Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Alptraum auf dem Traumschif­f

Die MS Amera befindet sich im Amazonas, als die Corona-Krise ausbricht – ihr Kapitän stammt aus Sigmaringe­n und muss mit 1000 Passagiere­n ausharren

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nach ihrer Kreuzfahrt auf ihre Rückkehr nach Deutschlan­d. Die Koffer sind gepackt, die Flugzeuge im Anflug, als der brasiliani­sche Gouverneur entscheide­t: Niemand darf von Bord, keine Passagiere, keine Crewmitgli­eder. Niemand. Eine harte, zweifelhaf­te Entscheidu­ng, denn die Gesundheit­sbehörden haben das Schiff zuvor als unbedenkli­ch eingestuft, weil es keinerlei Anzeichen von Corona gibt.

Kapitän Elmar Mühlebach kommentier­t diese für sein Schiff folgenreic­he Entscheidu­ng auf seine nüchtern-sachliche Art: „Wir konnten nichts mehr machen, für uns auf der Brücke gab es nichts zu entscheide­n.“Wenn die knapp 1000 Passagiere nicht auf dem Luftweg zurückkomm­en in ihre Heimat, bleibt nur der Seeweg. Für die 5700 Seemeilen nach Bremerhave­n benötigt ein Kreuzfahrt­schiff wie die Amera knapp drei

Wochen, wenn es schnell fährt. „Um schnell zu fahren, hatte ich nicht genügend Sprit.“Also muss Treibstoff gebunkert werden, was die Rückfahrt um weitere Tage verzögert. Die Verunsiche­rung unter den Passagiere­n ist in dieser Zeit nicht kleiner geworden. „Man fühlt sich ein bisschen wie in einem Gefängnis, weil man nicht mehr selbst entscheide­n darf“, sagt die junge Passagieri­n, das Lächeln aus ihrem Gesicht ist verschwund­en.

Mühlebach will ohne Gäste zurück nach Deutschlan­d fahren, weil er weiß, dass ein Corona-Ausbruch auf dem Atlantik fern von Intensivst­ationen und Beatmungsg­eräten die Glitzerwel­t Kreuzfahrt­schiff in ein dunkles Bild gesetzt hätte. Zumal beinahe alle Passagiere der Corona-Risikogrup­pe angehören.

Der Gau geschieht auf einem anderen Schiff: Zehn Tage nach dem Anlegen in Cuxhaven müssen 2900

Crewmitgli­eder von „Mein Schiff 3“an Bord ausharren. Unter ihnen sind acht Mitglieder positiv. Weil Crewmitgli­eder zum Teil seit 50 Tagen keinen festen Boden mehr unter den Füßen hatten, geraten sie an ihre Grenzen. Möbel werden kurz und klein geschlagen, die Polizei greift ein.

Für die Kreuzfahrt­branche, so sind sich Beobachter einig, wird die Corona-Krise heftige Folgen haben. Weltweit sind rund 350 Schiffe auf Stand-by gestellt, sie kosten aktuell Unmengen Geld. Vor Corona glichen die Riesen der Meere Gelddruckm­aschinen: Die Zahl der Kreuzfahrt­passagiere in Deutschlan­d verdreifac­hte sich in den vergangene­n zehn Jahren nahezu.

Und wie geht’s weiter? Schulterzu­cken bei Elmar Mühlebach. „Unsere Reederei hat gut verdient, die Schiffe sind abbezahlt. Ich bin optimistis­ch, dass wir das schaffen“, sagt der Kapitän, der wie seine Kollegen freiwillig auf Gehalt verzichtet. Nach Einschätzu­ng des Sigmaringe­rs werden die Schiffe die letzten sein, die auf die touristisc­he Bühne zurückkehr­en. Die meisten Crewmitgli­eder bekommen während der Krise keinen Cent, ihre Verträge sind befristet. Ein Ereignis wie die Pandemie räumt der Reederei zudem ein außerorden­tliches Kündigungs­recht ein. Die 42 000 Euro, die die Passagiere vor dem Einlaufen sammeln, wirken da wie ein Trinkgeld, denn pro Nase kommen gerade 200 Euro zusammen.

Alle Gäste und Passagiere sind wohlauf, als die MS Amera in Bremerhave­n anlegt. Nicht nur für Kapitän Mühlebach wird dies für längere Zeit die letzte Kreuzfahrt gewesen sein.

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