Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Suche nach Erntehelfern: ein Glücksspiel
Die Obstbauern am Bodensee benötigen dringend Arbeitskräfte
KREIS LINDAU (stb) - Zwischen großer Unsicherheit und vorsichtigem Optimismus bewegt sich derzeit die Gemütslage der Obstbauern am Bodensee. Weiterhin ist nicht klar, ob die dringend benötigten Erntehelfer rechtzeitig eintreffen. Denn wegen der Corona-Pandemie sind die Grenzen noch länger dicht. Das bedeutet, dass viele landwirtschaftlichen Hilfskräfte aus Osteuropa eigentlich nicht nach Deutschland einreisen dürfen. Aber die Bundesregierung hat speziell für die Erntehelfer Ausnahmeregelungen mit den Herkunftsländern vereinbart. Bis diese Lockerungen jedoch greifen, könnte es für den einen oder anderen Obstbauern zu spät sein. Die Erdbeerernte am Bodensee beginnt in etwa zwei Wochen.
Um Kräfte aus Osteuropa zu bekommen, muss ein Bauer Erntehelfer offiziell anfordern. Ist dieser formelle Akt erledigt, bleibt die Frage, wie die Leute nach Deutschland kommen. „Die Polen dürfen jetzt über die Grenze bei Frankfurt an der Oder mit dem Auto einreisen“, sagt der Lindauer Obstbauer Martin Nüberlin. Aber Helfer zum Beispiel aus Rumänien oder Bulgarien können derzeit nicht über den Landweg nach Deutschland gelangen. Deshalb hat der Bauernverband sogar Flugzeuge gechartert, die Landwirte zahlen die Tickets. Seit dieser Woche landen solche Flieger in Berlin, Düsseldorf, Nürnberg oder Karlsruhe.
Von dort können die Erntehelfer aber nicht in einen Bus gesetzt werden. Die Abstandsflächen sind zu gering. Weshalb viele Bauern den Transport in die Obstanbau-Gebiete mit eigenen Fahrzeugen organisieren. Am Einsatzort dann müssen die Erntehelfer auch nach den neuen Corona-Regeln untergebracht werden. Das heißt, viele der alten Unterkünfte dürfen jetzt nicht mehr belegt werden. Als Alternative stellt so mancher Bauer nun Wohncontainer auf. „Das ist für viele Landwirte ein finanzieller Kraftakt“, sagt Ingrid Martin, die die Öffentlichkeitsarbeit des Bündnisses „BodenseeBauern“koordiniert. Sie haben keine Wahl, die Bauern benötigen die landwirtschaftlichen Helfer sofort: „Was man jetzt nicht ausbringt, kann man im Herbst nicht ernten“, sagt Martin Nüberlin. Und die in wenigen Tagen reifen Erdbeeren müssen auch aus dem Boden raus.
In seiner Not hatte das Bündnis „Bodensee-Bauern“schon vor Wochen einen Hilfeaufruf bei Facebook und auf Instagram gestartet. Es wurde auch eine Plattform eingerichtet. Dort können sich alle Menschen melden, die in der Landwirtschaft mithelfen wollen. „Wir hatten bisher 1,6 Millionen Klicks“, so Ingrid Martin. Auf diese Weise hat zum Beispiel ein Hopfenbauer in Tettnang 15 Helfer bekommen. Es gab aber auch manche Ernüchterung. So hätten sich bei einem Landwirt 120 Menschen beworben. Am Ende kamen ganze zwei Arbeitsverhältnisse zustande. Denn entweder hatten die Kandidaten völlig falsche Vorstellungen von der Arbeit in der Landwirtschaft oder sie wollten nur stundenweise anpacken, was aber auf dem Feld nicht hilft, sagt Martin.
Die Plattform zur Vermittlung von Hilfskräften für die „Bodensee-Bauern“hatte der Maschinenring Tettnang eingerichtet. Dessen Geschäftsführer Hubert Hengge spricht von einer großen Unsicherheit unter den Landwirten. Zum einen könnten die geeigneten Helfer aus Deutschland nicht die Lücke ausfüllen, die durch das Fernbleiben der Erntehelfer aus osteuropäischen Ländern entstanden ist. Zum anderen sei auch nicht klar, ob die Aktion mit den Flugzeugen richtig funktioniert.