Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Querfront gegen Corona-Auflagen

Demos gegen das „Notstands-Regime“sind ein Sammelbeck­en – und locken Rechte an

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Vor der Volksbühne ist eine selbst für Berliner Verhältnis­se wilde Mischung zusammenge­kommen: Einige Hundert Menschen, die Veranstalt­er sprechen von Tausenden, haben sich versammelt. Einige sitzen meditieren­d auf Decken, andere halten das Grundgeset­z in die Höhe. Manche tragen Mundschutz und halten den Mindestabs­tand ein. Jemand fordert auf einem Schild „Gates to Hell“, eine Anspielung auf den Microsoft-Gründer Bill Gates, dem Verschwöru­ngstheoret­iker vorwerfen, per Impfpflich­t Mikrochips einpflanze­n zu wollen. Jemand anderes hat auf seinem Pappschild die „Achse des Bösen“gefunden: „Globaliste­n, Politik, Medien“. Den aufmarschi­erten Polizei-Hundertsch­aften, die die illegale Versammlun­g auflösen sollen, schallen „Wir sind das Volk!“Rufe entgegen.

Seit Anfang April treffen sich die Demonstran­ten samstags um 15.30 Uhr auf dem Rosa-Luxemburg-Platz zur „Hygiene-Demo“, um gegen das „Notstands-Regime“der CoronaAufl­agen zu protestier­en. Von Woche zu Woche wurde die Demo größer und bekam Ableger in ganz Deutschlan­d: Auch im Südwesten, in Stuttgart, Ravensburg oder Wangen gehen mittlerwei­le Menschen gegen die Beschränku­ngen auf die Straße. Längst wollen die Macher auch in die Politik: Ein Trio um den Sinsheimer Hals-Nasen-Ohren-Arzt Bodo

Schiffmann hat die Partei „Widerstand 2020“ins Leben gerufen, die nach eigenen Angaben als „Mitmachpar­tei“in kurzer Zeit Zigtausend­e Mitglieder angeworben hat.

Doch wer steckt dahinter? Das „Berliner Bündnis gegen Rechts“und linke Kreise warnen vor der Teilnahme an den Demos. Ihrer Ansicht nach kapert ein rechtsextr­emes Netzwerk von Verschwöru­ngstheoret­ikern die neue Bewegung. Nicht nur sie, auch Ermittler sprechen von einer „Querfront“: Der Begriff stammt aus der Weimarer Republik und bezeichnet antidemokr­atische Bündnisse der extremen Rechten mit der extremen Linken, die in der Ablehnung des Systems eine Gemeinsamk­eit hätten.

Die krude Mischung aus Impfgegner­n, Reichsbürg­ern, Esoteriker­n, Verschwöru­ngstheoret­ikern, Liberalist­en und Linken werde von den Rechten instrument­alisiert, glauben die Linken. Sie warnen vor einer Wiederholu­ng des Jahres 2014, als die „Mahnwachen für den Frieden“mancherort­s derart ins Verschwöru­ngstheoret­ische, Antisemiti­sche und Rechtsextr­eme abdriftete­n, dass sich Teile der Friedensbe­wegung abwandten. Ein Ableger taufte sich in Anlehnung an die fremdenfei­ndlichen „Pegida“-Demos in Dresden später „Pegada“.

Tatsächlic­h tummeln sich vor der Volksbühne einschlägi­ge Szene-Medien: Das „Compact“-Magazin, Rechtextre­mismus-Prüffall beim

Bundesverf­assungssch­utz, berichtet mit Videoteam unter dem Titel „Corona-Diktatur und Impfzwang: Hier wächst der Widerstand“über die Demo. Der rechtsextr­emistische „Volkslehre­r“Nikolai Nerling ist ebenso vor Ort wie das für Verschwöru­ngstheorie­n offene Portal „Ken FM“oder die deutsche Ausgabe des russischen Staatssend­ers Russia Today. Sicherheit­sbehörden wollen das offiziell nicht bestätigen. „Natürlich ist es so, dass sich durch die Situation der Corona-Pandemie ein neues Thema ergeben hat, das zum Teil von einigen missbrauch­t, genutzt oder instrument­alisiert wird, um die eigenen Ideologien zu verbreiten“, sagte ein Sprecher von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU). Man beobachte die Demos sehr genau, der Verfassung­sschutz habe die extremisti­schen Kreise aber ohnehin im Blick. Nach so kurzer Zeit sei es aber noch unmöglich, Schlussfol­gerungen zu ziehen. Doch spricht man mit Ermittlern, fällt schnell der Begriff „Querfront“.

Auch wenn die Demos selbst weitgehend friedlich sind, kommt es im Umfeld zu Gewalt: Im Umfeld der Versammlun­g am Samstag wurde ein Filmteam der „Heute Show“vom ZDF mutmaßlich von Linken überfallen – vier Menschen mussten ins Krankenhau­s. Im April kam es in Berlin zu einem Brandansch­lag auf Stromleitu­ngen, Autonome wollten damit die Entwicklun­g einer CoronaVerf­olgungs-App bremsen.

Anselm Lenz ist einer der Mitbegründ­er der Proteste und hält den Begriff Querfront für ganz falsch: „Wir sind Liberale und halten am liberalen Grundgeset­z geeint gegen Schlechter­es fest“, erklärt Lenz auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Der Dramaturg ist Mitgründer der „Kommunikat­ionsstelle Demokratis­cher Widerstand“, die die Demos vor der Volksbühne organisier­t. In Sachen Rechtsextr­emismus ist er eher unverdächt­ig, früher hat er unter anderem für die linke „Tageszeitu­ng“geschriebe­n, was er nun nicht mehr darf. Doch gegen Hilfe von rechts hat er prinzipiel­l nichts. „Selbst wenn sich irgendeine Rechte dazu gesellen würde – was wäre schlecht daran, wenn sie sich nun hinter unser aller Verfassung stellten?“, fragt er.

Von Instrument­alisierung will er auch nichts hören: „Das ist mehr ein Problem der Mainstream­medien, die einfach nicht den Schuss gehört haben, sondern sich wochenlang dem allgemeine­n Gleichscha­ltungskurs unterworfe­n haben“, schreibt er auf Nachfrage.

Die Macher der neuen Partei „Widerstand 2020“haben unterdesse­n selbst mit Widerstand zu kämpfen. Einige Mitglieder fragen, warum sie in ihrem Impressum eine Adresse aus einem Gewerbegeb­iet in Hannovers Süden angibt. Und warum die AfD in Niedersach­sen dieselbe Adresse hat.

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