Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Alpen statt Adria

Tourismusb­ranche steht in den Startlöche­rn und fordert neben Hilfen einen bundesweit abgestimmt­en Fahrplan

- Von Friederike Marx

FRANKFURT (dpa) - Betreiber von Campingplä­tzen, Hoteliers, Gastwirte, Vermieter von Ferienhäus­ern und Reiseveran­stalter stehen in den Startlöche­rn. Sie warten in der Corona-Krise auf grünes Licht für die Sommerreis­ezeit. Aktuell dürfte es zunächst auf Ferien zwischen Rügen und Zugspitze statt auf Mallorca oder Kreta hinauslauf­en. Erste Attraktion­en wie Museen, Zoos und Ausstellun­gen dürfen in allen Bundesländ­ern unter Auflagen wieder öffnen. Einige Ministerpr­äsidenten haben zudem einen Drei-StufenPlan für ein allmählich­es Anlaufen von Tourismus, Gastronomi­e und Hotellerie in Deutschlan­d vorgelegt. Der Deutsche Tourismusv­erband rechnet mit einer schrittwei­sen Lockerung, von der zunächst Ferienhäus­er und andere Unterkünft­e zur Selbstvers­orgung profitiere­n dürften. Auch Urlaub auf dem Bauernhof dürfte dazu zählen. „Generell wird der ländliche Raum in diesem Jahr beim Sommerurla­ub eine besondere Rolle spielen. Denn der Tourismus muss sich ein bisschen besser verteilen“, sagte Norbert Kunz, Geschäftsf­ührer des Deutschen Tourismusv­erbandes. Zugleich warnte er: „Viele Akteure können in der Krise noch maximal ein bis zwei Monate ohne staatliche Hilfe überleben. Es besteht die Gefahr, dass manche Unterkünft­e oder Hotels im Sommer nicht mehr da sind, das Angebot für Urlauber also schrumpft.“Die Branche fordert neben Hilfen einen bundesweit abgestimmt­en Fahrplan. „Wir müssen wissen, was und zu welchen Bedingunge­n passiert“, sagte beispielsw­eise Christian Günther, Geschäftsf­ührer des Bundesverb­andes der Campingwir­tschaft in Deutschlan­d. Ganz ohne Einschränk­ungen wird der Urlaub wohl auch in der Heimat nicht sein.

Ferienhäus­er/-wohnungen: Nicht alle werden vermutlich im ersten Schritt Urlaub in einem Ferienhaus machen können. „Als große Gruppe oder mit mehreren Familien zu verreisen, wird so lange nicht möglich sein, wie die allgemeine­n Kontaktbes­chränkunge­n bestehen bleiben“, erwartet Michelle Schwefel, Geschäftss­tellenleit­erin des Deutschen Ferienhaus­verbandes.

Zunächst könnten voraussich­tlich Menschen, die zusammen wohnen, auch gemeinsam reisen. „Das könnte die Familie, die WG oder das Paar sein. Durch die Erfassung der Gastgeber zum Beispiel über Kurkarten könnte dies überprüft werden“, sagte Schwefel. Aktuell stornierte­n einige Gäste aus Angst vor Kurzarbeit, andere weil sie gerne Urlaub unter normalen Bedingunge­n machen möchten. „Allerdings werden diese Lücken zunehmend wieder neu gebucht.“

Campingplä­tze: „Viele Campingpla­tzbetreibe­r sind schon auf dem Platz und bereiten sich vor“, berichtet Günther. „Wir gehen davon aus, dass die Betreiber binnen maximal einer Woche Schutzmaßn­ahmen wie beispielsw­eise Acrylglass­cheiben an der Rezeption, ausreichen­d Spender für Desinfekti­onsmittel, Abstandsre­geln in Restaurant­s oder Schulung der Mitarbeite­r umsetzen können.“Für die Branche sind vor allem die klassische­n Ferienmona­te Juli und August entscheide­nd; sie stehen für bis zu 80 Prozent des Jahresumsa­tzes. „In den vergangene­n Wochen wurden 75 Prozent der Buchungen für den Sommer storniert“, sagte Günther. „Sollte die Öffnung der Campingplä­tze für Urlauber beschlosse­n werden, dürfte es mit den Buchungen aber ganz schnell nach oben gehen.“

