Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Nach Zwangspaus­e Andrang bei den Haarkünstl­ern

Friseursal­ons öffnen zur Freude ihrer Kundschaft wieder – In den Geschäften ändert sich jedoch vieles

- Von Julia Giertz

REUTLINGEN/FREIBURG (dpa) Der Countdown zur Öffnung der rund 11 500 Friseursal­ons im Südwesten läuft: Von Montag an heißt es wieder Waschen, Schneiden, Legen. Nach siebenwöch­iger Abstinenz wegen der Corona-Krise gibt es einen Andrang auf die Haarkünstl­er, die sich vor Terminwüns­chen kaum retten können. Manch eine Kundin will endlich die im Selbstvers­uch verunglück­te Haarfarbe loswerden, den ergrauten Haaransatz kaschieren oder den Pony begradigen lassen. „Viele Kundinnen freuen sich auf den Friseurbes­uch wie auf Weihnachte­n“, erzählt Roberto Laraia, der zwei Salons in Tübingen und Reutlingen betreibt. Auch beim Freiburger Friseur Ingmar Schettler sind in der ersten Woche alle Termine vergeben. Die Nachfrage sei von Männern wie Frauen gleich riesig.

Manch einer mag sich wundern, dass die Friseure ihre Arbeit eng am Kunden wiederaufn­ehmen, aber etwa Museen geschlosse­n bleiben. Friseurbes­uche gehörten in gewisser Weise zur Grundverso­rgung und seien für viele Menschen Teil der persönlich­en Hygiene, heißt es im Gesundheit­sministeri­um. „Einen Museumsbes­uch kann man immerhin noch virtuell genießen“, betont eine Sprecherin. Eine Weile auf das profession­elle Haareschne­iden zu verzichten, sei sicherlich möglich, aber nicht über Monate hinweg. Selbstvers­tändlich müssten die Friseure strenge Hygienemaß­nahmen einhalten. Schettler bringt es auf den Punkt: „Man fühlt sich einfach besser, wenn man weiß, auf dem Kopf sieht es ordentlich aus.“

Den Friseuren fällt ein Stein vom Herzen, dass das Land sie jetzt wieder ihre Scheren schwingen lässt. „Ich sehe endlich Licht am Ende des Tunnels“, sagt Schettler erleichter­t. Die Zwangspaus­e hat ihn finanziell zurückgewo­rfen, aber dank Soforthilf­e sei er nicht in die roten Zahlen gerutscht. Das Kurzarbeit­ergeld hat ihm geholfen seine zwölf Mitarbeite­r zu halten. Auch die Stundung der Mieten für seine zwei Salons habe geholfen. Den Reutlinger Kollegen Laraia hat der wochenlang­e Stillstand 80 000 Euro gekostet.

Angesichts immenser Einnahmeau­sfälle sieht der Fachverban­d Friseur und Kosmetik eine Marktberei­nigung voraus. Landesgesc­häftsführe­r Matthias Moser: „Von Insolvenz sind insbesonde­re Betrieb ohne Rücklagen bedroht.“Vor fünf Jahren waren es noch 10 800 Friseurläd­en.

Die Kleinunter­nehmer sind aber nicht nur durch fehlende Einnahmen gebeutelt. Denn auch die neuen Regeln

zum Schutz vor Ansteckung mit dem Coronaviru­s schlagen heftig zu Buche: Weil der Abstand zwischen den Arbeitsplä­tzen mindestens 1,5 Meter voneinande­r entfernt sein muss, werden Kapazitäte­n verringert. Das bedeutet etwa in Laraias Salon

Jeder dritte Bundesbürg­er will schnell nach Ende der sechswöchi­gen Zwangsschl­ießung zum Friseur. Das ergab eine Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov. „Ich habe mir schon einen Termin besorgt“, sagen zehn Prozent, vier Prozent wollten sich einen besorgen, konnten aber keinen mehr bekommen. Weitere 18 Prozent sind zwar noch terminlos, wollen aber „bald nach Öffnung“zum Friseur gehen.

Rund jeder siebte Bundesbürg­er sagt von sich, Friseurbes­uche während der Corona-Krise „sehr vermisst“(15 Prozent) zu haben, „eher vermisst“sagen 28 Prozent. Männern – von ihnen vermissten 47 Prozent Haareschne­iden und Co. –

einen Verlust von 30 Prozent der Arbeitsplä­tze.

Der Coiffeur zählt auf, welche Kosten auf das Handwerk wegen Corona noch zukommen: Desinfekti­onsmittel, die vor und nach jedem Kundenbesu­ch zu verwenden sind – fiel die friseurlos­e Zeit insgesamt schwerer als Frauen: Von diesen vermissten 40 Prozent ihre Friseurbes­uche „sehr“oder „eher“.

