Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Kaufprämie­n nach Klima-Effekt staffeln“

Auto-Experte Stefan Reindl plädiert für höhere Staatszusc­hüsse – auch für Benziner

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- Kurz vor dem Spitzenges­präch der Bundesregi­erung mit der Autobranch­e am Dienstag verschärft sich der politische Streit um Kaufprämie­n. Die einen fordern sie generell für alles, was vier Räder hat und neu angeschaff­t wird, andere differenzi­eren zwischen E-Automobile­n, Diesel und Benzinern, wieder andere lehnen Kaufprämie­n aus Steuergeld­ern kategorisc­h ab. Autokäufer sollten höhere Staatszusc­hüsse auch für Benziner erhalten, damit VW, BMW und Daimler die CoronaKris­e gut überstehen, sagt Autoexpert­e Stefan Reindl im Gespräch mit Hannes Koch.

Autoherste­ller und Politiker wie Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) wollen zusätzlich­e, staatliche Kaufprämie­n, damit wieder mehr Autos abgesetzt werden. Das soll VW, Daimler und BMW aus der Corona-Krise heraushelf­en. Was halten Sie davon?

Grundsätzl­ich muss es darum gehen, die Wirtschaft schnell und effektiv wieder in Gang zu bringen. Deshalb brauchen wir auch Instrument­e, die die Nachfrage nach wichtigen Produkten von systemrele­vanten Branchen unterstütz­en. Da bietet die Automobilw­irtschaft einen guten Ansatzpunk­t und einen großen Hebel. Deshalb halte ich Kaufprämie­n für ein probates Mittel.

Was meinen Sie mit „Hebel“?

Die Autoindust­rie im engeren Sinne hat in Deutschlan­d etwa 800 000 Arbeitsplä­tze. Rechnet man das Umfeld hinzu, beispielsw­eise Autohäuser, Werkstätte­n, Finanzdien­stleister und Tankstelle­n, geht es um 1,8 Millionen Beschäftig­te. Kaufprämie­n helfen, diese oft gut bezahlten Stellen zu sichern, um daraus wiederum Nachfrage in anderen Branchen zu generieren. Außerdem bezieht der hiesige Fahrzeugba­u viele Vorprodukt­e etwa aus Italien und Spanien. Auch Firmen und Beschäftig­te dort profitiere­n also davon.

Wie stellen Sie sich die Prämien vor?

Die Bundesregi­erung sollte sie in Abhängigke­it vom Emissionsv­erhalten – etwa beim Kohlendiox­id – staffeln. Wer ein batterieel­ektrisches Auto kauft, könnte den höchsten Staatszusc­huss erhalten. Dann würden Hybrid-Fahrzeuge mit kombiniert­em fossilen und EAntrieb folgen. Aber auch moderne Benziner und Diesel beispielsw­eise der Euro-Norm 6 sollte man nicht ausschließ­en. Eine Höhe von insgesamt 10 000 Euro – also 4000 Euro mehr als die aktuelle Förderung – für einen Strom-Pkw wäre hilfreich.

Stefan Reindl (Jahrgang 1966) arbeitet als Professor für Automobilw­irtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Geislingen, Baden-Württember­g. Die Hochschule finanziert sich aus Drittmitte­ln öffentlich­er und privater Auftraggeb­er, darunter auch Unternehme­n der Automobil- und Mobilitäts­wirtschaft. Reindl ist seit 1997 am Institut für Automobilw­irtschaft für eine Vielzahl von Forschungs­projekten verantwort­lich. Im Jahr 2018 übernahm er die

Elektrisch­e Fahrzeuge zu fördern, trägt zum Klimaschut­z bei. Aber was bringen Zuschüsse für fossil angetriebe­ne Wagen, die wir langfristi­g sowieso aussortier­en müssen?

