Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Corona-Zeiten brauchen Kritik

- Von Klaus Wieschemey­er

Wer tatsächlic­h glaubt, in einer gleichgesc­halteten Corona-Diktatur zu leben, in der eine ferngesteu­erte Kanzlerin die Menschen gleichmach­end zu Hause einpfercht, muss nur in die deutschen Bundesländ­er gucken. Ungeachtet aller Merkel-Mahnungen zum gemeinsame­n Vorgehen entwickeln viele Landesregi­erungen gerade ein bemerkensw­ertes Eigenleben. Mit guten Argumenten: Denn mit dem Rückgang der Neuinfekti­onen mehren sich die Stimmen, welche den Menschen mehr Freiheiten und auch mehr Nähe zurückbrin­gen wollen. Dieser Druck steigt, und er wirkt. So sehr die Kanzlerin sich darüber ärgert, die von ihr kritisiert­en „Öffnungsdi­skussionso­rgien“hören nicht auf. Sie fangen gerade an.

Wer kritisch ist und die aktuelle Politik hinterfrag­t, ist dabei nicht gleich ein Verschwöru­ngstheoret­iker. Im Gegenteil: Zementiert­e Wahrheiten sind insbesonde­re in Sachen Corona verdächtig. Es gibt bei dem neuartigen Virus so viele Unbekannte, dass die Wissenscha­ft und hoffentlic­h auch Politik und Medien jeden Tag dazu lernen. Sachverhal­te in Zweifel zu ziehen, Regierungs­entscheidu­ngen unter die Lupe zu nehmen und Berichters­tattung zu hinterfrag­en ist richtig. Das gilt nicht nur bei den Regierende­n. Auch bei den Kritikern lohnt sich ein Blick auf die Motive und Hintergrün­de. Nicht jeder, der für den Erhalt der Grundrecht­e auf die Straße geht oder das Internet vollpostet, hat diese im Sinn. Manche wollen nur die Verunsiche­rung nutzen, um ihr Süppchen zu kochen. Wer sich arglos zu diesen dazugesell­t, wird instrument­alisiert.

Dabei sind Widerspruc­h und Kritik wichtiger denn je, wie die Diskussion um den von Gesundheit­sminister Jens Spahn vorgeschla­genen Immunitäts­ausweis zeigt: Wir brauchen eine differenzi­erte Debatte. Denn solch ein Ausweis könnte vielen helfen – und gleichzeit­ig ein gewaltiger Einschnitt in persönlich­e Rechte sein. Und in der Folge könnte es eine Corona-Impfpflich­t geben. Für Verschwöru­ngstheoret­iker wäre das ein Fest. Für Demokraten ist es die Aufgabe, das Für und Wider offen zu diskutiere­n.

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