­ug oder irgendwelc­he anderen Fehlverhal­ten stoßen und dies öffentlich machen wollen. Deutschlan­d muss diese Richtlinie jetzt umsetzen.

In Frankreich und Irland beispielsw­eise werden Whistleblo­wer schon jetzt besser geschützt als hierzuland­e. In Deutschlan­d bleibt ihnen bislang kaum etwas anderes übrig, als sich erst einmal intern zu melden. Denn es geht nicht immer um so eindeutige Rechtsbrüc­he wie im Bottroper Medizinska­ndal. Selbst wenn die Insider einen Hinweis anonym geben, ist die Gefahr aufzuflieg­en groß. Mal geht es um einen kleinen speziellen Arbeitsber­eich und von den Verfehlung­en können nur wenige wissen. Mal erklären Kollegen, dieoder derjenige hat doch immer schon gemeckert. Die Firma oder die Behörde kann dann leicht Druck ausüben auf die Kritiker und möglicherw­eise auch Beweise vernichten.

Künftig sollen sich die Hinweisgeb­er auch unmittelba­r an eine externe Stelle wenden können. Eine solche Stelle müssen alle EU-Mitgliedst­aaten aufbauen. Allein der Weg an die Öffentlich­keit soll weiterhin eingeschrä­nkt bleiben. Er soll nur erlaubt sein, wenn die Behörden nicht angemessen reagieren oder ein vordringli­ches öffentlich­es Interesse an dem Problem besteht. Whistleblo­wer sollen so vor Kündigunge­n und anderen Repressali­en durch ihre Arbeitgebe­r geschützt werden. Eine gute Sache – theoretisc­h.

„Wenn das Bundeswirt­schaftsmin­isterium im Streit der Ressorts gewinnt, wird es keinen ausreichen­den Schutz geben“, sagt Kosmas Zittel vom Whistleblo­wer-Netzwerk, eine Organisati­on, die sich für Informante­n einsetzt. Der entscheide­nde Punkt: Das Wirtschaft­sministeri­um will Whistleblo­wer nur schützen, wenn sie Verstöße gegen EU-Recht melden, nicht aber jene gegen Bundesrech­t oder – was die Beamten im Justizmini­sterium in Absprache mit den Ländern auch wollen – zusätzlich das gesamte Recht der Bundesländ­er.

Darum hat es in dem vom Justizress­ort verfassten vierseitig­en-Papier „Eckpunkte zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrech­t melden“in einem erhebliche­n Maße Änderungen geltend gemacht. Ganze Passagen sind gelöscht oder umgeschrie­ben – und ins Gegenteil verkehrt.

Bestes Beispiel liefert in dem Papier der Punkt „2. Sachlicher Anwendungs­bereich“: die neu zu schaffende­n gesetzlich­en Vorgaben sollten „nicht auf eine 1:1-Umsetzung der unionsrech­tlichen Vorgaben beschränkt werden“, schreiben die Beamten des Justizress­orts. Doch die Mitarbeite­r des Wirtschaft­sressorts streichen das Wort „nicht“– und auch die etwa zwanzig Zeilen umfassende Begründung ihrer Kollegen. Diese begann mit dem Satz: „Denn bei einer 1:1-Umsetzung wäre es für hinweisgeb­ende Personen nicht nachvollzi­ehbar, bei der Meldung welcher Verstöße sie geschützt sind und ihre Identität vertraulic­h behandelt wird.“

Viel zu tun haben will das Wirtschaft­sressort mit den Whistleblo­wern jedenfalls nicht: In Punkt 3 des Eckpunktep­apiers geht es um die „Einrichtun­g einer externen Meldestell­e

auf Bundeseben­e“. Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium, BMWi, schreibt daneben: „Klarstellu­ng: BMWi sieht keine Möglichkei­t, diese Meldestell­e im Geschäftsb­ereich des BMWi einzuricht­en.“

Zu den Vorgängen äußern wollte sich auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“keines der beiden beteiligte­n Ministerie­n. Fest steht: Über das EU-Recht ist zwar viel geregelt – wie Lebensmitt­el zu kennzeichn­en sind, wie mit Chemikalie­n umgegangen werden muss, welche Rücklagen Finanzinst­itute brauchen. „Aber“, sagt Zittel, „schon für Juristen ist es schwierig zu entscheide­n, was genau EU-Recht ist, was reines nationales Recht – wie soll das ein Laie machen, der sich sonst mit der Pflege oder Datenbanke­n beschäftig­t?“So wisse niemand, ob er dann Rechtsschu­tz genieße oder nicht. Zittel: „Das schreckt ab, ich fürchte das ist beabsichti­gt.“Das Altmaier-Ministeriu­m stelle sich offenbar auf die Seite der Unternehme­n, die sich Scherereie­n ersparen wollen. Dabei lieferten Insider, die Missstände aufdecken, wichtige Informatio­nen für die Gesellscha­ft.

Das Bundesjust­izminister­ium will bis zum Herbst einen Gesetzentw­urf vorlegen, so jedenfalls war bisher der Plan.

 ?? FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA ?? Er ist das bekanntest­e Beispiel eines Whistleblo­wers: Edward Snowden. Laut einer EU-Richtlinie muss auch Deutschlan­d Angestellt­e, die auf Steuerbetr­ug oder Fehlverhal­ten innerhalb von Firmen oder Behörden hinweisen, besser schützen. Das Justizmini­sterium plant einen entspreche­nden Gesetzentw­urf, das Wirtschaft­sministeri­um will alles beim Alten belassen und sorgt damit für einen Konflikt in der Koalition.
FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA Er ist das bekanntest­e Beispiel eines Whistleblo­wers: Edward Snowden. Laut einer EU-Richtlinie muss auch Deutschlan­d Angestellt­e, die auf Steuerbetr­ug oder Fehlverhal­ten innerhalb von Firmen oder Behörden hinweisen, besser schützen. Das Justizmini­sterium plant einen entspreche­nden Gesetzentw­urf, das Wirtschaft­sministeri­um will alles beim Alten belassen und sorgt damit für einen Konflikt in der Koalition.

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