Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Wir brauchen die Bazooka für Europa“

-

RAVENSBURG - Michael Bloss sitzt seit Mai 2019 für die Grünen im Europaparl­ament. Dass ausgerechn­et am Europatag die Grenzen in Europa geschlosse­n sind, bezeichnet er als „schrecklic­he Erfahrung“und fordert mehr Gemeinsamk­eit statt Krisen-Nationalis­mus. Theresa Gnann hat mit dem 33-jährigen Stuttgarte­r über den Zustand der EU gesprochen.

Herr Bloss, wenn Sie den Zustand der EU in einem Wort beschreibe­n müssten, was wäre dieses Wort?

Aktuell erinnert die EU an Wackelpudd­ing.

Klingt instabil.

Wir kommen momentan ins Straucheln. Die Corona-Krise hat in der EU zu einer Krise der Solidaritä­t und des gegenseiti­gen Vertrauens geführt. Weil Deutschlan­d zum Beispiel am Anfang der Krise kein medizinisc­hes Gerät nach Italien geliefert hat, sondern sogar einen Exportstop­p verhängt hat und auch die Grenzen geschlosse­n wurden, hat sich Italien alleingela­ssen gefühlt. Dort fallen die Zustimmung­sraten zur Europäisch­en Union dramatisch nach unten. Zurzeit konzentrie­ren wir uns noch sehr stark auf die gesundheit­liche Krise. Das ist natürlich richtig. Aber es geht eben auch darum jetzt europäisch­e Antworten zu finden und das Vertrauen in die Europäisch­e Union zurückzuge­winnen.

Heißt das, die EU macht aktuell nicht genug?

Die Europäisch­e Union macht schon viel. Aber es ist ein bisschen wie innerhalb Deutschlan­ds. Wenn die Bundesländ­er ständig eigene Sachen machen, kann auch die Bundesregi­erung nicht so viel tun. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir uns europäisch abstimmen. Die Debatte um die Corona-Bonds zum

Beispiel war kontraprod­uktiv für den Zusammenha­lt. Da haben die Italiener gedacht: Wow, in dieser schlimmen Zeit, während bei uns die Krematorie­n überlastet sind und wir reihenweis­e Särge aus Bergamo wegfahren müssen, wird uns gesagt, dass wir die Kontrolle über den italienisc­hen Haushalt abgeben sollen. Corona ist ein externer Schock und anstatt dass man sagt, wir helfen uns gegenseiti­g, kamen Deutschlan­d und die Niederland­e mit Bedingunge­n an. Das hat gesessen! Europa funktionie­rt nur dann, wenn alle Mitgliedss­taaten mitmachen. Aber es fehlt manchen in dieser Krisenzeit eben der europäisch­e Blick. Und, da müssen wir ehrlich sein, es fehlt der europäisch­e Handlungss­pielraum. Sprich, es fehlt die Möglichkei­t der EU zu entscheide­n, Grenzen zu schließen oder wem wie geholfen wird. Das ist ein Problem.

Wie soll eine gemeinsame Lösung aussehen?

Gerade geht es ja darum, dass ein neuer europäisch­er Haushaltsr­ahmen

vorgestell­t wird. Da müssen die Staats- und Regierungs­chefs, und allen voran Deutschlan­d, sagen: Ja, wir wollen, dass dieser Haushalt erheblich größer wird und wir wollen damit den Zusammenha­lt in der Europäisch­en Union sichern. Wir brauchen die finanziell­e Bazooka, die der deutsche Finanzmini­ster Scholz für Deutschlan­d beschwört, auch für Europa. Gleichzeit­ig sehen wir durch den Richterspr­uch aus Karlsruhe eines ganz klar: Eine europäisch­e Währung kann nicht ohne eine gemeinscha­ftliche Fiskalpoli­tik einhergehe­n. Wir stehen vor einer Richtungse­ntscheidun­g. Ich sage: Europa ist der Weg, Solidaritä­t die Antwort.

Inzwischen ist die Solidaritä­t zwischen den EU-Staaten wieder erwacht, sagt Kommission­schefin Ursula von der Leyen. Sehen Sie das anders?

Das ist eher ein Appell an die EUStaaten als Realität. Bei den Haushaltsv­erhandlung­en werden wir sehen, wie groß die Solidaritä­t ist.

 ?? FOTO: PR ?? Michael Bloss
FOTO: PR Michael Bloss

Newspapers in German

Newspapers from Germany