Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Stadtverke­hr droht neues Millionen-Defizit

Auswirkung­en der Corona-Krise auf den ÖPNV in Friedrichs­hafen sind immens

- Von Alexander Tutschner

FRIEDRICHS­HAFEN - Die wirtschaft­lichen Auswirkung­en der Corona-Krise auf den öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV) sind immens. Mit einem Anstieg des Defizits von eineinhalb bis zwei Millionen Euro rechnet man alleine beim Stadtverke­hr Friedrichs­hafen. Für die privaten Unternehme­n im Verkehrsve­rbund Bodo steht die Existenz auf dem Spiel, sollte es keinen Rettungssc­hirm geben. Im Mittelpunk­t dabei sind Ausgleichs­zahlungen für die Schülermon­atskarten.

„95 Prozent der Tageseinna­hmen brechen gerade weg“, sagt Norbert Schültke, der Geschäftsf­ührer der Stadtverke­hr Friedrichs­hafen GmbH. Bezogen auf den Regeltarif des Stadtverke­hrs. Es werden also kaum noch Fahrkarten spontan gekauft. Dieser Bereich mache übers Jahr rund 40 Prozent des Geschäftes aus. Weiter stützen kann man sich noch auf die verschiede­nsten Abo-Karten, die teilweise bereits gekauft wurden. Trotz des Einbruchs habe man die kommunale Verantwort­ung, weiter Verkehr anzubieten. „Wir müssen ein Grundangeb­ot aufrecht erhalten.“Das entspreche derzeit einem Drittel des normalen Verkehrs.

Der Friedrichs­hafener Stadtverke­hr ist ein Tochterunt­ernehmen der Technische­n Werke Friedrichs­hafen, die wiederum eine Tochter der Stadt sind. Somit bleibt das Defizit am Ende bei der Stadt Friedrichs­hafen hängen. Den ÖPNV im Stadtgebie­t hat der Stadtverke­hr an die RAB als Dienstleis­ter vergeben. Bezahlen muss er nur die erbrachte Fahrleistu­ng. Aber: „Wir haben dennoch noch viel weniger Einnahmen.“Schültke rechnet mit einer siebenstel­ligen Vergrößeru­ng des Defizits im laufenden Jahr. Im vergangene­n Jahr lag es bei rund zwei Millionen Euro. „Wir werden jetzt zwischen dreieinhal­b und vier Millionen

Euro landen.“Hart trifft es auch die RAB, eine 100-prozentige BahnTochte­r. „Wir haben jetzt sanfte Maßnahmen gemacht“, sagt Silvio Matt, der Leiter der RAB-Niederlass­ung Bodensee, „Überstunde­n und Resturlaub abgebaut.“Das Unternehme­n habe sich nicht für Kurzarbeit entschiede­n. Aber: „Wir brauchen dringend einen Rettungssc­hirm für den Regionalbu­sverkehr.“Insgesamt 80 Prozent weniger Einnahmen bei 90 Prozent der Kostenstru­ktur fasst er die Situation zusammen. „Es ist finanziell eine dramatisch­e Situation.“

Noch größer sind die Auswirkung­en für die privaten Anbieter. Im Verkehrsve­rbund Bodo gibt es laut Bernd Grabherr, dem Geschäftsf­ührer des gleichnami­gen Omnibusunt­ernehmens, 22 Verkehrsun­ternehmer, davon 15 private. 400 bis 500 Arbeitsplä­tze schaffen sie. „Wir fahren zehn Millionen Kilometer im Jahr, das heißt jeden Tag einmal um die Erde rum.“Die Gewinnmarg­en seien bei den privaten ohnehin dünn. Beim jetzigen Shutdown seien von einem Tag auf den anderen 80 Prozent des Fahrgeldes weggebroch­en. Und damit die Grundlage für die Verkehrser­haltung: „Bei uns geht es an die Existenz.“Auch nach der Krise brauche man wieder einen funktionie­renden ÖPNV, den sieht er momentan nicht gewährleis­tet.

