Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Stadtverkehr droht neues Millionen-Defizit
Auswirkungen der Corona-Krise auf den ÖPNV in Friedrichshafen sind immens
FRIEDRICHSHAFEN - Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sind immens. Mit einem Anstieg des Defizits von eineinhalb bis zwei Millionen Euro rechnet man alleine beim Stadtverkehr Friedrichshafen. Für die privaten Unternehmen im Verkehrsverbund Bodo steht die Existenz auf dem Spiel, sollte es keinen Rettungsschirm geben. Im Mittelpunkt dabei sind Ausgleichszahlungen für die Schülermonatskarten.
„95 Prozent der Tageseinnahmen brechen gerade weg“, sagt Norbert Schültke, der Geschäftsführer der Stadtverkehr Friedrichshafen GmbH. Bezogen auf den Regeltarif des Stadtverkehrs. Es werden also kaum noch Fahrkarten spontan gekauft. Dieser Bereich mache übers Jahr rund 40 Prozent des Geschäftes aus. Weiter stützen kann man sich noch auf die verschiedensten Abo-Karten, die teilweise bereits gekauft wurden. Trotz des Einbruchs habe man die kommunale Verantwortung, weiter Verkehr anzubieten. „Wir müssen ein Grundangebot aufrecht erhalten.“Das entspreche derzeit einem Drittel des normalen Verkehrs.
Der Friedrichshafener Stadtverkehr ist ein Tochterunternehmen der Technischen Werke Friedrichshafen, die wiederum eine Tochter der Stadt sind. Somit bleibt das Defizit am Ende bei der Stadt Friedrichshafen hängen. Den ÖPNV im Stadtgebiet hat der Stadtverkehr an die RAB als Dienstleister vergeben. Bezahlen muss er nur die erbrachte Fahrleistung. Aber: „Wir haben dennoch noch viel weniger Einnahmen.“Schültke rechnet mit einer siebenstelligen Vergrößerung des Defizits im laufenden Jahr. Im vergangenen Jahr lag es bei rund zwei Millionen Euro. „Wir werden jetzt zwischen dreieinhalb und vier Millionen
Euro landen.“Hart trifft es auch die RAB, eine 100-prozentige BahnTochter. „Wir haben jetzt sanfte Maßnahmen gemacht“, sagt Silvio Matt, der Leiter der RAB-Niederlassung Bodensee, „Überstunden und Resturlaub abgebaut.“Das Unternehmen habe sich nicht für Kurzarbeit entschieden. Aber: „Wir brauchen dringend einen Rettungsschirm für den Regionalbusverkehr.“Insgesamt 80 Prozent weniger Einnahmen bei 90 Prozent der Kostenstruktur fasst er die Situation zusammen. „Es ist finanziell eine dramatische Situation.“
Noch größer sind die Auswirkungen für die privaten Anbieter. Im Verkehrsverbund Bodo gibt es laut Bernd Grabherr, dem Geschäftsführer des gleichnamigen Omnibusunternehmens, 22 Verkehrsunternehmer, davon 15 private. 400 bis 500 Arbeitsplätze schaffen sie. „Wir fahren zehn Millionen Kilometer im Jahr, das heißt jeden Tag einmal um die Erde rum.“Die Gewinnmargen seien bei den privaten ohnehin dünn. Beim jetzigen Shutdown seien von einem Tag auf den anderen 80 Prozent des Fahrgeldes weggebrochen. Und damit die Grundlage für die Verkehrserhaltung: „Bei uns geht es an die Existenz.“Auch nach der Krise brauche man wieder einen funktionierenden ÖPNV, den sieht er momentan nicht gewährleistet.
Von den 40 Millionen Fahrgästen im Jahr im Bodo-Verkehrsverbund sind laut Grabherr 20 Millionen Schüler. Bei den privaten Busunternehmen betrage der Schüleranteil sogar etwa 80 Prozent. Haupteinnahmequelle sind daher die Zeitkarten der Schüler, die die Eltern über einen Eigenanteil mit finanzieren. In der Regel sind das um die 40 Euro pro Schulkind. Der Eigenanteil wird laut Grabherr weiter eingezogen, vieles hänge also gerade von der Solidarität der Eltern ab. Etwa ein Viertel der Eltern habe bislang gekündigt, sagt Schültke. Die Folge sei dann, dass für die Verkehrsbetriebe sowohl der Eigenanteil als auch der Zuschuss der öffentlichen Hand wegfalle. „Wir reden da im Bodo-Bereich über einen Millionenbetrag“, sagt Schültke.
„Unser Appell geht an die Politik, dass die Eltern entlastet werden“, sagt
Grabherr, „dass es nicht auf deren Rücken ausgetragen wird.“Grabherr sieht derzeit einen Kampf zwischen Ministerien und Landkreistag, also Aufgabenträger, wer in die Verantwortung geht. Laut Schültke gibt es eine Vereinbarung zwischen Landesregierung und kommunalen Spitzenverbänden, dass es für den Elternanteil Gelder aus dem Landesrettungsschirm geben soll. Die Abmachung sei, dass die Eltern den Eigenanteil im April zahlen und im Mai nicht. Es sei aber bis heute nicht geklärt, ob dieser Finanzierungstopf auch so aufgefüllt wird.
„Wir bitten die Eltern noch um Geduld, bis ein Weg für den Ausgleich gefunden worden ist“, sagt dazu BodoVerbundsgeschäftsführer Jürgen Löffler. „Wir bitten vor allem darum, der Abbuchung nicht zu widersprechen, da dies nur hohen Aufwand und Kosten verursacht und die Verkehrsunternehmen, die ihre Leistungen weiterhin erbringen, dringend auf diese Gelder angewiesen sind.“
„Wir laufen hier sehenden Auges in eine Finanzierungslücke, die einem Privatunternehmer noch schneller die Gurgel zudrückt“, sagt Schültke. Der habe keine Kommune, die am Ende zähneknirschend das Defizit ausgleiche.
„Wenn wir im Mai keine Lösung hinbekommen, wird es Insolvenzen geben“, sagt Grabherr dazu. Der private Reiseverkehr, also Fahrten nach Italien und so weiter, „der ist ohnehin auf Null“, sagt Grabherr außerdem. Normalerweise werden täglich bis zu 6000 Schüler in Friedrichshafen mit dem ÖPNV transportiert.
Nach einem langsamen Schulstart könnten es ab dem 4. Mai maximal 1500 sein. Dann soll auch das allgemeine Bus-Angebot im Stadtverkehr wieder erweitert werden. Laut Schültke soll dann in etwa der reguläre Samstagsfahrplan mit einem durchgängigen Stundentakt erreicht werden.