Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Palmer wehrt sich gegen Forderunge­n nach Rauswurf

Grüne entziehen dem Tübinger Oberbürger­meister Unterstütz­ung – Landesvors­tand berät am Freitag

- Von Katja Korf und Kara Ballarin

STUTTGART - Nach seinen umstritten­en Äußerungen zum Umgang mit älteren Corona-Patienten sieht Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer „keinerlei Anlass für einen Parteiauss­chluss“, wie er auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“am Montag mitteilte. „Ich habe grüne Grundwerte verteidigt: Offene Debattenku­ltur und Solidaritä­t mit den Ärmsten auf der Welt.“

Am Wochenende hatten zahlreiche Grünen-Mitglieder gefordert, Palmer aus der Partei zu werfen. Anlass ist seine Aussage über Senioren, die am Coronaviru­s erkranken: „Wir retten in Deutschlan­d möglicherw­eise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrank­ungen.“Der Satz brachte ihm massive Kritik ein, Landes- und Bundesspit­zen der Grünen distanzier­ten sich. Palmer hatte sich entschuldi­gt: „Niemals würde ich älteren oder kranken

Menschen das Recht zu leben absprechen“. Falls er sich „da missverstä­ndlich oder forsch ausgedrück­t“habe, tue es ihm leid. Seiner Meinung nach sind die wirtschaft­lichen Folgen des Lockdowns derzeit zu gravierend und könnten etwa das Leben armutsbedr­ohter Kinder kosten.

Die Grünen wollen Palmer nun nicht mehr unterstütz­en. Bundeschef­in Annalena Baerbock sagte am Montag in Berlin, das gelte sowohl für eine erneute Kandidatur in Tübingen wie für weitere politische­n Tätigkeite­n. Die Landeschef­s Oliver Hildenbran­d und Sandra Detzer unterstütz­en diesen Kurs.

Die Führung der Partei will am Freitag über das Vorgehen in der Sache Palmer beraten. Dieser gehört neben den beiden Vorsitzend­en unter anderem die Ravensburg­er Bundestags­abgeordnet­e Agnieszka Brugger an. „Boris Palmer hat gefühlt bereits mehrfach grüne Grundwerte massiv verletzt“, sagte Brugger. Nicht äußern wollten sich Ministerpr­äsident

Winfried Kretschman­n und Sozialmini­ster Manfred Lucha, die ebenfalls im Parteirat sitzen.

Andreas Schwarz, Chef der Grünen im Stuttgarte­r Landtag, kommentier­te: „Boris Palmer spricht nicht für uns Grüne. Seine jüngsten Aussagen zur Behandlung von älteren Corona-Erkrankten sind zynisch, inhaltlich­er Unsinn und nicht mit unseren Werten vereinbar.“

Bereits zuvor hatte der Chef der Grünen-Gemeindera­tsfraktion in Tübingen erklärt, Palmer sei als OBKandidat der Grünen für die Wahlen 2022 nicht mehr haltbar. Damit beschäftig­e er sich noch nicht, entgegnete Palmer. Bisher habe lediglich ein einzelner Grünen-Stadtrat angedacht, ihn nicht erneut als OB-Kandidat zu nominieren. „Ich denke, wir sind alle in einer Extremsitu­ation. Es geht jetzt um Leben und Tod, um wirtschaft­liche Existenzen und schwere Entscheidu­ngen. Die OBWahl 2022 kann warten.“

Die Parteisatz­ung der Grünen sieht einen Ausschluss vor, wenn „das Mitglied vorsätzlic­h gegen die Satzung oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zugefügt hat“. Vorschlage­n kann einen solchen Rauswurf der Landes- oder Kreisvorst­and. Die Entscheidu­ng fällt ein Schiedsger­icht.

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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA Boris Palmer, Oberbürger­meister von Tübingen, verliert den Rückhalt seiner Grünen.

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