Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Ehrung für den Kampf gegen den Hunger
Friedensnobelpreis geht an das World Food Programme – 690 Millionen Menschen haben zu wenig zu essen
ROM (KNA/dpa) - Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Das Nobelkomitee begründete dies am Freitag in Oslo mit den Bemühungen der UN-Organisation im Kampf gegen Hunger rund um den Globus. Gewürdigt wurde auch der Beitrag für bessere Friedensbedingungen in Konfliktgebieten. Das Welternährungsprogramm (World Food Programme, WFP) versorgt Jahr für Jahr etwa 100 Millionen Menschen mit Essen. Insgesamt sind dafür mehr als 17 000 Helfer im Einsatz. International gab es für die Entscheidung viel Applaus.
Legendär sind die Airdrops. Fallschirmabwürfe von Hilfsgütern aus Transportmaschinen im Tiefflug sind zwar nicht das täglich Brot, aber sie begründeten den Ruhm der Experten beim World Food Programme (WFP). Was irgend geht, um Hungernde zu ernähren, setzen sie um. Als Zehntausende syrische Kriegsflüchtlinge im Niemandsland vor Jordanien stecken blieben, rollten sie einen Kran heran, um Lebensmittel von jordanischem Boden aus über die Grenzbefestigung zu hieven.
Gegenüber der Welternährungsorganisation FAO gilt das WFP als Macher. Dabei sind auf beiden Seiten konzeptionelle Arbeit und praktische Hilfe verzahnt. Was die Kooperation der UN-Agenturen erleichtert, ist, dass sie – gemeinsam mit dem Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung IFAD – gemeinsam ihren Hauptsitz in Rom haben. Vom Vorort Magliana aus koordiniert das WFP weltweit 17 000 Mitarbeiter im Kampf gegen Hunger. Allein 4,2 Millionen Tonnen Nahrungsmittel lieferte die Organisation 2019 aus. Hinzu kommen medizinische und technische Güter vom Infusionsbeutel bis zum Generator. Eine Flotte von 5600 Lastwagen, 30 Schiffen und 100 Flugzeugen schafft sie an jeden beliebigen Ort der Erde. Drehkreuz dieses humanitären Logistikunternehmens ist das Humanitarian Response Depot der Vereinten Nationen (UNHRD) in der Adria-Stadt Brindisi. Hier lagert alles, was im Notfall dienlich ist, in einer fußballfeldgroßen Halle – zugleich eine Tauschbörse für rund 80 Partnerorganisationen. Auch wenn sich das WFP als größte Nothilfeorganisation bezeichnet, kooperiert es mit anderen, die beispielsweise über eigene Strukturen vor Ort verfügen.
Ursprünglich als Verwerter für Getreideüberschüsse aus Industriestaaten gedacht, zielt die Organisation immer mehr auf eine langfristige Ernährungssicherung – sei es mit
Schulspeisungsprogrammen oder Aufbauhilfen für Kleinfarmer. Auch wurden im vergangenen Jahr 2,1 Milliarden US-Dollar in Form von Gutscheinen oder Bargeld ausgegeben. Das verkürzt Transportwege, unterstützt lokale Märkte und belässt den Empfängern ein Stück Autonomie – und Würde.
Die Vorsitzende des norwegischen Nobelkomitees, Berit ReissAndersen, sagte, es sei eine der ältesten Waffen der Welt, Menschen in Konfliktsituationen auszuhungern, um dann in ihr Territorium einzudringen. Leider werde von dieser Waffe noch heute sehr aktiv Gebrauch gemacht. Auch ohne die Corona-Krise wäre das WFP ein würdiger Preisträger gewesen – jetzt aber umso mehr. „Die Pandemie hat das Bedürfnis an Nahrungsmittelhilfe gesteigert. Lebensmittel sind wegen des Virus für manche Bevölkerungen weniger verfügbar.“
Bis 2030 soll der Hunger vom Globus verschwunden sein. Augenblicklich haben 690 Millionen Menschen weltweit nicht ausreichend zu essen; 135 Millionen leiden unter akutem Hunger. Und nun könnten durch die
Folgen der Corona-Krise laut UNSchätzungen bis Jahresende 130 Millionen weitere an die Schwelle des Verhungerns gedrängt werden. Konflikte in Syrien und Jemen, Krisen in Südsudan und Burkina Faso, die Heuschreckenplage in Ostafrika sowie häufigere Naturkatastrophen, Extremwetter und wirtschaftliche Notlagen wie im Libanon mit Millionen Bürgerkriegsflüchtlingen – all das bildet nach Worten von WFPExekutivdirektor David Beasley einen „perfekten Sturm“.
Schon vor der Ausbreitung des Coronavirus habe die Welt vor der „schlimmsten humanitären Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg“gestanden, sagte Beasley in einer Botschaft an den Weltsicherheitsrat im April. Mit der Pandemie stehe die Menschheit „binnen weniger Monate vor Hungersnöten biblischer Ausmaße“.
Eine Übersicht über alle Nobelpreisträger finden Sie online unter www.schwäbische.de/ friedensnobelpreis