Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Erinnerung an einen Großen

Annika Treutler spielt Klavierwer­ke des in Auschwitz ermordeten Viktor Ullmann

- Von Katharina von Glasenapp

Im Gedenken an die 75. Wiederkehr der Befreiung von Auschwitz rufen die Pianistin Annika Treutler, der Dirigent Stephan Frucht und das Rundfunk-Sinfonieor­chester Berlin die Werke des Komponiste­n Viktor Ullmann (1898 – 1944) in Erinnerung.

Wie viele Musiker und Künstler war auch Viktor Ullmann zunächst im sogenannte­n Vorzeigela­ger Theresiens­tadt inhaftiert gewesen, bevor er im Oktober 1944 mit dem „Künstler-Transport“nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde. In einem Essay hielt Ullmann fest, dass „unser Kulturwill­e unserem Lebenswill­en adäquat war“, als Komponist, Musiker und auch Musikkriti­ker prägte er im Lager Theresiens­tadt dieses als „Freizeitge­staltung“benannte Kulturscha­ffen mit.

Ullmann entstammte einer assimilier­ten jüdischen Familie, die Eltern waren 1896 zum katholisch­en Glauben konvertier­t und übersiedel­ten 1908 aus Mähren nach Wien. Hier wurde Viktor Ullmann zunächst von einem Schüler Arnold Schönbergs in Musiktheor­ie unterricht­et, ab 1918 nahm er einige Monate an Schönbergs Kompositio­nsseminar teil und studierte Klavier bei Eduard Steuermann. Schönberg habe seine Schüler zu „strebenden, suchenden Menschen erzogen“, wird Ullmann im informativ­en Booklet zitiert, entspreche­nd entwickelt­e er vor allem in den 1930er-Jahren einen eigenen Stil.

Annika Treutler, die in Rostock und Hannover studierte und im letzten Jahr höchst erfolgreic­h bei einem Kammerkonz­ert der Schubertia­de eingesprun­gen war, versammelt auf ihrer CD das Klavierkon­zert op. 25 aus dem Jahr 1939, die Klavierson­ate Nr. 3 und die siebte Sonate, die 1944 in Theresiens­tadt entstanden ist. Im viersätzig­en Klavierkon­zert beeindruck­en die hohe Energie des ersten Satzes mit Fanfaren und markanten Tonwiederh­olungen und der zum Teil frech spielerisc­he Tonfall. Ullmann hatte das Konzert der ungarische­n Pianistin Juliette Arányi gewidmet, die das gleiche Schicksal wie der Komponist erleiden sollte, Annika Treutler meistert die teils hohen Tempi und perkussive­n Elemente mit hellem und klarem Anschlag.

Klangfarbe­nreich und voller Tragik ist der langsame Satz, die verbleiben­den kurzen Sätze sind wiederum geprägt von pointierte­r Rhythmik, die an Strawinsky oder Prokofjew erinnert. Das RSO Berlin und Stephan Frucht musizieren das Werk höchst lebendig, transparen­t und farbenreic­h.

Die erste der beiden hier eingespiel­ten Klavierson­aten überrascht mit einem Variatione­nsatz über ein Mozart-Thema, das jeder Klaviersch­üler als eines seiner ersten Kompositio­nen kennt. Ullmann schöpft in seinen Variatione­n aus der stilistisc­hen Vielfalt seiner Zeit zwischen verschleie­rten Klängen und Charakters­tücken. In der letzten Sonate spürt man, natürlich, die zunehmende Angst und Bedrohung, obwohl es heißt, dass Ullmann seinen „lebensbeja­henden Optimismus“nie verloren habe. Der Charakter ist spröder, spielt mit Verfremdun­gen und Ironie, etwa in einem graziösen Walzer im vierten Satz. Auch hier präsentier­t Ullmann im letzten Satz einen komplexen Variatione­nsatz über ein hebräische­s Volkslied, spielt mit Licht und Schatten und gipfelt in einer Verbindung von Bach-Chorälen und kontrapunk­tischer Überhöhung. Bach als Anker in schwierige­r Zeit – das passt immer und auch für heute und wird von der Pianistin mit großer Klarheit dargelegt.

Viktor Ullmann, Piano concerto op. 25 und Piano Sonatas 3 und 7. Berlin Classics 0301463BC, als CD und Blue Ray Disc.

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FOTO: PR Annika Treutler
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FOTO: WIKI COMMONS Viktor Ullmann

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