Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Wo Goldhahnenfuß und Zwergdeckelschnecke gedeihen
Stadtleben, exklusiv und erstaunlich: In München gibt es Pflanzen und Tiere, die sonst nirgendwo zu finden sind
MÜNCHEN (dpa) - Mitten in der Stadt hat sich in München eine weltweit einzigartige Flora und Fauna entwickelt. Im Norden der Landeshauptstadt lebt etwa eine nur dort entdeckte Schneckenart – und an verschiedenen Stellen im Stadtgebiet sprießt der Ranunculus monacensis, der Münchner Goldhahnenfuß. Das gelbe Blümchen blühe seit ein paar Tagen, sagt Andreas Fleischmann von der Botanischen Staatssammlung München, der Vorsitzende der Bayerischen Botanischen Gesellschaft.
Die Bayerische Zwergdeckelschnecke (Sadleriana bavarica) wiederum lebt eher im Verborgenen. Das nur etwa zwei bis vier Millimeter große Tier, das sein Haus mit einem Deckel verschließen kann, siedelt in einem Quelllauf der Isar im Münchner Norden im edlen Stadtteil Bogenhausen, wie der Experte für Weichtiere an der Zoologischen Staatssammlung, Michael Schrödl, berichtet. Die Schnecke ist bislang das einzige Tier, das Forscher nur für München beschrieben haben. Allerdings heißt das nicht, dass es nicht weitere geben könnte: Denn nur zehn bis 20 Prozent aller Arten – Tiere, Pflanzen, Mikroben, Pilze und Viren – seien überhaupt bekannt, sagt Schrödl, der zur Erforschung der Artenvielfalt eine gemeinnützige „Artenforschungsfirma“gegründet hat.
Bei den Pflanzen hatte München hingegen schon früher einmal – wissenschaftlich belegbar – noch zwei weitere ureigene Gewächse zu bieten: Bis vor einigen Jahrzehnten gab es laut Andreas Fleischmann einen weiteren Goldhahnenfuß namens
Ranunculus constans, zu deutsch: Gleichblättriger Goldhahnenfuß, der wiederum nur im Hofgarten vorkam, unweit des Sitzes der bayerischen Staatsregierung. Doch plötzlich sei er verschwunden gewesen, berichtet der Botaniker. „Er gilt als verschollen seit 1950. Seitdem hat ihn niemand mehr gesehen. Wir vermuten, dass er ausgestorben ist.“Die Gründe liegen im Dunkeln.
Klarer hingegen ist die Ursache für das Verschwinden einer weiteren München-Pflanze. Die Münchner Primel – Primula auricula var. monacensis – ging vermutlich ein, als die Moore im Norden Münchens trockengelegt wurden. „Das letzte Exemplar im Erdinger Moos wurde im Frühjahr 1979 gefunden“, sagt Andreas Fleischmann. Verwandte Primeln gebe es auch in den Alpen – der Laie könne die Pflanzen allerdings kaum auseinanderhalten. „Da muss der Spezialist hinschauen.“Immerhin überlebte Primula auricula var. monacensis im Botanischen Garten unter der Pflege der dortigen Fachleute. Wahrscheinlich hatte sich die Primel während der Eiszeit in Mooren angesiedelt. Andreas Fleischmann: „Während der Eiszeiten waren die Alpen vergletschert, Pflanzen und Tiere sind vor dem Gletscher hergewandert.“Als sich das Eis wieder zurückzog, seien manche Arten geblieben.
Ähnlich könnte es auch die Bayerische Zwergdeckelschnecke auf das heutige Gebiet der Landeshauptstadt verschlagen haben. Im Münchner Norden hatte die Riß-Eiszeit vor 130 000 bis 300 000 Jahren Moränenhügel hinterlassen, erläutert der Weichtier-Experte Schrödl. „Deshalb kann man annehmen, dass die Bayerische Zwergdeckelschnecke ein Relikt aus dieser Eiszeit ist.“
Entdeckt in den 1980er-Jahren, sei die Schnecke bis heute nirgends anders nachgewiesen worden. „Es kommt immer wieder vor, dass man bestimmte Arten nur in bestimmten Gebieten findet“, so Michael Schrödl. Aber: „Ein derart kleinräumiges Vorkommen einer Art ist sehr ungewöhnlich.“Die Bayerische Zwergdeckelschnecke war laut Michael Schrödl sogar schon als Münchens Wappentier im Gespräch. Auf Dauer könnte sie nun allerdings der Klimawandel bedrohen. Denn sie braucht genügend Wasser. Zu heiß und zu trocken bekommt ihr nicht gut.