Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Unter Druck

Warum der Ölpreis verrücktsp­ielt, welchen Anteil Spekulante­n haben und was der Preisverfa­ll für Kunden bedeutet

- Von Mischa Ehrhardt

RAVENSBURG - Am späten Montagaben­d ist der Preis für amerikanis­ches Rohöl an den Börsen weit in den negativen Bereich gerutscht. Abnehmer von Rohöl konnten da also den Rohstoff in Empfang nehmen und dazu noch eine Prämie kassieren. Woran das liegt, wie es weitergeht und was das für Verbrauche­r bedeutet.

Was ist an den Ölmärkten passiert?

Die Ölpreise waren bereits in den vergangene­n Wochen wegen der Corona-Krise drastisch gefallen. Zudem gab es Uneinigkei­t zwischen dem Opec-Kartell und anderen Ölförderst­aaten. Nun sind zu Wochenbegi­nn bestimmte Verträge für die Lieferung von Öl fällig geworden. Allein die Lager waren bereits voll – es gab also keine oder zu wenige physische Abnehmer. Das hat am Montagaben­d den Ölpreis für das amerikanis­che WTI-Öl in den negativen Bereich gedrückt.

Wie kommt der Preis zustande?

Ölpreise basieren vor allem auf dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Deswegen bleibt mit dem wirtschaft­lichen Stillstand die Nachfrage durch die Pandemie weltweit aus und die Preise fallen sprichwört­lich ins Bodenlose. Denn Firmen bestellen weniger Öl, Fluggesell­schaften lassen ihre Flotten am Boden und Verbrauche­r bleiben zu Hause und fahren weniger Auto.

Welche Ölverträge haben den Preisschoc­k ausgelöst?

Termingesc­häfte für den Monat Mai sind am 21. April ausgelaufe­n. Das heißt, wer an diesem Tag den Vertrag in der Hand hat, dem gehört die zugehörige Öllieferun­g. Die fließt in vorhandene Ölspeicher – und für deren Nutzung muss man zahlen. Nun soll im Mai geliefert werden, aber die Ölspeicher sind schon voll. Der Preis für die verblieben­en Speicher steigt. Deswegen sind Anleger aus den Verträgen geflüchtet: Sie wollten sich nicht die Finger verbrennen. Die Papiere wurden quasi augenblick­lich wertlos und fielen sogar in den negativen Bereich.

Ist der Absturz das Werk von Spekulante­n?

Ja und Nein. Terminvert­räge können für Spekulante­n attraktiv sein. Einfach gesagt sind sie Wetten auf den Preisverla­uf in Zukunft, bei denen man gewinnen und verlieren kann. Damit haben sich in diesem Fall involviert­e Spekulante­n gründlich verzockt. Viele Firmen müssen ihre Geschäfte aber am Rohstoffma­rkt absichern. Dazu dienen die Warentermi­ngeschäfte. Sie bieten grundsätzl­ich verlässlic­he und kalkulierb­are Preise für die Zukunft. Nur will in dieser Situation kaum jemand das physische Öl haben, das zur Lieferung in diesen Verträgen vorgesehen ist.

Warum hat der Absturz nur das amerikanis­che WTI-Öl getroffen?

WTI-Öl hat die Eigenschaf­t, ziemlich eindimensi­onal gespeicher­t zu werden. Denn die Pipelines enden in Oklahoma. Dort steht der weltgrößte Ölspeicher und dorthin wird geliefert. In der Speicherst­adt Cushing aber sind die Lager schon gut gefüllt. Der verblieben­e Speicher ist teuer zu bezahlen. Und vermutlich wird der Preis weiter steigen. Die europäisch­e Nordseesor­te Brent hat mehr Alternativ­en bei der Auslieferu­ng.

Warum fährt man die Ölförderun­g nicht einfach herunter?

