Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Die Möwe kann nichts dafür
Tatort: Borowski und der Fluch der weißen Möwe (So., ARD, 20.15 Uhr)
- Rollenspiel in der Kieler Polizeihochschule. Im Hörsaal wird gelacht, gevespert, niemand ahnt etwas Böses. Der alberne Sandro markiert eine Geiselnahme. Da flippt die brave Polizistin Nasrin aus und sticht mit einem Schraubenzieher auf Sandro ein. Er verblutet. Der väterliche Borowski (Axel Milberg) und seine stets zu angespannte Kollegin Mila (Almila Bagriacik), die der Täterin fatal ähnlich ist, versuchen, die Vorgänge zu verstehen – und kommen doch immer zu spät.
Dieses gelungene Psychodrama nach einem Drehbuch von Eva und Volker Zahn ist das TV-Debüt des Filmers Hüseyin Tabak, eines Schülers von Michael Haneke an der Filmakademie
Wien. Trotz zackigen Tempos geht es Tabak nicht um Action, sondern um tiefere Dinge: Traumata, Schuldgefühle, Zwangsvorstellungen, das Drama einer jungen Frau, die vor den Augen hilfloser Polizisten vom Dach eines Hochhauses springt. Wichtiger als Schüsse sind Atemzüge, Stimmen, Gesichtsausdrücke, vernebelte Bilder, die von innerer Not erzählen. Soma Pysal als Nasrin und Enno Trebs als deren Freund Tobias zeigen eindringlich, wie Angst, Wut und Verdrängung zum Ausbruch führen. „Sie haben keine Schuld“, beteuert Borowski vergeblich. Der Mensch ist ein Gefangener seiner Erinnerungen. Und kann nicht fliegen wie die weiße Möwe, die als etwas schwülstiges Symbol für Freiheit über der Tragödie schwebt.