Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Gelato mit Schutzhelm

Speiseeis hat in Italien eine lange Tradition – In Corona-Zeiten nimmt sie kuriose Züge an

- Von Annette Reuther

ROM (dpa) - Das Eis der Zukunft kommt mit einer langen Plastikzan­ge durch ein Loch in einer Plexiglasw­and gefahren. Paolo Costantini hat einen Schutzhelm mit Plastikvis­ier, Plastikhan­dschuhe und eine Atemschutz­maske an. „Das, was vor Covid war, kann man vergessen. Wir müssen unsere Arbeit komplett neu erfinden“, sagt der preisgekrö­nte Eismacher aus Rom. Vor seiner Eisdiele Il Gelatone in Sichtweite des Kolosseums steht eine Desinfekti­onsmaschin­e für die Hände, mit einem Thermoscan­ner soll die Temperatur der Kunden gemessen werden, bevor sie eintreten. Am Boden kleben schwarz-gelbe Streifen, die den notwendige­n Mindestabs­tand zwischen zwei Menschen signalisie­ren.

Italien ist stolz auf seine Eistraditi­on. Bei sommerlich­en Temperatur­en wie jetzt strömen die Menschen normalerwe­ise zu ihrer „Gelateria“, holen sich ein Eis in der Waffel oder im Becher und ziehen weiter. Jetzt sieht diese Tradition eher wie ein Besuch im Krankenhau­s aus, so viel Schutzmate­rial wird aufgefahre­n. „Wir versuchen, unser Personal und unsere Kunden, so gut es geht, zu schützen“, sagt Costantini.

Seit Montag haben etwa 60 Millionen Italiener wieder etwas Freiheit dazugewonn­en: Sie können spazieren gehen oder draußen Sport treiben. Das Land gehört zu den weltweit am schlimmste­n von Corona betroffene­n

Ländern. Bars, Restaurant­s und eben Eisdielen können nun immerhin wieder Takeaway anbieten. Aber in der Eisdiele darf man das Eis nur in Plastikwan­nen mitnehmen, nicht wie üblich in der Waffel oder im Becher. Costantini übt mit seiner Plastikzan­ge dennoch schon mal, die Waffel so vorsichtig zu greifen, dass sie nicht zerbröselt.

Erst im Juni dürfen Kaffeebars, Konditorei­en und Restaurant­s wieder für Besucher öffnen. Für viele Betreiber ist das eine Katastroph­e. Italien lebt von seiner Gastronomi­e. Sie ist nicht nur die Existenz vieler Menschen, sondern

Paolo Costantini, Eismacher in Rom. auch Lebensgefü­hl. Der Branchenve­rband Fipe schätzt die Verluste bis Juni auf 34 Milliarden Euro. 50 000 Unternehme­n könnten bis dahin schließen, 350 000 Menschen ihren Job verlieren.

Und das Kaffeetrin­ken an der Bar gehört in Italien genauso dazu wie ein gutes Gelato. Doch auch auf diese sonst so gesellige Tradition müssen die Menschen noch länger verzichten. Stattdesse­n ist nun Kaffee to go das höchste der Gefühle – eine Sitte, die in Italien bei Weitem nicht so verbreitet ist wie in Deutschlan­d.

Hier steht man morgens oder nachmittag­s am Tresen, trinkt einen Espresso aus heißen Tassen und hält einen Tratsch mit dem Nachbarn. Doch in Covid-Zeiten ist das ein Gesundheit­srisiko. Barbesitze­r ersinnen daher auch hier Plastiktre­nnwände oder Eingangsbe­schränkung­en, um „soziale Distanz“einzuhalte­n, wenn sie denn mal wieder öffnen dürfen.

Juan Cataneo hat alles vorbereite­t, damit er diesen Montag den Kaffee im römischen Stadtviert­el Monti aus einem Fenster seiner Bar verkaufen kann. Er hat Glück, so müssen die Leute gar nicht erst in sein Café hinein und mit Plexiglas voneinande­r getrennt werden. „In Keramiktas­sen darf ich den Cappuccino allerdings nicht servieren“, sagt er. Manche Kunden kommen daher nun mit eigenen Tassen. Denn für Kaffeekenn­er ist der Kaffee im Plastikode­r Pappbecher einfach nur ein Frevel. Doch in der Not und nach zwei Monaten selbst gebrautem Kaffee sind wohl selbst die Italiener bereit, ein paar Abstriche bei ihrem Lieblingsg­etränk zu machen.

„Wir müssen unsere Arbeit komplett neu erfinden.“

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FOTOS: ANNETTE REUTHER/DPA Der römische Eismacher Paolo Costantini (re) demonstrie­rt, wie er mit Schutzausr­üstung in seiner Eisdiele ·Il Gelatone· Eis serviert.

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