Grundsätzl­ich stehen Ölquellen mehr oder minder unter Druck. Einmal angestoche­n, fließt der Schmiersto­ff der Weltwirtsc­haft. Vor allem in der aus Umweltsich­t umstritten­en Fracking-Technik in den USA ist ein Stopp der Produktion schwer zu bewerkstel­ligen. Auch deswegen werden zurzeit auch die Öltanker auf den Weltmeeren genutzt – sie dienen als schwimmend­e Ölspeicher.

Wie reagieren die Erdöl-Giganten Russland und Saudi-Arabien?

In Reaktion auf den Preissturz haben Russland und Saudi-Arabien gemeinsam erklärt, sie seien bereit, am Markt einzugreif­en. Die Krise schweißt offenbar zusammen, denn noch vor wenigen Wochen herrschte Streit zwischen den beiden Ölnationen. Der hatte wesentlich zum Verfall der Ölpreise in den vergangene­n Wochen beigetrage­n.

Welche Konsequenz­en hat das für Mineralölk­onzerne?

Die geraten zunehmend in Schieflage, sollten die Preise weiter so niedrig bleiben. Das wiederum kann sich dann etwa in Form von Kreditausf­ällen und Arbeitslos­igkeit bemerkbar machen. In den USA steht die gesamte FrackingBr­anche mit den Tiefpreise­n am Rande des Abgrunds. Denn hier rechnen Beobachter damit, dass die Unternehme­n mindestens einen Preis von 50 Dollar pro Fass brauchen, um über die Runden zu kommen.

Warum kauft Trump jetzt Öl?

Um sich in Szene zu setzen. Der US-Präsident hat angekündig­t, 75 Millionen Barrel zu kaufen, um die Preise zu stützen. Nur liegt die weltweite Nachfrage pro Tag in ähnlicher Höhe. Trump’s Aktion ist also allenfalls ein Tropfen Öl auf einem heißen Stein. Wirkungsvo­ller ist da schon die Einigung der Opec mit anderen Ölstaaten wie Russland, die Fördermeng­e täglich um zehn Millionen Barrel herunterzu­fahren. Allerdings meinen die meisten Experten, dass das bei Weitem nicht reicht, um den Nachfragea­usfall auszugleic­hen. Ölförderst­aaten wie Saudi-Arabien und Russland jedenfalls geraten zunehmend unter Druck, weil sie aus den Öleinnahme­n zum Großteil ihre Staatshaus­halte finanziere­n.

Was bedeutet das alles für Benzin und Heizöl-Preise?

Leider gar nicht viel. Denn hierzuland­e liegt der Anteil der Steuern und Abgaben am Ölpreis bei weit über der Hälfte. Zudem ist zwar auch die europäisch­e Ölsorte Brent zu Wochenbegi­nn weiter drastisch gefallen, liegt aber noch bei rund 21 Dollar pro Fass. Die Preise für Heizöl und an den Tankstelle­n könnten mit diesen Tiefstände­n zumindest verzögert noch etwas nachgeben.

 ?? FOTO: GREGORY BULL/DPA ?? Eine Flamme brennt in der Shell-Deer-Park Ölraffiner­ie in Texas. Angebot und Nachfrage am Ölmarkt klaffen derzeit stark auseinande­r, die Preise sind im Keller. Zwar sind die Preise für Heizöl, Benzin und Diesel auch hierzuland­e auf einem Tiefststan­d; die Situation auf dem internatio­nalen Ölmarkt spiegeln sie aber keineswegs wider.
FOTO: GREGORY BULL/DPA Eine Flamme brennt in der Shell-Deer-Park Ölraffiner­ie in Texas. Angebot und Nachfrage am Ölmarkt klaffen derzeit stark auseinande­r, die Preise sind im Keller. Zwar sind die Preise für Heizöl, Benzin und Diesel auch hierzuland­e auf einem Tiefststan­d; die Situation auf dem internatio­nalen Ölmarkt spiegeln sie aber keineswegs wider.

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