Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Wangener Händler ärgern sich über Visier-Verbot
Gesichtsschild darf den Mundschutz im Land nicht ersetzen – Wangen wirbt für eine Änderung
WANGEN - Seit dem 27. April gilt in Baden-Württemberg eine Maskenpflicht sowohl für Kunden, als auch für Mitarbeiter in Geschäften und Einkaufszentren. Was für den kurzen Einkauf in Ordnung ist, wird für die Angestellten im Einzelhandel zunehmend zu einer Qual. Die populäre Alternative der seitlich offenen Visiere ist in Baden-Württemberg jedoch nicht zugelassen. Der Unmut darüber wächst unter den Betroffenen. Unterstützung bekommen die Befürworter von der Stadt Wangen.
Der Vorteil der sogenannten Gesichtsschilder mit Acrylglas- oder Plastikvisier liegt klar auf der Hand: Ein Visier erleichtert das Atmen deutlich, da die Schutzscheibe vor dem Gesicht hängt und nicht direkt darauf abschließt. Dieser Vorteil ist aber auch gleichzeitig der große Nachteil. Wie das bei der Landesregierung für diese Frage zuständige Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau erklärt, stellt ein Visier keinen Ersatz für die Atemschutzmasken dar, da es „als Augen- und Gesichtsschutz kein geschlossenes System ist und somit weder denjenigen, der sie trägt vor der Ausatemluft des Gegenübers schützt, noch Dritte vor der eigenen Ausatemluft.“Lediglich als „sinnvolle Ergänzung“zu anderen Maßnahmen des Arbeitsschutzes, beispielsweise in medizinischen Einrichtungen, empfiehlt das Ministerium die Visiere.
In Hessen, Hamburg und Rheinland-Pfalz sind die alternativen Masken jedoch offiziell erlaubt. In Baden-Württemberg gestattet die Corona-Verordnung sie nur, wenn das Tragen von textilen Nasen-MundBedeckungen bewiesenermaßen zu medizinischen Problemen führt oder wenn es aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht anders möglich ist. Auf Nachfrage der Schwäbischen Zeitung ist sich das Landesgesundheitsamt daher auch sicher: „Visiere sind nicht zulässig“. Was aus medizinischer Sicht schlüssig klingt, führt im Alltag mittlerweile zu Kritik, vor allem bei denjenigen, die täglich mit einer Gesichtsmaske arbeiten.
So erklärt der Argenbühler Getränkehändler Norbert Zodel, ausschließlich mit den Gesichtsschilden zu arbeiten, da seine Brille beim Tragen der Maske ständig anlaufe. Zudem sei seine Sicht eingeschränkt und er empfinde die Stoffmasken daher als „wahnsinnige Einschränkung“und Gefährdung seiner Arbeitssicherheit. Nach eigener Aussage habe ihm das Gesundheitsamt daher beim Verkauf über den Tresen das Tragen des alternativen Visiers gestattet. Zwar konnte diese Aussage vonseiten der „Schwäbischen Zeitung“nicht explizit überprüft werden, das Landratsamt erklärt auf Nachfrage aber, dass „das Tragen einer Brille kein medizinischer Grund ist und unserer Auffassung nach auch kein sonstiger zwingender Grund. Daher sind auch Brillenträger zum Tragen einer nichtmedizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung verpflichtet.“
Diese Einschätzung teilt das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und
Wohnungsbau, fügt aber an, dass im Fall einer Einschränkung zu prüfen sei, ob die „Atemschutzmaske gegebenenfalls durch ein anderes Produkt ersetzt werden oder die gleiche Sicherheit auf andere Weise hergestellt werden kann.“Daher hoffen viele Einzelhändler auf eine Überarbeitung der bisher geltenden Regelung, um ihren Angestellten das Arbeiten wieder zu erleichtern.
So erklärt Andreas Joos, Geschäftsführer der Wangener Metzgerei Joos, dass er seinen Angestellten gerne das Tragen der Visiere erlauben würde, wenn sie denn offiziell gestattet wären. Zwar stelle er ihnen im Moment sowohl Fließ-, als auch Stoffmasken zur Auswahl, jedoch führe das erschwerte Atmen unter den Masken bei seinen Mitarbeitern weiterhin regelmäßig zu Kopfschmerzen. Ähnliches berichtet Roland Kempter, Inhaber mehrerer Lebensmittelgeschäfte in der Region. Auch seine Mitarbeiter klagen über Kopfschmerzen und Schwindel beim Tragen der Masken.
„Täglich acht Stunden am Stück die Maske vor dem Gesicht zu haben ist fast unerträglich und bevor mir ein Mitarbeiter umfällt, erlaube ich lieber das zwischenzeitliche Tragen der Visiere“, so Kempter. Allerdings sei dies nur hinter den Theken oder an der Kasse, wo eine extra angebrachte Plexiglasscheibe zusätzlichen Schutz bietet, möglich. Hier können Mitarbeiter, Kempter zufolge, vorübergehend auf die Visiere wechseln. Auch Herbert Esslinger, Inhaber mehrerer Edeka-Filialen in der Region, würde seinen Angestellten das Arbeiten gerne mit Visieren erleichtern. Seiner Einschätzung nach sind die Schilde nicht weniger effektiv als „schlechte Masken“. Allerdings halte er sich an Recht und Ordnung, weshalb auch bei ihm innerhalb der Märkte die Masken getragen werden müssen. Nur beim Dienst an der Kasse, hinter der neuen Scheibe, dürfe auf die luftigeren Visiere gewechselt werden.
Einen Mittelweg hat Wolfgang Kehrer von Schmuck Kehrer in Wangen für sich gefunden. Zu Beginn der Pandemie habe er die Visiere bereits genutzt und sie als ideal empfunden. Er hat nach eigenen Angaben erst auf die Atemschutzmasken gewechselt, nachdem die Visiere als unzureichend eingestuft wurden. Aber auch ihn behindert die Maske durch die Einschränkung der Sicht und das regelmäßige Anlaufen seiner Brille bei der Arbeit. Er bedeckt daher nur noch seinen Mund mit der Stoffmaske, lässt die Nase frei und setzt zusätzlich ein Visier darüber.
Worin sich alle Befragten einig sind, ist die Tatsache, dass die Regelung der Maskenpflicht die Bedürfnisse der körperlich arbeitenden Bevölkerung nicht berücksichtigt. „Es ist ein großer Unterschied, ob ich eine Maske trage und am Schreibtisch sitze oder ob ich damit sechsmal pro Woche acht Stunden am Stück arbeiten muss“, ärgert sich Roland Kempter. Er hofft deshalb, dass auch Baden-Württemberg möglichst bald die Visiere zulässt.
Die Stadt Wangen wirbt dafür, „dass im Geschäftsleben die Gesichtsschilde als zulässiger Schutz anerkannt werden.“
ISNY