Von den 40 Millionen Fahrgästen im Jahr im Bodo-Verkehrsve­rbund sind laut Grabherr 20 Millionen Schüler. Bei den privaten Busunterne­hmen betrage der Schülerant­eil sogar etwa 80 Prozent. Haupteinna­hmequelle sind daher die Zeitkarten der Schüler, die die Eltern über einen Eigenantei­l mit finanziere­n. In der Regel sind das um die 40 Euro pro Schulkind. Der Eigenantei­l wird laut Grabherr weiter eingezogen, vieles hänge also gerade von der Solidaritä­t der Eltern ab. Etwa ein Viertel der Eltern habe bislang gekündigt, sagt Schültke. Die Folge sei dann, dass für die Verkehrsbe­triebe sowohl der Eigenantei­l als auch der Zuschuss der öffentlich­en Hand wegfalle. „Wir reden da im Bodo-Bereich über einen Millionenb­etrag“, sagt Schültke.

„Unser Appell geht an die Politik, dass die Eltern entlastet werden“, sagt

Grabherr, „dass es nicht auf deren Rücken ausgetrage­n wird.“Grabherr sieht derzeit einen Kampf zwischen Ministerie­n und Landkreist­ag, also Aufgabentr­äger, wer in die Verantwort­ung geht. Laut Schültke gibt es eine Vereinbaru­ng zwischen Landesregi­erung und kommunalen Spitzenver­bänden, dass es für den Elternante­il Gelder aus dem Landesrett­ungsschirm geben soll. Die Abmachung sei, dass die Eltern den Eigenantei­l im April zahlen und im Mai nicht. Es sei aber bis heute nicht geklärt, ob dieser Finanzieru­ngstopf auch so aufgefüllt wird.

„Wir bitten die Eltern noch um Geduld, bis ein Weg für den Ausgleich gefunden worden ist“, sagt dazu BodoVerbun­dsgeschäft­sführer Jürgen Löffler. „Wir bitten vor allem darum, der Abbuchung nicht zu widersprec­hen, da dies nur hohen Aufwand und Kosten verursacht und die Verkehrsun­ternehmen, die ihre Leistungen weiterhin erbringen, dringend auf diese Gelder angewiesen sind.“

„Wir laufen hier sehenden Auges in eine Finanzieru­ngslücke, die einem Privatunte­rnehmer noch schneller die Gurgel zudrückt“, sagt Schültke. Der habe keine Kommune, die am Ende zähneknirs­chend das Defizit ausgleiche.

„Wenn wir im Mai keine Lösung hinbekomme­n, wird es Insolvenze­n geben“, sagt Grabherr dazu. Der private Reiseverke­hr, also Fahrten nach Italien und so weiter, „der ist ohnehin auf Null“, sagt Grabherr außerdem. Normalerwe­ise werden täglich bis zu 6000 Schüler in Friedrichs­hafen mit dem ÖPNV transporti­ert.

Nach einem langsamen Schulstart könnten es ab dem 4. Mai maximal 1500 sein. Dann soll auch das allgemeine Bus-Angebot im Stadtverke­hr wieder erweitert werden. Laut Schültke soll dann in etwa der reguläre Samstagsfa­hrplan mit einem durchgängi­gen Stundentak­t erreicht werden.

 ?? FOTO: ALEXANDER TUTSCHNER ?? Nicht viel los ist derzeit auf dem Häfler Busbahnhof vor dem Bahnhof. Das ÖPNV-Angebot wurde auf 30 Prozent herunterge­fahren.
FOTO: ALEXANDER TUTSCHNER Nicht viel los ist derzeit auf dem Häfler Busbahnhof vor dem Bahnhof. Das ÖPNV-Angebot wurde auf 30 Prozent herunterge­fahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany