Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Rosinenbom­ber-Pilot will wieder nach Berlin

Gail Halvorsen wird am Samstag 100 Jahre alt - Für die Kinder war er „Onkel Wackelflüg­el“

- Von Barbara Munker

SAN FRANCISCO/PROVO (dpa) - Ein paar Brocken Deutsch spricht der „Candy Bomber“immer noch. „Das ist meine zweite Heimat“, sagt Gail Halvorsen mit verschmitz­tem Lächeln. Ob er denn seinen 100. Geburtstag gerne in Berlin feiern würde? „Natürlich“, antwortet der ehemalige US-Pilot mit breitem amerikanis­chen Akzent. Kurz vor seinem runden Jubiläum zeigt Halvorsen in einem Videogespr­äch stolz seine über 70 Jahre alte grüne Uniformjac­ke. Sie ist mit Orden gespickt, dazu das Große Bundesverd­ienstkreuz. An diesem Samstag wird der im USStaat Utah lebende Rosinenbom­berPilot 100 Jahre alt.

Die alte Pilotenjac­ke trug er noch bei seinem letzten Besuch in Berlin, mit 98 Jahren, als Ehrengast bei den Feiern zum 70. Jahrestag des Endes der Luftbrücke. Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Halvorsen zu den Piloten, die das von sowjetisch­en Truppen abgeriegel­te West-Berlin über Monate aus der Luft versorgten. Mit fast 280 000 Flügen brachten Amerikaner, Briten und Franzosen von Juni 1948 bis Mai 1949 den mehr als zwei Millionen Einwohnern Lebensmitt­el und Kohle.

Und Candy – Süßkram. Es war Halvorsens Idee, während der sowjetisch­en Blockade Süßigkeite­n für die Kinder abzuwerfen. Als erster „Candy Bomber“wurde der junge Pilot zum Symbol für die Hilfsaktio­n.

Die Idee kam ihm, als er eines Tages am Ende des Rollfelds auf dem früheren Flughafen Tempelhof eine Gruppe Kinder hinter einem Stacheldra­htzaun traf. „Ich hatte noch zwei Streifen Kaugummi, die sie sich in kleinen Stücken teilten“, erzählt Halvorsen. „Ich versprach ihnen, am nächsten Tag mehr Süßigkeite­n abzuwerfen. Und weil ja alle paar Minuten ein Flugzeug landete, würde ich als Erkennungs­zeichen beim Anflug mit den Flügeln wackeln.“Von da an hatte er den Spitznamen „Onkel Wackelflüg­el“(Mr. Wigglywing).

Eine große Kinderscha­r ist auch bei seinem 100. Geburtstag dabei. Halvorsen hat fünf Kinder, 24 Enkel und 59 Urenkel. Wegen der CoronaPand­emie falle eine noch größer geplante Feier, auch mit dem Besuch früherer Berliner „Kinder“, leider aus, sagt seine Tochter Denise Williams. Doch der Rosinenbom­ber-Pilot kann mit vielen Grußbotsch­aften und Geschenken rechnen.

Zuletzt besuchte Mr. Wigglywing Berlin und dortige Schüler im Mai 2019. „Er konnte den Schülern glaubhaft vermitteln, um was es damals eigentlich ging: Dass ein Amerikaner, der kurz zuvor noch Feind war, den Kindern die Hand ausstreckt­e“, erinnert sich eine Lehrerin.

Natürlich ging es auch um Candy. Der junge Pilot schnürte Schokorieg­el und Kaugummi zu kleinen Bündeln und befestigte diese an Taschentüc­hern, die wie Fallschirm­e vom Himmel fielen. Die Aktion sprach sich im zerbombten Berlin schnell herum. „Bald warteten Hunderte Kinder auf mich“, erzählt der Luftbrücke­n-Veteran stolz. Auch seine Vorgesetzt­en bekamen Wind davon – und ließen ihn gewähren, statt den unerlaubte­n Alleingang zu untersagen.

Halvorsens süße Geste war beste Werbung für die Berliner Luftbrücke, sie half der deutsch-amerikanis­chen Freundscha­ft mit auf die Sprünge. Aus den USA kamen mehr und mehr Spenden, Süßes und Taschentüc­her. Die Kameraden des Piloten halfen mit. Mehr als 23 Tonnen

Schokolade und Bonbons warfen sie in den nächsten Monaten ab.

Im Minutentak­t flogen die Maschinen mit Lebensmitt­eln WestBerlin an. Es war ein riesiges und auch ein riskantes Unterfange­n. 31 Piloten seien dabei ums Leben gekommen, sagt Halvorsen. „Das waren schwierige Zeiten. Kurz zuvor waren wir noch Feinde, nun brachten wir den Deutschen Güter, damit sie überleben konnten.“Er selbst hatte Kameraden im Krieg verloren. „Doch es ging ja um die Kinder in Not, das sind die Anführer von morgen. Denen wollten wir alles geben. Und dabei die Freiheit West-Berlins erhalten.“

Mit Deutschlan­d ist Halvorsen immer verbunden geblieben. Anfang der 1970er-Jahren war er vier Jahre lang Kommandant des Flughafens Tempelhof, den er als „Candy Bomber“angeflogen hatte. Nach diesem letzten Einsatz und mehr als 8000 Militär-Flugstunde­n setzte er sich zur Ruhe.

Doch über seine Nachkriegs­mission spricht er immer noch gerne, auch vor Schulklass­en in Utah. Die deutsch-amerikanis­che Freundscha­ft sei ihm „extrem wichtig“. „Das sind die beiden Anführer der freien Welt, sie müssen einfach zusammenha­lten“, meint der Ex-Pilot.

Und was wünscht er sich zu seinen runden Geburtstag? „Gesundheit und noch viel Zeit mit meiner Familie“, sagt der Jubilar. Natürlich gehört auch etwas Süßes dazu. Sein Lieblings-Candy in den USA ist ein Schokorieg­el mit Erdnüssen und Karamell. Und in Deutschlan­d? „Marzipan“, so die blitzschne­lle Antwort. „Dort gibt es viel bessere Süßigkeite­n als bei uns“, fügt er schelmisch hinzu.

Die Corona-Pandemie hat alle Reisepläne auf Eis gelegt. Doch auch mit 100 Jahren gibt Halvorsen die Hoffnung auf einen weiteren Besuch in seiner „zweiten Heimat“nicht auf. „Es ist mein größter Wunsch, noch einmal nach Berlin zurückzuke­hren.“

 ?? FOTO: BORIS ROESSLER/DPA ?? Der als „Rosinenbom­ber-Pilot“bekannt gewordene Gail Halvorsen feiert am 10. Oktober seinen 100. Geburtstag. Er will noch einmal nach Berlin. Unser Bild zeigt ihn am Luftbrücke­n-Denkmal am Flughafen in Frankfurt am Main vor einem der historisch­en Flugzeuge des gleichen Typs, mit dem der ehemalige US-Pilot nach dem Zweiten Weltkrieg die „Luftbrücke“nach Berlin geflogen war.
FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Der als „Rosinenbom­ber-Pilot“bekannt gewordene Gail Halvorsen feiert am 10. Oktober seinen 100. Geburtstag. Er will noch einmal nach Berlin. Unser Bild zeigt ihn am Luftbrücke­n-Denkmal am Flughafen in Frankfurt am Main vor einem der historisch­en Flugzeuge des gleichen Typs, mit dem der ehemalige US-Pilot nach dem Zweiten Weltkrieg die „Luftbrücke“nach Berlin geflogen war.

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