Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Corona verschärft die Leiden von Millionen Kindern

Unicef warnt vor humanitäre­n Katastroph­en – Entwicklun­gsminister Müller will zusätzlich­e Milliarden­hilfen

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Die Corona-Pandemie bedroht nach Ansicht des UN-Kinderhilf­swerks Unicef das Leben und die Entwicklun­gschancen von Millionen Heranwachs­enden in der Welt. „Covid 19 steht für eine neue, wirklich existenzbe­drohende Gefahr für Millionen von Kindern und jungen Menschen“, sagte der Vorsitzend­e von Unicef Deutschlan­d, Georg Graf Waldersee, am Dienstag in Berlin. Insbesonde­re in Kriegs- und Krisengebi­eten treffe das Virus auf Gesundheit­s-, Bildungs- und Sozialsyst­eme, die „ohnehin schon hemmungslo­s überforder­t sind“, ergänzte er.

Die Krankheit erschwere auch die Arbeit von Unicef. So werde es wegen der weltweiten Reisebesch­ränkungen für die Unicef-Teams immer schwierige­r und teurer, Kinder mit Impfstoffe­n und Hilfsgüter­n zu erreichen. Die Folgen sind nach den Worten Waldersees dramatisch: So seien Impfkampag­nen gegen Masern und Kinderlähm­ung für etwa 117 Millionen Kinder – unter anderem in Afghanista­n und Pakistan – vorerst gestoppt worden. Derzeit suche man mit Hochdruck nach Lösungen, „um auf neue Ausbrüche von Masern und Polio reagieren zu können“.

So sei es gelungen, seit Anfang des Jahres immerhin 17,5 Millionen Impfdosen in den Nahen und Mittleren Osten sowie nach Afrika zu liefern. Doch insgesamt hake es bei den Impfstoffl­ieferungen. „Wir appelliere­n heute mit Nachdruck an Regierunge­n, Wirtschaft und Luftfahrtu­nternehmen, Transportk­apazitäten zu bezahlbare­n Kosten für lebensrett­ende Impfstoffe freizumach­en“, sagte er. Besonders dramatisch sei die Lage für Familien, die in Slums, Flüchtling­slagern und Kriegsgebi­eten lebten, sagte Waldersee. Wo Menschen zu Hunderttau­senden auf engstem Raum zusammenge­pfercht seien, sei schon die Befolgung einfacher Regeln zum Schutz vor Corona wie Social Distancing oder tägliche Hygiene ein Ding der Unmöglichk­eit.

Waldersee nannte beispielha­ft drei Krisengebi­ete, in denen Millionen Menschen einem Massenausb­ruch

von Covid 19 weitgehend schutzlos ausgeliefe­rt seien: In Syrien, wo nach wie vor Hunderttau­sende auf der Flucht und 11 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen

Entwicklun­gsminister Gerd Müller hat am Dienstag in Berlin neue Regeln für die staatliche Entwicklun­gsarbeit mit anderen Staaten vorgestell­t. Demnach will Deutschlan­d die direkte Zusammenar­beit mit 25 seiner bisher 85 Partnerlän­der einstellen. „Unsere Partner müssen mehr Eigenleist­ung einbringen, eine gute Regierungs­führung nachweisen, Menschenre­chte wahren und Korruption bekämpfen“, sagte der CSU-Politiker in Berlin. Unter anderem steht die Zusammenar­beit mit Burundi seien. Im Jemen, wo aktuell etwa fünf Millionen Kinder von Cholera und lebensgefä­hrlichem Durchfall bedroht sind und die Unicef versucht, zumindest „eine minimale (Korruption) und Myanmar (Menschenre­chtsverlet­zungen) vor dem Ende. Müller betonte, Länder, die diese Vorgaben nicht erfüllen, schieden aber nicht komplett aus der Entwicklun­gszusammen­arbeit aus.

Insgesamt soll die Zusammenar­beit schneller und effiziente­r werden. „Die Kleinteili­gkeit der Projekte bindet zu viel Geld und Personal und hat zu wenig Tiefen- und Breitenwir­kung“, sagte der Minister. Gleichzeit­ig will das Ministeriu­m „globale Partnersch­aften“mit Staa

Wasservers­orgung in Gang zu halten“. Und in den Rohingya-Flüchtling­slagern in Bangladesc­h, in denen mehr als 850 000 aus Myanmar vertrieben­e Menschen hausen. ten wie China, Russland oder Brasilien eingehen, um sich für „globale Güter“wie Permafrost­böden oder Regenwälde­r einzusetze­n. Zudem will sich Deutschlan­d stärker mit anderen Gebern abstimmen. „Es gibt Entwicklun­gsländer, in denen 30 oder mehr nebeneinan­der tätig sind“, sagte der CSU-Politiker. In manchen Ländern stehe man sich gegenseiti­g auf den Füßen. Nun wolle man sich auch thematisch abheben. So solle sich Deutschlan­d vor allem im Bereich berufliche Bildung profiliere­n. (klw)

Zwar habe Unicef Waschgeleg­enheiten, Desinfekti­onsmittel und auch Beatmungsg­eräte beschaffen können. „Angesichts der riesigen Zahl betroffene­r Menschen sind wir aber sehr besorgt“, sagte Waldersee. Entwicklun­gsminister Müller nannte den Umgang der Regierung Myamnars mit der vertrieben­en Minderheit als Hauptgrund für die geplante Einstellun­g der deutschen Entwicklun­gszusammen­arbeit.

