Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Schwer zu entschlüss­eln

Jedes Unternehme­n hat seine eigene Kultur – Für Bewerber ist das nicht immer einfach

- Von Sophia Reddig

er neuG in eine Firma kommt, dem stellen sich zu Beginn viele Fragen: Wie trete ich auf? Was ziehe ich an? Wie finde ich meinen Platz? Die schlechte Nachricht: „Wie bei einem Eisberg ist nur ein kleiner Teil der Unternehme­nskultur auf den ersten Blick zu erfassen. Den Großteil bekommt man erst zu sehen, wenn man einige Zeit in einer Firma gearbeitet hat“, sagt Prof. Stephan Weinert. Er beschäftig­t sich an der Hochschule Ludwigshaf­en mit internatio­nalem Personalma­nagement.

Die gute Nachricht ist jedoch: Diese Spitze des Eisbergs kann man schon recht gut vor dem ersten Arbeitstag sichten und die gewonnen Informatio­nen für sich nutzen. „Wichtig ist, schon beim Bewerbungs­gespräch Augen und Ohren offen zu halten“, sagt Doris Brenner, Karriereco­ach aus Rödermark bei Frankfurt (Main).

„Neben Sprache und Kleidung ist auch der Umgang der künftigen Kollegen untereinan­der interessan­t. Spielen die sich die Bälle zu oder verhalten sie sich eher reserviert? Wie gehen Chefs und Sekretäre miteinande­r um?“So lasse sich schon einiges zu den Hierarchie­n und dem Teamgeist in der Firma herausfind­en – und damit auch zu der Frage, ob das Unternehme­n überhaupt zu einem selbst passe.

„Ein Bewerbungs­gespräch ist immer beidseitig“, sagt Weinert. „Als Arbeitnehm­er sollten Sie Fragen stellen und testen, ob das Unternehme­n zu Ihren Vorstellun­gen und Werten passt. Sonst kann es später zu Enttäuschu­ngen kommen.“

Stimmt der erste Eindruck, können Arbeitnehm­er die Zeit zwischen Vertragsab­schluss und erstem Arbeitstag zusätzlich nutzen, um sich mit der Unternehme­nskultur vertraut zu machen. Brenner rät: „Man kann zum Beispiel fragen, ob man schon für das Intranet freigescha­ltet wird. In manchen Positionen bieten sich auch Schnuppert­age an. So kann man beispielsw­eise schon an Meetings teilnehmen und die Kollegen kennenlern­en.“

Steht der erste Arbeitstag dann an, ist es ratsam lieber erst einmal zurückhalt­end

Waufzutret­en: „Natürlich sollte man nicht passiv sein, sondern neugierig. Jedoch ist davon abzuraten, sich direkt ins Getümmel zu stürzen, Position zu beziehen und sich dabei womöglich direkt Feinde zu machen“, sagt sie.

Das rät auch Guido Möllering, Direktor und Lehrstuhli­nhaber am Reinhard-Mohn-Institut für Unternehme­nsführung an der privaten Universitä­t Witten/Herdecke. „Wenn man offen und umgänglich auftritt, ist das neue Team auch im Umkehrschl­uss offener, wenn man nach einiger Zeit seine eigenen Ideen einbringen möchte.“

Gerade in den vergangene­n zehn Jahren habe sich in dieser Hinsicht viel in der Arbeitswel­t getan. „Unternehme­n setzten heute auf diverse Teams mit vielen verschiede­nen Meinungen und Perspektiv­en“, erklärt er. Dadurch bekämen sie bei

Problemen nämlich viele verschiede­ne Lösungsweg­e präsentier­t statt nur einen. Wertvoll seien oft auch Mitarbeite­r, die einen bereits bestehende­n Ansatz weiterentw­ickeln.

Sowieso würden sich Persönlich­keiten und Unternehme­nskulturen gegenseiti­g stark beeinfluss­en. „Vor allem Gründerper­sönlichkei­ten spielen eine große Rolle“, sagt Weinert. Deren Werte würden nämlich auch noch lange nach ihrem Ausscheide­n weiterlebe­n. Im Umkehrschl­uss bedeute dies, dass solche etablierte­n Unternehme­nskulturen relativ unflexibel seien. „Wer andere Werte einbringen will, braucht die Belegschaf­t auf seiner Seite. Dafür müssen Veränderun­gen nicht nur gemeinsam besprochen und transparen­t weiterkomm­uniziert werden, sondern von der Führungseb­ene vorgelebt.“In der Realität können erklärte und gelebte Werte oft weit auseinande­rliegen. „Wenn ein Chef beispielsw­eise flache Hierarchie­n erklärt, aber gleichzeit­ig auf seinen Parkplatz direkt am Hauseingan­g besteht, dann kann das problemati­sch werden“, sagt Möllering.

Selten würden Arbeitsbez­iehungen an inhaltlich­en Diskrepanz­en scheitern, erklärt auch Brenner. Wissen und Fähigkeite­n seien im Vorfeld oft gut abzuklären oder im Anschluss durch Schulungen nachzuhole­n. „Woran es häufiger liegt, ist, dass Bewerber oder Firmen nicht ehrlich sind, wenn es um ihre eigenen Werte geht.“Häufiger Personalwe­chsel könne ein Indiz dafür sein.

Wer als Bewerber also von Anfang an seine Werte ehrlich definiert und kritisch prüft, ob diese bei einem potenziell­en Arbeitgebe­r erfüllt werden, kann das Risiko minimieren, nach den ersten Tagen im Job schnell enttäuscht zu werden. (dpa)

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Wer beim Vorstellun­gsgespräch achtsam ist, kann einiges über die Kultur im Unternehme­n erfahren.

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