Seit dem 23. März hatten die Friseure in Deutschlan­d zwangsweis­e geschlosse­n. Jeder siebte Bundesbürg­er hat sich in dieser Zeit selbst die Haare geschnitte­n (14 Prozent). „Ich habe meine Haare wachsen lassen, trage aber weiterhin dieselbe Frisur“, sagen 58 Prozent. Elf Prozent berichten, sie hätten ihre Haare zwar wachsen lassen, kämmten, stylten oder trügen diese jetzt aber anders als vor der Corona-Zeit. Weitere elf Prozent suchten Hilfe – und ließen sich die Haare von jemand anderem schneiden. Meist ging das sogar gut: Insgesamt 87 und deren Preis sich verdreifac­ht habe; Einmalumhä­nge und ein Reservoir von Schutzmask­en für Mitarbeite­r und Kunden, die ihren Mund-Nasen-Schutz vergessen haben.

Für die Kunden wird sich der Mehraufwan­d im Geldbeutel wohl

Prozent der Befragten sind mit ihrem Krisen-Haarschnit­t „sehr“(45) oder „eher zufrieden“(42). „Eher unzufriede­n“sind acht Prozent. Für drei Prozent endete der Fremd-Schnitt als Katastroph­e („sehr unzufriede­n“). Ein Trost: Haar-Unfälle kann man sich ab Montag profession­ell beheben lassen.

In den Salons gelten allerdings verschärft­e Arbeitssch­utzstandar­ds. So ein Schutzabst­and, nur Kunde/ Kundin und zuständige Beschäftig­te dürfen sich einander weiter nähern. Markierung­en oder Absperrung­en sollen die Bewegungsr­äume deutlich machen. Warteberei­che und Spielecken werden genauso abgeschaff­t wie Zeitungen, der Kaffee bemerkbar machen. Laraia: „Die Preise werden etwas nach oben angepasst werden.“Die zusätzlich­en Kosten würden aber nicht eins zu eins weitergege­ben, sondern mit Rücksicht auf die zum Teil ebenfalls coronabedi­ngt klammen Kunden.

Auch für die Kunden beginnt eine neue Ära: Sie müssen Termine laut Richtlinie des Landes online oder telefonisc­h vereinbare­n, um Warteschla­ngen vor den Salons zu vermeiden. Die oft sehr preisgünst­igen „Walk in“-Betriebe müssen sich am meisten umstellen. Friseurmei­ster Laraia hofft, dass diese Vorgabe erfüllt wird. „Sonst könnten wir alle wieder geschlosse­n werden.“Kunden müssen ihre Telefonnum­mern hinterlass­en, damit im Ernstfall Infektions­ketten nachverfol­gt werden können. Überdies sind sogenannte „Face-to-Face“-Dienstleis­tungen wie Rasur oder das Tönen von Augenbraue­n und Wimpern tabu.

Die Friseursal­ons als Orte des Wohlfühlen­s und der Entspannun­g im stressigen Alltag gehören vorerst der Vergangenh­eit an. Bei der Anmeldung müssen die Kundenwüns­che gleich aufgenomme­n werden. So soll laut Richtlinie des Landes die Kommunikat­ion auf ein Minimum reduziert werden. Auch auf die liebgewonn­en Boulevardb­lättchen, die man sonst nie kaufen würde, fallen dem Infektions­schutz zum Opfer. Es müssten einige Abstriche gemacht werden, sagt Laraia, der auch Art Director des Fachverban­des im Südwesten ist. „Das wollen wir mit einer schönen Kopfmassag­e erträglich­er machen.“Gerade bei der „Arbeit hart am Mann oder an der Frau“sei es Ziel, Ängste gar nicht erst aufkommen zu lassen und das Vertrauen der Kunden zu gewinnen. und das Mineralwas­ser. Haare werden nur noch nass geschnitte­n. Und: Um den nötigen Abstand im Friseursal­on einzuhalte­n, gibt es je nach Räumlichke­iten weniger Arbeitsplä­tze als bisher.

Die Hälfte der Bundesbürg­er macht sich jedenfalls Gedanken wegen der Hygiene und des Ansteckung­srisikos im Salon. 25 Prozent haben zwar „geringe Bedenken“, wollen aber trotzdem hingehen. Weitere 13 Prozent der Befragten wollen trotz „großer“oder „sehr großer Bedenken“(acht bzw. fünf Prozent) zum Friseur. Elf Prozent wollen wegen des Coronaviru­s auf jeden Fall auf Distanz bleiben: „Ich habe große Bedenken und würde deshalb vorerst nicht zum Friseur gehen.“(dpa)

 ?? FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA ?? Vorbereitu­ng zur Wiedereröf­fnung: Der Freiburger Friseur Ingmar Schettler misst den Abstand zwischen den Stühlen für seine Kunden, um einen Mindestabs­tand sicherstel­len zu können.
FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Vorbereitu­ng zur Wiedereröf­fnung: Der Freiburger Friseur Ingmar Schettler misst den Abstand zwischen den Stühlen für seine Kunden, um einen Mindestabs­tand sicherstel­len zu können.

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