Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Wenn Urlauber die Einsamkeit suchen
Abgeschiedenheit statt touristischer Hotspots – Das könnte in Zeiten von Corona gefragt sein
BAD SCHUSSENRIED - Wenn es um den Sommerurlaub geht, dürften viele Deutsche diesmal das Inland favorisieren. Denn bislang ist völlig offen, ab wann und unter welchen Bedingungen wieder in die Ferne gereist werden kann. Für den Tourismus in Oberschwaben und im Allgäu bietet diese Entwicklung eine große Chance. Allerdings müssen nach Ansicht der Geschäftsführerin der Oberschwaben Tourismus (OTG), Daniela Leipelt, dafür auch die Bedingungen stimmen.
Mega-Citys mit urbanen Zentren und touristische Hotspots – mit diesen Argumenten kann die Region nicht gerade punkten. „Was lange Zeit – vielleicht auch von einigen Gästen – als nachteilig ausgelegt wurde, kann für uns jetzt zum großen Vorteil werden“, erläutert Leipelt. Denn wegen Corona sei „Social Distancing“das Wort der Stunde. Urlauber könnten daher ganz bewusst Gebiete meiden, die vor der Krise schon mit zu vielen Gästen zu kämpfen hatten: „Instagram hat sein Übriges getan, dass manche Orte einfach überrannt wurden.“Destinationen der zweiten Reihe könnten nun vielleicht an Reiz gewinnen.
Sanfte Hügel, kleine Seen, teilweise wilde Moorlandschaften und Naturschutzgebiete sowie beschauliche Dörfer und Kleinstädte ermöglichten auf vielfache Weise zu Fuß oder mit dem Rad draußen in der Natur zu sein, wirbt die Geschäftsführerin. Es gebe eine ganze Reihe an Ausflugszielen, die für eine Vermarktung infrage kämen. Auch Urlaub auf dem Bauernhof oder mit dem Wohnmobil könnten Leuchttürme sein: „Ich gehe von einem absoluten Boom auf die hiesigen Reisemobilstell- und Campingplätze aus.“Zudem gebe es auch Wellness- und Gesundheitsangebote, für deren Vermarktung die „zeitnahe Öffnung der Hotelbetriebe“eine zwingende Voraussetzung sei.
Für mindestens genauso wichtig erachtet sie die Lockerungen bei der Gastronomie. Ohne Restaurants und Biergärten könne der Tourismus nicht in die Gänge kommen, erläutert Leipelt, die in touristischen Fragen für ein einheitliches Vorgehen in Deutschland plädiert. Ansonsten drohe eine Wettbewerbsverzerrung. Die Betriebe bräuchten Vorlauf, um Hygienemaßnahmen umzusetzen und einzuüben, bevor durch den Urlauber weitere Gäste kommen. „Der Tagestourismus wird sicher unmittelbar und direkt spürbar mit den Betriebsöffnungen und weiteren Lockerungen in Fahrt kommen“, vermutet sie. Vor allem an sonnigen Wochenenden.
Egal, ob ein Besuch im Restaurant, Museum oder einer Kultureinrichtung – vielen Gästen könnte es künftig wichtig sein, möglichst viele Aktivitäten vor Reiseantritt gebucht beziehungsweise reserviert zu haben.
„Dies wird in jedem Falle eine große Herausforderung“, erläutert die Geschäftsführerin. „Möglichst simple Anwendungssysteme wären hier gut.“Es gelte zu vermeiden, dass Gäste nach einer weiten Anreise ein Museum wegen Überfüllung nicht besuchen könnten: „Wir sind hierzu auch in Abstimmung mit der Tourismus Marketinggesellschaft Baden-Württemberg.“
Die Maßnahmen rund um das Abstandsgebot gibt es aber nicht zum Nulltarif. „Bei den meisten Einrichtungen und Betrieben werden – auch nach dem Shut-down – zusätzliche Kosten anfallen“, betont Leipelt. Darüber hinaus verkleinerten sich zum Beispiel die Bewirtungsflächen, weil weniger Tische besetzt werden dürfen: „Um die Zusatzkosten und Mindereinnahmen zu decken, werden die Hoteliers und Restaurants in den kommenden Wochen ihre Preise nach oben schrauben müssen.“Die Branche wisse aber auch darum, dass Gäste wegen Kurzarbeit oder Jobverlusts weniger Geld zur Verfügung haben könnten: „Daher wird man sehr genau auf die Preise achten.“
Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass Bustouristen wegen der Corona-Beschränkungen wohl noch länger ausbleiben dürften, wirkt Leipelts Ziel umso ehrgeiziger. „Für uns wäre es mehr als wünschenswert, wenn sich die Gästeund Übernachtungszahlen für 2020 wieder auf Vorjahresniveau einpendeln würden“, erläutert sie. Für die Region Oberschwaben und das württembergische Allgäu wurden im vergangenen Jahr knapp 4,4 Millionen Übernachtungen gezählt. Sollten diesmal wieder annähernd so viele Touristen in die Region strömen, hätte die Branche die Chance, fehlende Umsätze weitestgehend wieder hereinzuholen. Unklar ist bislang auch, inwiefern wieder Österreicher, Schweizer oder Holländer hierzulande Urlaub machen dürfen. Für die Region seien das wichtige Auslandsmärkte, erläutert Leipelt.
„Für mich ist klar: Auch bei einer stufenweisen Lockerung der derzeit noch geltenden Einschränkungen wird sich durch die Corona-Pandemie der Tourismus und das Reiseverhalten merklich ändern“, erläutert Leipelt. Die touristische Nachfrage werde sich peu à peu erholen: „Aber sicher werden die nahen Urlaubsziele zunächst gewinnen und erst schrittweise wird man auch ferne Reiseziele wieder in Betracht ziehen.“Die OTG werde „alle erdenklichen Maßnahmen ergreifen“, um den Tourismus in der Region wieder zum Anlaufen zu bringen – und damit vom Trend „Urlaub im Inland“zu profitieren.