Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Die WM als Corona-Superverbr­eiter?

Die Militär-Weltspiele in Wuhan könnten das Virus in die Welt gebracht haben

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WUHAN (SID) - Maatje Benassi lebt in ständiger Angst. „Es ist, wie von einem Albtraum in den nächsten zu stürzen“, klagt die Radsportle­rin und Reservisti­n der US Army. Seit sie Ende Oktober von den Militär-Weltspiele­n in Wuhan heimkehrte, ist nichts, wie es vorher war: „Wenn jemand meinen Namen googelt, wird dort für immer stehen: Patient null.“

Maatje Benassi, 52, erhält Morddrohun­gen. Sie wurde zwar weder positiv auf das Coronaviru­s getestet noch hatte sie je die einschlägi­gen Symptome, es ist schlicht alles Unfug. Doch ein bekannter Verschwöru­ngstheoret­iker mit großer YouTubeRei­chweite hat beschlosse­n, sie habe Wuhan damals als lebende Biowaffe betreten: um China zu schaden, das den USA den Platz an der Sonne streitig macht.

Dies ist die abwegige Seite. Interessan­t ist allerdings: Mehrere Indizien nähren die Theorie, die Armee-Weltspiele mit fast 10 000 Athleten aus 110 Ländern seien ein Corona-Supersprea­der gewesen, ein Super-Verbreiter. Womöglich sogar der erste.

Italiens Fecht-Olympiasie­ger Matteo Tagliariol ist sich da ziemlich sicher. „Als wir in Wuhan eingetroff­en sind, sind wir alle erkrankt. Alle sechs Personen in meiner Wohnung waren krank, auch viele Athleten anderer Delegation­en“, berichtete der 37-Jährige der Zeitung „Corriere della Sera“.

Er habe schwer gehustet, nach der Rückkehr bekam er „sehr hohes Fieber, ich konnte kaum atmen. Auch Antibiotik­a halfen nicht.“Schließlic­h habe sich sein zweijährig­er Sohn infiziert, dann seine Freundin: „Als man begonnen hat, vom Virus zu sprechen, dachte ich: Ich habe mich angesteckt. Das war Covid-19.“

Zwar wird der erste offizielle Corona-Fall weiterhin auf Anfang oder Ende

Dezember datiert, doch Studien legen einen früheren Ausbruch nahe. Ein deutsch-britisches Forscherte­am hat laut „Süddeutsch­er Zeitung“errechnet, dass dieser mit 95-prozentige­r Wahrschein­lichkeit zwischen dem 13. September und 7. Dezember stattgefun­den hat – die Weltsoldat­enspiele liefen vom 18. bis 27. Oktober.

10 000 Menschen, die sich aus aller Welt kommend an einem Ort versammeln und nach zehn Tagen wieder zurückreis­en, dazu 230 000 freiwillig­e Helfer, alles in einer 11-MillionenS­tadt. Das klingt als Verteilerk­reisel für ein Virus geradezu logisch. Die Sommerspie­le von Tokio, eigentlich geplant für diesen Sommer, wurden aus der Angst verlegt, eine ähnliche Drehscheib­e zu werden.

Laut der französisc­hen Sportzeitu­ng „L'Equipe“haben sich die frühere Fünfkampf-Weltmeiste­rin Elodie Clouvel („Wir waren alle krank“) und ihr Kollege Valentin Belaud, Weltmeiste­r 2019, wahrschein­lich ebenfalls bei den Spielen in Wuhan infiziert. Weitere Fälle werden aus Italien gemeldet, in Luxemburg gibt es zumindest einen Verdacht.

Und in Deutschlan­d? „Im Nachhinein haben wir natürlich schon gescherzt: Wuhan, da waren wir doch, das kannte vorher ja keiner“, sagte Luftpistol­enschützin Sandra Reitz aus Regensburg. Reitz hat bei den Militärspi­elen Gold gewonnen, Außergewöh­nliches hat sie unter den 243 deutschen Sportlern und auch insgesamt nicht bemerkt: „Es gab auch in unserem Umfeld verschiede­ne Erkrankung­en. Das ist aber nichts Verwunderl­iches, das war eigentlich immer so.“

Christoph Holtherm vom Zentrum für Sportmediz­in der Bundeswehr in Warendorf war als Arzt für die deutsche Delegation in China. Bei keinem Sportler seien besondere Beschwerde­n aufgetrete­n, sagt er. Eine Schützin, die anonym bleiben will, erklärte jedoch, es habe in ihrem Apartment „zwei Krankheits­fälle“gegeben, bei denen die Symptome mit dem heutigen Wissen auf eine Covid-19-Krankheit hindeutete­n.

Laut Delegation­sleiter Christian Lützkendor­f lag die Zahl der Erkrankung­en im deutschen Team unter jener vergangene­r Spiele. „Wir haben gar nichts davon gehabt“, sagt er.

Maatje Benassi auch nicht. Dennoch steht ihr Leben kopf, besonders, seit chinesisch­e Medien die Verschwöru­ngstheorie als willkommen­e Ablenkung entdeckt haben. „Was immer auch als nächstes geschieht“, sagte Benassi , „der Schaden ist längst angerichte­t.“

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FOTO: IMAGO IMAGES „Wir waren alle krank“: FünfkampfW­eltmeister­in Elodie Clouvel im Oktober in Wuhan.

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