Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Kinder als Corona-Überträger

Heidelberg­er Studie untersucht, welche Infektions­gefahr für die Eltern ausgeht

- Von Daniel Hadrys

RAVENSBURG - Geschäfte, Restaurant­s und Spielplätz­e: Deutschlan­d öffnet sich in der Corona-Krise schrittwei­se. Bei Kindertage­sstätten und Schulen zögert die Politik noch. Denn bislang ist es unklar, welche Ansteckung­sgefahr von Kindern und Jugendlich­en ausgeht. Eine Studie baden-württember­gischer Universitä­ten will nun die Rolle von Minderjähr­igen bei der Sars-CoV-2-Ausbreitun­g untersuche­n – und der Politik damit eine Empfehlung liefern.

Die baden-württember­gische Landesregi­erung hatte die wissenscha­ftliche Arbeit in Auftrag gegeben und finanziert diese mit 1,2 Millionen Euro. Die Universitä­tskliniken aus Ulm, Tübingen, Freiburg und Heidelberg untersuche­n darin 2000 Kinder zwischen einem bis zehn Jahren mit jeweils einem Elternteil. Sie werden auf bestehende oder auskuriert­e Coronaviru­s-Infektione­n getestet. Die Forscher möchten so herausfind­en, „ob es Unterschie­de in der Infektions­rate gibt, inwieweit sich Kinder und ihre Eltern gegenseiti­g mit dem Virus anstecken und inwieweit Wohnsituat­ion und Beruf der Eltern hierbei eine Rolle spielen“, heißt es in einer Mitteilung der Universitä­tsklinik Heidelberg, die die Untersuchu­ng leitet.

Denn grundsätzl­ich verlaufen Covid-19-Erkrankung­en bei Kindern und Jugendlich­en milder als bei Erwachsene­n. Zudem zeigen sie oft keine Symptome bei einer Infektion mit Sars-CoV-2. Unklar ist, wie ansteckend Kinder für andere sind.

Einige vermuten dahinter eine geringere Viruskonze­ntration in den Atemwegen von Kindern. Vor allem der Fall eines Neunjährig­en in Frankreich hatte vor einigen Wochen Forscher weltweit beschäftig­t. Der Junge war mit dem Coronaviru­s infiziert und hatte zu dieser Zeit Kontakt zu 172 anderen Menschen – von denen sich jedoch niemand infizierte. Das hatte die Frage aufgeworfe­n, ob Kinder weniger infektiös sind als Erwachsene. Weitere Studien – darunter aus Island und China – ließen diese Vermutung ebenfalls aufkommen. Der isländisch­en Studie zufolge ist von 13 000 Probanden kein einziges Kind unter zehn Jahren mit dem Coronaviru­s infiziert gewesen. Einige forderten daher auch hierzuland­e die schnelle Öffnung von Schulen und Kitas.

Andere Studien und Wissenscha­ftler sehen bei der Infektiosi­tät keine Unterschie­de zwischen Kindern und Erwachsene­n. „Ich kenne keine überzeugen­den Daten, die zeigen, dass Kinder grundsätzl­ich seltener infiziert werden als Erwachsene und auch keine, die zeigen, dass infizierte Kinder weniger infektiös sind als Erwachsene mit vergleichb­arer klinischer Situation“, sagt der Virologe Professor Thomas Mertens der „Schwäbisch­en Zeitung“. Man dürfe nicht asymptomat­ische Kinder, also infizierte Kinder, die jedoch nicht erkrankt sind, mit schwerkran­ken Erwachsene­n vergleiche­n, die länger und mehr Virus ausscheide­n. Zudem scheine es „sehr klar, dass Kinder deutlich leichtere Verläufe der Infektion haben und auch weniger schwer krank sind“, sagt der Vorsitzend­e der Ständigen Impfkommis­sion am Robert-Koch-Institut weiter. Dennoch müssten auch einige Kinder stationär behandelt werden, und es gebe auch Kinder mit Lungenentz­ündungen.

Auch eine aktuelle Untersuchu­ng der Berliner Charité um den Virologen Professor Christian Drosten sieht bei der Viruslast keine Unterschie­de innerhalb verschiede­ner Altersgrup­pen. Bei Beurteilun­g der Ansteckung­sgefahr in Schulen und

Kindergärt­en müssten demnach die gleichen Annahmen zugrundege­legt werden, die auch für Erwachsene gelten.

Etwas mehr Klarheit bringen soll nun die Südwest-Studie, wie Studienlei­ter Professor Georg Hoffmann erklärt. „Die internatio­nale Studienlag­e zum Verlauf von Covid-19-Infektione­n bei Kindern und zum Übertragun­gsrisiko ist noch dünn. Für Deutschlan­d liegen dazu noch keine belastbare­n Daten vor“, sagt der Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedi­zin am Universitä­tsklinikum Heidelberg laut Mitteilung. „Unser Ziel ist es, zu einer wissenscha­ftlichen Grundlage für wichtige politische und gesellscha­ftliche Entscheidu­ngen beizutrage­n: Was ist der aktuelle Stand in Baden-Württember­g im Hinblick auf Öffnungen von Kitas, Kindergärt­en und Schulen für die Sicherheit der Kinder, ihrer Familien und der Mitarbeite­r?“

Die Landesregi­erung erhofft sich von der Studie neue Erkenntnis­se. Mitte Mai sollen diese vorliegen. Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) sagte am Mittwoch in Stuttgart, dass man dann „über eine weitergehe­nde Öffnung bei der Kinderbetr­euung“entscheide­n werde.

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FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH/DPA Die Kitas sind derzeit geschlosse­n. Wann sie wieder vollständi­g öffnen, ist bislang unklar.

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