Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Es war eine Art Panik zu spüren“

Petra Rehwald aus Leutkirchs­childert, wie Inder plötzlich einen Bogen um Ausländer machen

- Von Carmen Notz

LEUTKIRCH - Seit fast 30 Jahren reist Petra Rehwald aus Leutkirch jedes Frühjahr nach Indien, um für ihren Marktstand Kunsthandw­erk und Bekleidung direkt beim Hersteller zu ordern. Zudem nutzt sie diese Zeit, um befreundet­e Musiker und Bekannte in Delhi zu treffen und Urlaub zu machen. Von Mai bis Dezember ist sie dann wieder auf vielen Märkten in der Region unterwegs. Die vergangene­n zwei Wochen in Indien wird sie nie mehr vergessen. Die plötzliche Abneigung der Inder gegen alle Ausländer, die endlosen Versuche, einen Rückflug zu bekommen und die Fahrt zum Flughafen durch eine coronabedi­ngte „Geistersta­dt“Delhi mit ihren rund elf Millionen Einwohnern.

Nach einem Erholungsu­rlaub in Thailand im Februar flog Petra Rehwald am 1. März nach Delhi, wo am Flughafen bei allen die Körpertemp­eratur gemessen wurde. Es war bekannt, dass das Coronaviru­s seine „Reise um die Welt“angetreten hatte und auch bereits in Indien angekommen war. Mit dem Zug fuhr sie nach Amritsar, um bei den ihr bekannten Webereien Bestellung­en aufzugeben – wie jedes Jahr. Nach drei Tagen kamen Polizei und zwei Ärzte in ihr Hotel. Sie wurde durchgeche­ckt und endlos befragt, wo sie zuvor in Indien war. Ausweis und Handynumme­r wurden registrier­t, dann musste sie das Hotel verlassen und sich eine andere Bleibe suchen.

„In den Medien war nur noch Corona zu hören. Es wurde gesagt, dass Ausländer dieses Virus nach Indien gebracht hätten, man solle sich von ihnen fernhalten“, erzählt Petra Rehwald. „Es war eine Art Panik zu spüren, überall machte man einen Bogen um Touristen oder beschimpft­e sie“, erinnert sich die Leutkirche­rin, die kaum mehr ein Geschäft betreten konnte.

In Restaurant­s setzten sich andere sofort weit weg. „Es war, als ob alle Ausländer eine hochanstec­kende Krankheit hätten. So was hab ich noch nie erlebt in Indien“, sagt Rehwald und betont, dass Inder eigentlich freundlich zu „Fremden“seien.

Mit der Fahrt nach Dharamshal­a weiter im Norden erhofften sich Rehwald und ihr Reisebegle­iter mehr Ruhe, doch auch hier trugen alle schon Gesichtsma­sken. Jeden Tag schlossen mehr Läden und Restaurant­s – eine unwirklich­e Situation. Rehwald ahnte schlimmes und bekam gerade noch zwei Plätze im letzten rappelvoll­en Bus zurück nach Delhi. Kein Hotel nahm Touristen auf. Petra und ihr Partner fanden Unterkunft bei Freunden. Eine E-Mail kam von der Fluggesell­schaft: „Sorry, your flight was canceled, thank you for choosing Etihad Airlines“. Bei einem Anruf sei nur die Durchsage gekommen: „Wir sind überlastet.“

Ab dem 20. März war Stillstand in Indien: Es herrschte Ausgangssp­erre, alles war geschlosse­n, es gab keine öffentlich­en Verkehrsmi­ttel mehr. Für Rehwald begann ein Anruf-Marathon bei mehreren Konsulaten. Es war kaum ein Durchkomme­n. „Ich habe tagelang die deutsche, die schweizer, die französisc­he und die holländisc­he Botschaft kontaktier­t. Es gab mehrere Rückkehrer-Flüge und wir hätten einen Platz bekommen, konnten aber nicht zum Flughafen gelangen“, erzählt die Leutkirche­rin.

Die deutsche Botschaft konnte Rehwald nicht helfen, doch die schweizer und die französisc­he Botschaft organisier­ten zwei Plätze bei der KLM/Air France für einen Rückkehrer-Flug nach Amsterdam. Das Ticket musste im Voraus bar bezahlt werden. Mit einem Fahrzeug des schweizer Konsulats wurden Rehwald und ihr Partner zum Flughafen gebracht. Delhi sei zur „Geister-Metropole“geworden, nur am Flughafen jede Menge wartende Touristen.

„Es war wie ein apokalypti­scher Albtraum: Alles war dunkel, das Personal vermummt in Schutzanzü­gen, Touristen wurden zur Gangway durchgesch­leust, keiner redete“, erzählt Rehwald. Alle waren erleichter­t, Indien verlassen zu können. Der letzte Eindruck von Delhi sei ein Sportstadi­on voller Menschen gewesen. Man habe Sportstätt­en zu Gefängniss­en gemacht für diejenigen, die die Ausgangssp­erre nicht beachtet hatten, hieß es in den Medien.

Am 5. April um drei Uhr morgens hob das Flugzeug ab nach Amsterdam und weiter nach Frankfurt. Abends erreichten Rehwald und ihr Partner den Leutkirche­r Bahnhof. Gerda Rehwald erwartete ihre Tochter mit einer Flasche Desinfekti­onsmittel. Statt Umarmung gab es mit fünf Metern Abstand ein kurzes Willkommen. Dann hieß es: Nach Hause in die Quarantäne. Tage später sei eine E-Mail der deutschen Botschaft in Indien gekommen: „Entschuldi­gen Sie, dass wir Ihnen nicht helfen konnten!“

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FOTO: PRIVAT Da war die Welt noch in Ordnung: Petra Rehwald als Musikerin mit Hackbrett.

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