Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Weltreise im eigenen Garten

Naturalism­us liegt im Trend und kombiniert unterschie­dliche Stile und Landschaft­en

- Von Dorotheé Waechter

WEINHEIM/FRANKFURT (dpa) Wenn man nicht verreisen kann, muss der Urlaubsort zu einem kommen. Ein trendiger Gartenstil kann das. Mit ihm holt man sich das Hochgebirg­e oder die Steppe nach Hause. Denn in den Zeiten der eingeschrä­nkten Bewegungsf­reiheit kann der Garten auch Urlaubs- und Sehnsuchts­ort sein.

Kleine alpine Felspartie­n werden mit einer Gartenmaue­r nachgebild­et, ein schattiges Beet mit großblättr­igen Pflanzen spielt mit dem Gefühl, durch einen Regenwald zu wandern. Und bunt blühende Präriegest­altungen wecken die Lust auf Freiheit und Abenteuer im amerikanis­chen Stil. Nicht erst seit der Pandemie gibt es diesen Trend zum naturalist­ischen Gartenstil. Professor Cassian Schmidt, Leiter des Schauund Sichtungsg­artens Hermannsho­f in Weinheim, erkennt darin eine gesellscha­ftliche Geisteshal­tung. „Der Mensch sieht die Natur gefährdet, sodass er ihr im Garten mehr Raum gibt“, sagt er.

Dazu kommen für Sven Nürnberger, Gärtnermei­ster im Frankfurte­r Palmengart­en und Buchautor, die vielerorts stattfinde­nde Entwicklun­g der Verkleiner­ung von Wohnräumen und die spürbaren Eingriffe durch die Landwirtsc­haft in die Natur. „Was verloren geht, will der Mensch wieder holen – und so versucht man dem Artensterb­en durch die Förderung von Vielfalt im Garten entgegenzu­wirken“, sagt er.

Aber worum geht es hier denn genau? Viele Gärten mit ihrem akkuraten Rasen und den bunt zusammenge­würfelten Pflanzen haben wenig mit der Natur zu tun. Und beim naturalist­ischen Gestaltung­sansatz geht es auch nicht um die Nachbildun­g der eigenen Natur vor der

Haustür mit heimischen

Pflanzen – etwa indem man statt dem englischen

Rasen nun eine

Wiese anlegt.

Der naturalist­ische Garten bedient sich dem Repertoire von exotischen, nicht heimischen Pflanzen. „Man holt sich die Inspiratio­n aus der Natur“, sagt Schmidt. Und erschafft kreativ Gartenbild­er von fremden Orten – und zwar in einer „überhöhten, ästhetisch­en Form“. Als Beispiel führt der Experte Schmidt eine Steppenlan­dschaft an: „Sie lebt von Gräsern, den Rispen des Salbeis und den flachen schirmförm­igen Blütenstän­den der Schafgarbe­n.“

Diese typischen Pflanzen werden nach dem Chaosprinz­ip locker auf der Fläche verteilt, ohne dass einzelne Arten als größere Gruppe oder in schematisc­her Regelmäßig­keit auftauchen. So entsteht eine Pflanzung in drei Schichten: „Hohe Gerüstbild­ner, mittelhohe Füllpflanz­en und flache Bodendecke­r sind die Grundlage für Vielfalt“, erklärt Schmidt.

Eine Alternativ­e ist die Landschaft des alpinen Hochgebirg­es: Man kann hierfür zum Beispiel eine Naturstein­treppe im Garten als Grundlage nehmen und diese mit Polster- und Rosettenpf­lanzen aus diesem Gebiet bepflanzen, schlägt Nürnberger vor. Wichtig: Dafür nimmt man nicht nur echte Wildformen

der Pflanzen, sondern auch robuste und erlesene Züchtungen, die ihren natürliche­n Charakter bewahrt haben. Da nicht die komplette Natur eines Ortes nachgebild­et wird, sondern nur Auszüge, kann man auch „Gartenstil­e kombiniere­n und mitunter auch nur einzelne Vegetation­sausschnit­te herausnehm­en“, führt Buchautor Nürnberger an.

Schmidt etwa empfiehlt die Kombinatio­n der Steppenlan­dschaft mit unseren Zwiebelpfl­anzen des Frühlings. „Diese Frühblüher bestimmen in den Frühlingsw­ochen das Bild und ziehen sich dann vollkommen zurück, sodass Stauden und Gräser den Eindruck prägen“, erklärt Schmidt. So hat man auch in Zeiten, wenn die Steppe noch karg ist, im Garten immer ein paar hübsche Pflanzen.

Und diese Kombinatio­n hat auch handfeste praktische Vorteile: Pflanzenge­meinschaft­en sind in Trockenzei­ten stabiler, da ihre Wurzeln bis in unterschie­dliche Tiefen wachsen und sie nicht alle auf gleicher Ebene Wasser ziehen. Auch verhindert der hohe Grad der Bodenbedec­kung eher Verdunstun­g von Wasser. Und: „Wenn der Tisch so vielfältig gedeckt ist, dann werden von dieser Biodiversi­tät automatisc­h mehr Insekten angelockt“, führt Schmidt aus.

Das A und O für einen naturalist­ischen Garten ist die grundlegen­de

Planung. „Bevor man sich in einzelne Pflanzen quasi verliebt, sollte man analysiere­n, welche Standorte und Bodenverhä­ltnisse im Garten gegeben sind“, erklärt Nürnberger. Sonst haben die Pflanzen nie eine Chance. Warme, geschützte Plätze sind ideal für mediterran­e Landschaft­en mit Gräsern und trockenhei­tsliebende­n Halbsträuc­hern. Im zweiten Schritt muss man die passenden Pflanzenge­meinschaft­en finden.

Wenn alles gepflanzt ist, gilt es loszulasse­n – und die Entwicklun­g der Pflanzen zu beobachten. Die Gemeinscha­ft der Pflanzen hat eine eigene Dynamik. Man muss lernen, nur wenig lenkend einzugreif­en und eine natürliche Interaktio­n der Strukturen zu akzeptiere­n. „Der naturalist­ische Garten ist für intelligen­te Faule ideal – wobei die Betonung auf dem Adjektiv liegt“, sagt Schmidt dazu, und nimmt damit Bezug auf ein Zitat des bekannten Gartenphil­osophen und Staudenzüc­hters Karl Foerster.

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FOTOS: ANDREA WARNECKE/DPA Warum nicht mal mexikanisc­hes Federgras in den Garten bringen? Das passt gut zu einem naturalist­ischen Garten.
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Die Naturstein­mauer soll an alpine Felspartie­n erinnern.

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