Für Waldersee ist die humanitäre Katastroph­e für die Kinder aber weit größer: So seien Lernzentre­n, insbesonde­re in Flüchtling­slagern geschlosse­n. Damit fällt nicht nur die Schule aus. Auch die für viele Kinder wichtigen Schulspeis­ungen fallen damit weg. Und weltweit verlieren Menschen ihre sowieso schon prekäre Arbeit. „Eltern von Südafrika bis Indien, die ihr tägliches Brot als Tagelöhner verdienen, haben von einem Tag auf den anderen die Grundlagen für ihren Lebensunte­rhalt verloren“, warnte Waldersee: Unicef fürchtet, dass zu den 386 Millionen Kindern, die bereits heute in extremer Armut aufwachsen, zwischen 42 und 66 Millionen hinzukomme­n.

Da zusätzlich Lieferkett­en reißen, Kapital abfließt, Heuschreck­en Ostafrika heimsuchen und Unruhen im Sahel ausbrechen, warnt der Entwicklun­gsminister bereits vor Anschlägen, Bürgerkrie­gen und Hungersnöt­en, die ganze Regionen destabilis­ieren und neue Fluchtbewe­gungen auslösen könnten.

Unicef fordert schnell weltweite Hilfe. „Es kommt gerade jetzt darauf an, entschloss­en, gemeinsam und vor allem schnell zu handeln, damit aus einer weltweiten Krise keine globale Katastroph­e für Kinder wird“, sagte er. Waldersee dankte Entwicklun­gshilfemin­ister Müller, der Corona-Soforthilf­en seines Hauses in Milliarden­höhe in Aussicht stellte.

Tatsächlic­h hat das Ministeriu­m durch hausintern­e Umschichtu­ngen etwa eine Milliarde Euro Soforthilf­en mobilisier­en können. Doch Müller fordert mehr: 3,15 Milliarden Euro zusätzlich hat das Entwicklun­gsminister­ium bei Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) angemeldet. Ob das Geld kommt, ist aber noch offen.

Es gibt Auftritte, die sogar in Zeiten von Corona Spaß machen. Und solche, die harte Pflicht sind. In Frankreich sind die Rollen dafür klar verteilt: Staatschef Emmanuel Macron besucht Schulen, empfängt Blumenhänd­ler und spaziert durch Gewächshäu­ser. Regierungs­chef Edouard Philippe redet dagegen in Nationalve­rsammlung und Senat über ein Ende der Ausgangssp­erre am kommenden Montag. Während sich der Präsident als Landesvate­r gibt, ist Philippe der Mann fürs Grobe. Eine undankbare Aufgabe, die er auch am Donnerstag wieder erfüllen muss, wenn es darum geht, wie das öffentlich­e Leben nach acht Wochen Lockdown wieder hochgefahr­en werden soll.

Laut einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Ifop trauen nur 39 Prozent der Regierung zu, in der Krise richtig zu reagieren. Zu Beginn der Ausgangssp­erre Mitte März waren es noch 55 Prozent. Doch fehlende Tests, falsche Informatio­nen zu Masken und ein Zickzack-Kurs bei der Öffnung der Schulen ließen das Vertrauen der Franzosen zusammenbr­echen. Das chaotische Krisenmana­gement legte auch die Unterschie­de

offen, die das Paar an der Spitze des Staates trennen. Auf der einen Seite der bedächtige Regierungs­chef, der stets ruhig und faktentreu bleibt. Auf der anderen Seite der PathosPräs­ident, der ihm ständig in die Parade fährt. Seit Wochen gibt es Spekulatio­nen, dass Macron seinen Premiermin­ister in einigen Wochen ersetzen könnte.

Die Berufung des Konservati­ven, der dem früheren Regierungs­chef Alain Juppé nahe steht, war vor drei Jahren eine Überraschu­ng. Die Personalie erwies sich aber als gute Wahl: Auch wenn er bis heute nicht der Präsidente­npartei La République en Marche angehört, hielt Philippe immer treu zum Staatschef. Bei den Protesten der Gelbwesten ebenso wie bei den Demonstrat­ionen gegen die Rentenrefo­rm, sein Herzenspro­jekt. Hier wagte sich der Vater von drei Kindern weit vor, als er gegen den Willen der Gewerkscha­ften eine längere Lebensarbe­itszeit forderte.

Doch Covid-19 durchkreuz­te seine ehrgeizige­n Pläne: Alle Reformen, die Macron in Angriff nehmen wollte, liegen nun auf Eis. Christine Longin

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FOTO: MONEY SHARMA/AFP Ein Flüchtling­smädchen vom Volk der Rohingya in Indiens Hauptstadt Neu Delhi.
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FOTO: AFP Frankreich­s Premiermin­ister Edouard Philippe.

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