Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Skandalvideo und Maulkorb
Berlin verstört mit Verordnungsverstößen, die DFL fordert die Clubs zum Schweigen auf
BERLIN (dpa/SID) - Gleich zehn Corona-Fälle bei der ersten Testwelle mit 1724 Personen im Profifußball – und ein brisantes Facebook-Video von Hertha-Stürmer Salomon Kalou. Mit diesen Bürden gehen die Deutsche Fußball Liga und die 36 Clubs der 1. und 2. Bundesliga in die Woche der erhofften Entscheidung der Politik über Geisterspiele zur Fortsetzung der Spielzeit. Kalous Bilder aus dem Kabinentrakt der Berliner konterkarieren jedoch die Hygienevorschriften der DFL-Task-Force. Sie sorgten für große Aufregung in den sozialen Netzwerken und für Entsetzen bei Hertha und der Dachorganisation.
Handschlag mit den Kollegen, kein großer Abstand beim Corona-Test und dann auch noch Lästereien über den Gehaltsscheck im Kabinenspind: Mit seinem Video gab Kalou nicht nur ungewöhnliche Einblicke in die Trainingsabläufe bei Hertha BSC, er dokumentierte auch Szenen, die rechtliche Folgen haben dürften – andernorts in Europa setzt es für solche Vergehen fünfstellige Bußgelder.
Auf dem am Montag veröffentlichten Video des 34 Jahre alten Stürmers ist zu sehen, wie bei seinem ob der Kamera-Situation überraschten Mitspieler Jordan Torunarigha eine Probe für einen Corona-Test genommen wird. Kalou befindet sich im gleichen Raum und erwidert auf die Aufforderung des Testnehmers, das Video zu löschen: „Ich mache nur Spaß.“Zuvor hatte er einen wilden „Corona-Gesang“angestimmt.
Die Deutsche Fußball Liga kritisierte das Verhalten des Ivorers umgehend scharf. „Die Bilder von Salomon Kalou sind absolut inakzeptabel. Hierfür kann es keine Toleranz geben – auch mit Blick auf Spieler und Clubs, die sich an die Vorgaben halten, weil sie die Ernsthaftigkeit der Situation erfasst haben“, twitterte der ProfiDachverband. Bereits am Nachmittag war das Video nicht mehr online.
Kalou filmte auch Gespräche in der Umkleidekabine, etwa mit Vedad Ibisevic. Während der Sequenz gibt er immer wieder Mitspielern und Mitarbeitern die Hand. Der Film konterkariert die DFL-Mühen, mit peniblen Regeln eine baldige Wiederaufnahme der Saison zu ermöglichen. Am Mittwoch wird die Regierung über einen Neustart noch im Mai befinden.
Im Konzept der „Task Force Sportmedizin/Sonderspielbetrieb“der DFL heißt es, dass für den Trainingsbetrieb in Gemeinschaftsräumen Mindestabstände von zwei Metern einzuhalten sind und Spieler sich möglichst zu Hause umziehen sollen. Hertha verstieß definitiv dagegen.
Am Sonntag hatte der Club erklärt, er habe keine positiven Corona-Tests.
Beim Kabinengespräch der Hertha-Profis ging es auch um die Gehaltszahlungen, die offenbar geringer ausgefallen sind als beim Verzicht wegen der Corona-Krise mit dem Verein vereinbart. Kalou winkt mit dem Gehaltsbrief in die Kamera. Seine 25-minütige Aufnahme begann er mit der Fahrt zum Trainingsgelände durch Berlin, er erinnerte auch an den Triumph in der Champions League mit dem FC Chelsea 2012 gegen Bayern. Von ExTrainer Jürgen Klinsmann war Kalou aussortiert worden, ein Weggang kam nicht zustande. Unter Bruno Labbadia nimmt er wieder am Training teil.
Hertha teilte am Abend mit, dass Kalou ab sofort vom Trainings- und
Spielbetrieb suspendiert sei. Dessen Entschuldigung („Es tut mir leid, wenn ich mit meinem Verhalten den Eindruck erweckt habe, dass ich Corona nicht ernst nehme“) brachte also nichts mehr. Gleichzeitig redeten sich die Berliner ein wenig heraus: „Die Tatsache, dass andere Teammitglieder ihn nicht auf diese Verfehlung aufmerksam gemacht haben und stattdessen den Gruß per Handschlag erwidert haben, verdeutlicht, dass die regelmäßigen Hinweise auf die Abstandsund Hygieneregeln noch intensiver ausfallen müssen.“
Nach dem Wirbel um die drei positiven Fälle beim 1. FC Köln hatte die DFL die Vereine am Morgen zum Schweigen verdonnert und die Ergebnisse der ersten Testreihe selbst gesammelt veröffentlicht – ohne die zehn positiven Fälle den Clubs zuzuordnen. Zweitligist Dynamo Dresden teilte mit, dass ein Spieler betroffen sei. Am Freitag war bekannt geworden, dass zwei Kölner Spieler und ein Betreuer positiv waren. Weitere Kölner steckten sich nicht an, teilte der FC nach der zweiten Testreihe am Montag mit. „Die entsprechenden Maßnahmen, etwa die Isolation der Betroffenen inklusive Umfelddiagnostik, wurden durch die Clubs nach den Vorgaben der örtlichen Gesundheitsbehörden unmittelbar vorgenommen“, teilte die DFL mit.
Neben den beiden Testwellen, die Teil des Hygienekonzepts der DFL
sind, wurde in Abstimmung mit dem Bundesarbeitsministerium nun auch „ein verpflichtendes Trainingslager unter Quarantäne-Bedingungen vor einer möglichen Fortsetzung des Spielbetriebs“integriert. Die zweite Testwelle ist bereits angelaufen. Um am Teamtraining teilzunehmen, muss ein Profi zwei negative Tests vorweisen. Als erstes Team trainierte am Montag der Ligaletzte Paderborn als Mannschaft, Leipzig will heute folgen.
Die DFL riet den Clubs, bis zu ihrer Veröffentlichung „von eigenen Verlautbarungen abzusehen und auf diese zu verweisen“. So hieß es in einer Mail von DFL-Direktor Ansgar Schwenken, die der „Kicker“unter dem Titel „DFL verhängt Corona-Maulkorb für die Vereine“veröffentlichte.
Zuletzt waren am Konzept der DFL und den Maßnahmen des 1. FC Köln Zweifel aufgekommen. Der belgische FC-Mittelfeldspieler Birger Verstraete hatte öffentlich Bedenken geäußert. Später musste er seine Kritik auf Druck seines Clubs relativieren.
Die DFL hofft auf eine positive Entscheidung, wenn sich Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch mit den Ministerpräsidenten berät. Das Sicherheitskonzept des Fußballs für einen Spielbetrieb ohne Zuschauer habe „Markus Söder und mich überzeugt, inzwischen auch andere Ministerpräsidenten und die Bundesregierung“, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet am Montagmittag. Da war allerdings der Vorfall in Berlin noch nicht bekannt.
j.schattmann@schwäbische.de