Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Heimat ohne Idylle

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Freundlich klingt das nicht, wenn einer von einer „Bagage“spricht. Wer das sagt, blickt auf jemanden herab – auf Leute, die anders sind, anders leben. Auch die Moosbrugge­rs werden von den Leuten im Dorf nur „die Bagage“genannt – weil sie mehr Kinder haben, weil sie ärmer sind, und weil Maria all die Bauers- und Kaufmannsf­rauen drunten im Tal mit ihrer Schönheit in den Schatten stellt.

Monika Helfer setzt in ihrem neuen Roman dieser „Bagage“ein literarisc­hes Denkmal. Es ist eine Spurensuch­e in ihrer eigenen Familienge­schichte. Denn die schöne Maria, die allen Männern den Kopf verdreht und ihren ebenso attraktive­n Mann Josef liebt, war Monika Helfers Großmutter. Von Anfang an macht die mit vielen Auszeichnu­ngen geehrte Vorarlberg­er Autorin deutlich, dass ihr die Nachfragen und Nachforsch­ungen keine Gewissheit gegeben haben. Die Erzählerin bleibt immer beim „So könnte es gewesen sein“. Zum Beispiel mit diesem Kind, das da mitten im Ersten Weltkrieg zur Welt kam, obwohl Ehemann Josef doch als Soldat im Feld stand. Wer war der Vater der kleinen Margarethe, die Monika Helfers Mutter werden wird? Der blonde Fremde aus Hannover, der eines Tages auf dem Berg auftauchte oder doch Marias Mann Josef? Schließlic­h hat er – überrasche­nd für alle – Urlaub von der Front bekommen.

Monika Helfer gelingt es, auf gerade einmal 159 Seiten, eine berührende Familienge­schichte zu erzählen. Aber nicht nur das: „Die Bagage“ist auch ein Sittengemä­lde des Lebens von 1914 bis heute. Bedrückend sind die Schilderun­gen vom harten Leben einfacher Leute weit entfernt von jeglicher Heimatroma­nidylle. (bami)

Monika Helfer: Die Bagage. Hanser Verlag. 160 Seiten. 19 Euro.

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