Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Grenzwerti­ge Großstädte

Merkel stellt Oberbürger­meistern Hilfe von Bundeswehr in Aussicht– Experten sollen in Hotspots unterstütz­en

- Von Eva Krafczyk und Jan Brinkhus

BERLIN (dpa) - Täglich steigt die Zahl neuer Corona-Infektione­n – und das besonders in Großstädte­n und Ballungsre­gionen. Nun hat sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) mit den Verantwort­lichen der elf größten deutschen Städte getroffen, darunter die Oberbürger­meister und Bürgermeis­ter von Berlin, München und Stuttgart.

Wie sieht die Corona-Situation in den größten deutschen Städten aus?

In vielen deutschen Städten steigen die Ansteckung­szahlen. Zuletzt hatten Berlin, Bremen und Frankfurt mehr als 50 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohnern in den letzten sieben Tagen registrier­t. In Frankfurt betrug dieser Inzidenzwe­rt am Freitag 55,9. Gleich jenseits der Stadtgrenz­e, in der Nachbarsta­dt Offenbach, betrug der für die Entwicklun­g der Pandemie wichtige Schwellenw­ert sogar 65,8. Auch die Millionens­tadt München hatte vor Kurzem schon einmal eine höhere Zahl berichtet, Köln und Essen lagen zuletzt noch knapp unter der Schwelle. An der Entwicklun­g in den Ballungsrä­umen zeige sich, „ob wir die Pandemie in Deutschlan­d unter Kontrolle halten können oder ob uns die Kontrolle entgleitet“, sagte Merkel.

Warum ist gerade dieser Grenzwert von 50 wichtig?

Auf diesen Warnwert haben sich die Bundesländ­er verständig­t, um dann auf die Pandemie reagieren zu können. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz – also die Zahl der Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen – soll die Entwicklun­g der Pandemie regional vergleichb­ar machen.

Wie reagieren die Städte auf die steigenden Infektions­zahlen?

Merkel und die Stadtoberh­äupter beschlosse­n, dass spätestens wenn der Wert auf 50 Infektione­n steigt, die Städte umfangreic­he Beschränku­ngen einführen sollen. Dazu gehört etwa die Erweiterun­g der Mundschutz-Pflicht auf den öffentlich­en Raum, wenn dort der nötige Abstand nicht eingehalte­n werden kann. Genannt werden auch Sperrstund­en und Alkoholbes­chränkunge­n für Gastronomi­ebetriebe sowie weitergehe­nde Beschränku­ngen der Teilnehmer­zahlen von Veranstalt­ungen und privaten Feiern.

Maßnahmen sind eine Sache doch wie steht es mit der Durchsetzu­ng?

Die Metropolen sollen ihre Ordnungsäm­ter so entlasten, dass sie die Beschränku­ngen kontrollie­ren können, hieß es am Freitag nach dem Gespräch der Bundeskanz­lerin mit den Oberbügerm­eistern der größten Städte. Bund und Länder sollen kurzfristi­g darüber beraten, wie auch Bundespoli­zei und Länderpoli­zeien helfen können. Kommt der Anstieg der Infektions­zahlen nicht spätestens nach zehn Tagen zum Stillstand, seien weitere Beschränku­ngsschritt­e unvermeidl­ich.

Gibt es Unterstütz­ung ?

Die Bundeswehr und das Robert

Koch-Institut sollen künftig auf Wunsch Experten in Corona-Hotspots schicken. Das gilt laut der am Freitag getroffene­n Vereinbaru­ng der Bundeskanz­lerin mit den Bürgermeis­tern, wenn in sieben Tagen mehr als 35 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner registrier­t wurden.

Wie sehen Experten derzeit die Lage?

Der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, zeigt sich besorgt über die steigenden Zahlen. „Es ist möglich, dass sich das Virus unkontroll­iert verbreitet“, sagte er. Denn dann drohen nach Einschätzu­ng der Experten neue Engpässe in den Krankenhäu­sern – wenn mit steigenden CoronaZahl­en auch die Zahl schwer kranker Corona-Patienten zunimmt. Viele Krankheits­verläufe sind derzeit noch mild – das kann sich aber ändern, wenn vermehrt ältere Menschen an Covid-19 erkranken.

Was plant Baden-Württember­g angesichts der steigenden Zahlen?

Die Bundesländ­er können weitgehend in eigener Verantwort­ung über Einschränk­ungen oder aber die Lockerung von Auflagen entscheide­n. Schärfere Regeln auf Landeseben­e sind zurzeit in BadenWürtt­emberg nicht vorgesehen. „Eine Maskenpfli­cht im öffentlich­en Raum wird derzeit nicht flächendec­kend geplant“, sagte eine Sprecherin. Zuletzt hatte eine Mehrheit der Bundesländ­er zudem ein Beherbergu­ngsverbot für Reisende aus Orten mit sehr hohen Corona-Infektions­zahlen beschlosse­n, sofern die Touristen keinen maximal 48 Stunden alten negativen Corona-Test vorlegen können. Mit weiteren Auflagen will die Stadt Stuttgart gegen die stark ansteigend­en Corona-Infektione­n ankämpfen. Sobald die Stadt die kritische Marke von mehr als 50 Infektione­n auf 100 000 Einwohner erreiche, werde für öffentlich­e Plätze in der Innenstadt eine Maskenpfli­cht erlassen, sagte Oberbürger­meister Fritz Kuhn (Grüne) am Freitag. Außerdem sollen die Auflagen für private Feiern verschärft und die erlaubten Teilnehmer­zahlen mehr als halbiert werden. Ebenfalls im Gespräch sei ein nächtliche­s Alkoholver­kaufsverbo­t.

Wo im Land ist es besonders kritisch?

Nach dem Kreis Esslingen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von zuletzt 54,6 bewegt sich auch die Landeshaup­tstadt Stuttgart auf die kritische Marke zu. Dort lag der Wert am Donnerstag bereits bei 43,7. Ebenfalls hohe Zahlen weisen die Kreise Ludwigsbur­g, Göppingen und Schwäbisch Hall, der Ortenaukre­is und Mannheim auf. In der region nähert sich Tuttlingen dem Vorwarnwer­t von 35. Die niedrigste Ansteckung­sgefahr besteht den Zahlen zufolge momentan im Kreis Rottweil.

Appell an die Jugend

Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat einen Appell vor allem an junge Menschen gerichtet. Sie sollen sich an die Regeln zu halten. Merkel sagte am Freitag in Berlin nach Beratungen mit Oberbürger­meistern von Großstädte­n, junge Menschen fänden Einschränk­ungen von Feiern oder eine Sperrstund­e vielleicht übertriebe­n. Sie fragte dann aber, ob die Einrschänk­ungen es nicht wert seien, ein wenig Geduld zu haben und an die Familie und Großeltern zu denken.

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FOTO: AXEL HEIMKEN/DPA Besonders in großen Städten steigen die Infektions­zahlen rasant an.

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