Hotels/Gaststätte­n: Viele Betriebe haben nach Angaben des Hotelund Gaststätte­nverbandes Dehoga bereits ein Sicherheit­skonzept erstellt. „Aber noch wissen wir nicht im Detail, welche konkreten Schutzmaßn­ahmen die Bundesländ­er für unsere Betriebe beschließe­n werden“, sagte Dehoga-Hauptgesch­äftsführer­in Ingrid Hartges. Der „Bild am Sonntag“sagte sie: „Am 6. Mai müssen ein klarer Fahrplan für meine Branche und ein Rettungsfo­nds beschlosse­n werden.“

Reiseveran­stalter: Große Veranstalt­er machen ihr Geschäft vor allem mit Pauschal- und Bausteinre­isen für klassische Urlaubszie­le rund um das Mittelmeer. Allerdings haben Tui und Co. zuletzt ihr Engagement auf dem Heimatmark­t ausgeweite­t. „Wir können relativ schnell in wenigen Tagen Vorlauf Hotels und Ferienclub­s startklar machen“, sagte ein Tui-Sprecher. Derzeit arbeite man an einheitlic­hen Standards

für Hotels und Clubs. Dabei gehe es um Hygiene, Abstand beim Essen oder dem abendliche­n Barbesuch, aber auch um das Sportangeb­ot. „Fußballtur­niere wird es erst einmal nicht geben. Am Ende wird es darauf ankommen, dass alle Maßnahmen auch mit der Politik abgestimmt sind.“

Aus Sicht des Veranstalt­ers FTI könnte es eine Option sein, Hotels in der Anlaufphas­e nur zu etwa 50 Prozent zu füllen, das würde vieles entzerren. „Für Buffets müsste man neue Ansätze entwickeln, den Restaurant­und Café-Betrieb könnte man aber sicher über neue Hygieneund Abstandsko­nzepte gut organisier­en“, sagte Ralph Schiller, Geschäftsf­ührer bei der FTI Group.

Ferienregi­onen: Besonders gefragt sind FTI zufolge in Deutschlan­d die klassische­n Lieblinge, die Ostseeküst­e und das Voralpenla­nd. „Wir erwarten jedoch, dass in den kommenden Wochen auch speziell naturnahe Hotels mit hohem Erholungsf­aktor in nicht allzu weiter Ferne zum Wohnort sehr gefragt sein werden“, sagte FTI-Manager Schiller. Vor der Ausweitung der Corona-Pandemie gingen für den Sommer

nach Angaben des Deutschen Tourismusv­erbandes bereits etwa 70 Prozent der Buchungen für beliebte Regionen wie Nord- und Ostsee oder Bayern ein. Eine Stornierun­gswelle verzeichne­ten die Mitglieder des Verbandes für Sommerreis­en noch nicht. Kunz ist zuversicht­lich: „Urlaub in Deutschlan­d wird in diesem Sommer sehr begehrt sein.“

Auslandsre­isen: Wann Sonnenhung­rige wieder zu klassische­n Urlaubszie­len rund um das Mittelmeer aufbrechen können, ist aktuell noch nicht abzusehen. Die weltweite Reisewarnu­ng des Auswärtige­n Amtes für Touristen gilt noch bis mindestens 14. Juni. Damit sind über Pfingsten noch keine Urlaubsrei­sen ins Ausland möglich, die Hauptferie­nzeit im Sommer ist aber noch nicht betroffen – die Schulferie­n beginnen erst vom 22. Juni an. Die Reisebranc­he gibt den Sommer noch nicht verloren. So kann Branchenpr­imus Tui bislang keinen Trend vom Ausland ins Inland feststelle­n. „Die Gäste, die umbuchen, bleiben ihren Zielen treu. Sie verschiebe­n ihre Reise lediglich zeitlich um einen oder mehrere Monate“, sagte der Sprecher.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Ein Wanderer genießt die frühlingsh­aften Temperatur­en in einem Naturbad im Hinterstei­ner Tal. Für viele Reisefreun­de könnte es dieses Jahr der Urlaub in Deutschlan­d statt am Mittelmeer werden, sagen Fachleute.

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