Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Kinder als Corona-Überträger
Heidelberger Studie untersucht, welche Infektionsgefahr für die Eltern ausgeht
RAVENSBURG - Geschäfte, Restaurants und Spielplätze: Deutschland öffnet sich in der Corona-Krise schrittweise. Bei Kindertagesstätten und Schulen zögert die Politik noch. Denn bislang ist es unklar, welche Ansteckungsgefahr von Kindern und Jugendlichen ausgeht. Eine Studie baden-württembergischer Universitäten will nun die Rolle von Minderjährigen bei der Sars-CoV-2-Ausbreitung untersuchen – und der Politik damit eine Empfehlung liefern.
Die baden-württembergische Landesregierung hatte die wissenschaftliche Arbeit in Auftrag gegeben und finanziert diese mit 1,2 Millionen Euro. Die Universitätskliniken aus Ulm, Tübingen, Freiburg und Heidelberg untersuchen darin 2000 Kinder zwischen einem bis zehn Jahren mit jeweils einem Elternteil. Sie werden auf bestehende oder auskurierte Coronavirus-Infektionen getestet. Die Forscher möchten so herausfinden, „ob es Unterschiede in der Infektionsrate gibt, inwieweit sich Kinder und ihre Eltern gegenseitig mit dem Virus anstecken und inwieweit Wohnsituation und Beruf der Eltern hierbei eine Rolle spielen“, heißt es in einer Mitteilung der Universitätsklinik Heidelberg, die die Untersuchung leitet.
Denn grundsätzlich verlaufen Covid-19-Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen milder als bei Erwachsenen. Zudem zeigen sie oft keine Symptome bei einer Infektion mit Sars-CoV-2. Unklar ist, wie ansteckend Kinder für andere sind.
Einige vermuten dahinter eine geringere Viruskonzentration in den Atemwegen von Kindern. Vor allem der Fall eines Neunjährigen in Frankreich hatte vor einigen Wochen Forscher weltweit beschäftigt. Der Junge war mit dem Coronavirus infiziert und hatte zu dieser Zeit Kontakt zu 172 anderen Menschen – von denen sich jedoch niemand infizierte. Das hatte die Frage aufgeworfen, ob Kinder weniger infektiös sind als Erwachsene. Weitere Studien – darunter aus Island und China – ließen diese Vermutung ebenfalls aufkommen. Der isländischen Studie zufolge ist von 13 000 Probanden kein einziges Kind unter zehn Jahren mit dem Coronavirus infiziert gewesen. Einige forderten daher auch hierzulande die schnelle Öffnung von Schulen und Kitas.
Andere Studien und Wissenschaftler sehen bei der Infektiosität keine Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen. „Ich kenne keine überzeugenden Daten, die zeigen, dass Kinder grundsätzlich seltener infiziert werden als Erwachsene und auch keine, die zeigen, dass infizierte Kinder weniger infektiös sind als Erwachsene mit vergleichbarer klinischer Situation“, sagt der Virologe Professor Thomas Mertens der „Schwäbischen Zeitung“. Man dürfe nicht asymptomatische Kinder, also infizierte Kinder, die jedoch nicht erkrankt sind, mit schwerkranken Erwachsenen vergleichen, die länger und mehr Virus ausscheiden. Zudem scheine es „sehr klar, dass Kinder deutlich leichtere Verläufe der Infektion haben und auch weniger schwer krank sind“, sagt der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut weiter. Dennoch müssten auch einige Kinder stationär behandelt werden, und es gebe auch Kinder mit Lungenentzündungen.
Auch eine aktuelle Untersuchung der Berliner Charité um den Virologen Professor Christian Drosten sieht bei der Viruslast keine Unterschiede innerhalb verschiedener Altersgruppen. Bei Beurteilung der Ansteckungsgefahr in Schulen und
Kindergärten müssten demnach die gleichen Annahmen zugrundegelegt werden, die auch für Erwachsene gelten.
Etwas mehr Klarheit bringen soll nun die Südwest-Studie, wie Studienleiter Professor Georg Hoffmann erklärt. „Die internationale Studienlage zum Verlauf von Covid-19-Infektionen bei Kindern und zum Übertragungsrisiko ist noch dünn. Für Deutschland liegen dazu noch keine belastbaren Daten vor“, sagt der Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg laut Mitteilung. „Unser Ziel ist es, zu einer wissenschaftlichen Grundlage für wichtige politische und gesellschaftliche Entscheidungen beizutragen: Was ist der aktuelle Stand in Baden-Württemberg im Hinblick auf Öffnungen von Kitas, Kindergärten und Schulen für die Sicherheit der Kinder, ihrer Familien und der Mitarbeiter?“
Die Landesregierung erhofft sich von der Studie neue Erkenntnisse. Mitte Mai sollen diese vorliegen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte am Mittwoch in Stuttgart, dass man dann „über eine weitergehende Öffnung bei der Kinderbetreuung“entscheiden werde.