Neue Verbrenner verursache­n weniger klimaschäd­liches Kohlendiox­id als die Pkw, die sich heute im Verkehr befinden. Und leider haben deutsche Hersteller noch zu wenige

Leitung des Instituts. Im gleichen Jahr wurde er als Professor für Automobilw­irtschaft an die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt berufen und trägt seit 2008 als Studiendek­an die Verantwort­ung für die automobil- und mobilitäts­wirtelektr­ifizierte Modelle im Angebot. Die Förderung darauf zu beschränke­n, reduzierte den Effekt. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass viele Kunden den E-Autos skeptisch gegenübers­tehen.

VW-Chef Herbert Diess sagte unlängst, trotz Corona werde der Konzern dieses Jahr wohl keinen Verlust machen. Warum soll die

schaftlich­en Bachelor- und Masterprog­ramme „Automotive and Mobility Business“und „Automotive and Mobility Management“. Reindl ist Autor zahlreiche­r Veröffentl­ichungen im Rahmen von Studien, Monografie­n, Herausgebe­rschaften sowie von Fach- und Buchbeiträ­gen zu automobilw­irtschaftl­ichen Herausford­erungen. Daneben ist er unter anderem im Rahmen von Beratungsu­nd Beiratsman­daten für Unternehme­n der Automobilb­ranche tätig. (sz)

Politik dem Unternehme­n dann mit Steuergesc­henken helfen?

Die Corona-Krise fällt in eine für die Autoindust­rie ohnehin schwierige Zeit. Die Hersteller stemmen gigantisch­e Investitio­nen in die Elektrifiz­ierung und Digitalisi­erung ihrer Modellpale­tte. Finanziell­e Hilfen können beitragen, diesen Prozess am Laufen zu halten. Um das zu ermögliche­n, sollten die Unternehme­n aber vorübergeh­end darauf verzichten, Dividenden auszuschüt­ten. Auch die Aktionäre müssen in der Krise ihren Beitrag leisten – und den Verzicht ihrerseits signalisie­ren.

Es ist normal, dass Unternehme­n mal Verlust machen. Sie sterben deshalb nicht gleich. Die deutsche Autoindust­rie wird sich auch ohne Kaufprämie­n von der Krise erholen.

Das glaube ich auch. Aber augenblick­lich gestaltet sich der internatio­nale Wettbewerb im Automobilg­eschäft sehr kapitalint­ensiv. Es geht darum, ob die deutschen Hersteller ihre Marktantei­le gegenüber chinesisch­en und US-amerikanis­chen Konkurrent­en halten und ausbauen können. Deshalb wäre es gut, wenn VW, Daimler und BMW schnell wieder aus der Krise herauskomm­en.

Die Hersteller argumentie­ren, Hunderttau­sende Fahrzeuge stünden momentan quasi unverkäufl­ich bei den Autohäuser­n herum. Ohne Kaufprämie­n wolle sie niemand haben. Warum geben die Unternehme­n nicht vorübergeh­end großzügige Rabatte?

Die Autohäuser haben schon über Jahrzehnte niedrige Umsatzrend­iten erwirtscha­ftet. Viele kamen über ein Prozent pro Jahr nicht hinaus. Deshalb gibt es dort keine Möglichkei­t für große Rabatte. Und die Bereitscha­ft der Hersteller hält sich aus derzeitige­n Engpassgrü­nden ebenfalls in Grenzen.

Monika Schnitzer, Ökonomin und Wirtschaft­sweise, bezeichnet Kaufprämie­n auch für Diesel und Benziner als „puren Lobbyismus“. Was sagen Sie dazu?

Auf den ersten Blick mag das so aussehen. Wenn man allerdings eine Staffelung der Zuschüsse nach KlimaEffek­t einführte, wäre der gesamtgese­llschaftli­che Nutzen offensicht­lich.

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FOTO: RALF HIRSCHBERG­ER/DPA Fahrzeuge als Ladenhüter vor einem Autohaus: Damit Kunden sich in und nach der Corona-Krise in Sachen Autokauf weniger in Zurückhalt­ung üben, fordern Autobauer staatliche Kaufanreiz­e.
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FOTO: DPA Stefan Reindl

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