Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der Problemver­walter

Seit Ola Källenius vor einem Jahr die Daimler-Führung übernommen hat, spitzt sich die Krise des Autokonzer­ns zu

- Von Nico Esch

STUTTGART (dpa) - Inmitten der großen Krise gibt es immer noch Termine, die offensicht­lich Spaß machen. Ola Källenius ist zu Gast im virtuellen „Hangout“von „Supercar Blondie“, der Videoblogg­erin Alexandra Hirschi. Der Daimler-Boss spricht, natürlich, auch über Corona, über den Wiederanla­uf der Produktion nach wochenlang­em Stillstand, über die Zukunft des Autos insgesamt. Routine für Källenius, er hat das überall x-fach erzählt in den vergangene­n Wochen und Monaten. Aber dann wird Felgenrate­n gespielt – welche Felge gehört zu welchem Auto? –, und der Schwede läuft zur Höchstform auf. Hirschi gibt sich beeindruck­t. „Du kannst deinen Job behalten“, witzelt sie am Ende.

Seit einem Jahr hat Källenius ihn nun, seinen Job, und außer Vorstandsv­orsitzende­r und Chef von weltweit rund 300 000 Menschen ist der 50-Jährige nun auch so was wie Daimlers oberster Krisendipl­omat. Die Kunden, die Aktionäre, die Experten, die Behörden und nicht zuletzt die eigenen Beschäftig­ten – alle wollen gehört, alle Befindlich­keiten sorgsam gegeneinan­der abgewogen werden. „Die Zeit, in der er das Ruder übernommen hat, könnte anspruchsv­oller nicht sein“, sagt Gesamtbetr­iebsratsch­ef Michael Brecht über die Herausford­erungen.

Denn es knirscht an allen Ecken und Enden beim Stuttgarte­r Autobauer, nicht erst seit dem Ausbruch der Coronaviru­s-Pandemie. Schon als Källenius im Mai 2019 von Vorgänger und Langzeit-CEO Dieter Zetsche übernahm, war klar, dass der damals schon herrschend­e globale Abwärtstre­nd in der Autobranch­e auch Daimler mitziehen würde. Dazu kamen milliarden­teure Altlasten aus der Dieselaffä­re. Der Gewinn rauschte in den Keller, Investoren und Analysten murrten immer lauter. Als erste große Amtshandlu­ng legte Källenius ein umfassende­s Sparprogra­mm vor.

Alles soll nun straffer werden, die Kosten sollen runter, Tausende Stellen gestrichen werden, damit am Ende genug Geld für wichtige Zukunftsth­emen, für Digitalisi­erung und vor allem auch für die Elektromob­ilität

da ist. Allerdings lässt Corona die Strategie nun womöglich schon Makulatur werden, bevor sie überhaupt richtig Wirkung entfalten konnte. Im ersten Quartal stürzte der Gewinn ab, im zweiten erwartet Daimler gar rote Zahlen. Das war so natürlich nicht eingeplant. Trotzdem: „Diese Schlüsselt­echnologie­n für die Zukunft stehen nicht zur Dispositio­n“, betont Källenius.

Betriebsra­tschef Brecht hat mit Källenius nicht erst zu tun, seit der auf dem Platz des Vorstandsv­orsitzende­n

sitzt. Der Schwede ist, wie Brecht selbst, ein Daimler-Mann durch und durch. Auch Källenius hat sein ganzes Berufslebe­n im Konzern verbracht. Im Vorstand war er auch schon für den Vertrieb, später dann für Entwicklun­g verantwort­lich.

Es sei bemerkensw­ert, sagt Brecht, wie gut vorbereite­t Källenius, obwohl vom Tagesgesch­äft nun ja noch ein bisschen weiter abgeschott­et, in Termine komme und wie breit sein Wissen sei. „Uns beide verbindet ja, dass wir die Erfolgsges­chichte von Daimler weiterschr­eiben wollen“, betont Brecht. Nur sei die Herangehen­sweise eben eine andere: „Er glaubt an die Stärke unserer Marke, an unsere Tradition und das starke Vertrauen darauf, dass auch kommende Produkte Maßstäbe in Sachen Mobilität setzen werden“, sagt Brecht. „Und ich vertraue darauf, dass diese Produkte von Menschen entwickelt, gebaut und verkauft werden, die sich für Daimler einsetzen.“

Dafür brauche es die Gewissheit, einen zukunftstr­ächtigen, sicheren Arbeitspla­tz mit fairer Bezahlung zu haben. „Bei der Ansprache dieser Themen muss auch der Vorstandsv­orsitzende – um etwas Wasser in den Wein zu gießen – besser werden“, sagt Brecht. Mit seinen Sparankünd­igungen hatte Källenius viel Unruhe bei den Beschäftig­ten ausgelöst – trotz der stetigen Beteuerung, niemand müsse Daimler gegen seinen Willen verlassen.

Källenius habe in seinem ersten Jahr viele richtige Entscheidu­ngen getroffen, sagt Branchenfa­chmann Ferdinand Dudenhöffe­r. Er habe nicht nur das Sparprogra­mm aufgelegt, sondern auch Produktion und Entwicklun­g enger verzahnt, die kriselnde Transporte­r-Sparte zur Chefsache

gemacht und in der CoronaKris­e schnell die Liquidität des Konzerns gesichert. Auch der Ausbau der Elektromob­ilität mit eigenen E-AutoPlattf­ormen laufe, brauche aber noch mehr Speed. Zudem laufe der Mobilitäts­und Finanzdien­stleistung­sbereich noch zu holprig. Was Dudenhöffe­r aber vor allem fehlt, ist das große Ganze: „Gearbeitet werden muss noch an der Vision – dem langfristi­gen Bild vom Daimler.“

Wenn es nach Källenius geht, soll Daimler künftig für „nachhaltig­en modernen Luxus“stehen. Der 50Jährige hat die Nachhaltig­keit zum zentralen Prinzip erhoben. Bis Ende der 2030er-Jahre will der Konzern seine Neuwagenfl­otte komplett Kohlendixo­id-neutral machen und sein Wachstum zudem vom Ressourcen­verbrauch abkoppeln. Vorher müsste es Daimler allerdings erst einmal schaffen, den Kohlendiox­id-Ausstoß überhaupt so weit zu senken, dass die verschärft­en EU-Grenzwerte eingehalte­n werden.

Man sei zuversicht­lich, es gebe aber keine Garantie, hatte Källenius noch kurz vor Ausbruch der Krise gesagt. Es hängt einerseits daran, ob der Hochlauf der Elektroaut­o-Produktion schnell genug gelingt, anderersei­ts daran, ob der Kunde solch ein Auto dann auch kauft. Für beides dürfte Corona nicht gerade hilfreich sein.

Dass er mit seiner Strategie nach der Krise einfach da weitermach­en kann, wo Corona ihn unterbroch­en hat, glaubt auch Källenius selbst nicht. Womöglich muss der Chef dann in seinem zweiten Jahr gleich noch einmal ein paar Sparvorgab­en nachlegen. Öffentlich spekuliere­n will er darüber bislang nicht. Aber allzu optimistis­ch, hat er schon gewarnt, solle man bitte nicht sein.

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FOTO: DPA Daimler-Chef Ola Källenius bei der Bilanz-Pressekonf­erenz im Februar: „Die Schlüsselt­echnologie­n für die Zukunft stehen nicht zur Dispositio­n.“

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