Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Erst positiv, dann negativ: Rätsel um Corona-Tests
Neun Krankenhaus-Patienten erneut getestet, aber mit anderem Ergebnis – Das könnte die Erklärung sein
KREIS RAVENSBURG - Überraschende Wende bei den neun positiv auf das Covid-19-Virus getesteten Patienten am Wangener Krankenhaus: Wegen der auffälligen Häufung veranlasste die Oberschwabenklinik (OSK) als Betreiber Zweitabstriche bei den Betroffenen. Die Ergebnisse fielen allesamt negativ aus. Jetzt folgt eine dritte Testreihe. Gesicherte Erklärungen für die Diskrepanz gibt es noch nicht, wohl aber einen Erklärungsansatz. Unabhängig davon meldet das Landratsamt weiter steigende Corona-Fallzahlen. Außerdem wurde bekannt, dass erneut eine Schule in der Region von einer Infektion betroffen ist.
Warum ließ die OSK noch einmal testen?
Im September hatte die OSK begonnen, Patienten vorsichtshalber auf Corona zu testen, wenn sie sich zu geplanten Behandlungen in die Häuser des Klinikverbunds begeben. Laut Sprecher Winfried Leiprecht gab es dabei nie Auffälligkeiten. Am Donnerstag dann aber doch: Die Tests von gleich acht Elektivpatienen fielen positiv aus, kurz zuvor bei einem neunten ebenfalls. Alle Betroffenen hatten über keinerlei Symptome geklagt.
Die Häufung machte die OSK stutzig und sie nahm nach Absprache mit dem Gesundheitsamt des Landkreises und des Ravensburger Labors Dr. Gärtner Zweitabstriche vor – mit komplett gegensätzlichem Ergebnis.
Wieso gibt es unterschiedliche Ergebnisse?
Weshalb es zu diesen Unterschieden kommen konnte, ist noch nicht geklärt. Kreisgesundheitsamtsleiter Michael Föll hat allerdings einen Erklärungsansatz – und der bezieht sich auf die Virus-Konzentration der untersuchten Probe (CT-Wert oder Cyclethreshold-Wert beziehungsweise Zyklus-Schwellenwert).
In diesem Zuge vergleicht er den technischen Testvorgang – vereinfacht gesagt – wie folgt: Eine Maschine sucht in verschiedenen Zyklen nach Erbgutschnipseln des Virus’. Findet er sie in bis zu 30 Durchläufen, gilt der Test zweifelsfrei als positiv. Der CT-Wert ist in diesem Fall niedriger als 30. Braucht die Maschine mehr als 40 Zyklen, gibt es ein negatives Ergebnis.
Dazwischen besteht eine Grauzone – und in der befinden sich alle Resultate der fraglichen Tests der neun Wangener Krankenhauspatienten. Im Landkreis Ravensburg beziehungsweise beim Labor Dr. Gärtner werden laut Föll Tests aber positiv gewertet, wenn für sie zwischen 30 und 40 Zyklen benötigt werden. In manchen Regionen Deutschlands werde dies aber anders gehandhabt.
Laut einem im Internet verfügbaren Informationsblatt des Labors Dr. Gärtner können CT-Werte zwischen 30 und 40 verschiedene Ursachen haben: zum Beispiel bereits abklingende Infektionen oder – laut Michael
Föll – erst beginnende. Desweiteren führt das Labor unter anderem schwer kranke Patienten an, bei denen das Virus bereits vom Rachenbereich in die Lunge „gewandert“ist. Oder aber quasi das Gegenteil: Die Virusmenge ist sehr gering.
Auch eine „nicht optimale Probenentnahme“nennt das Labor, zum Beispiel weil der Abstrich nicht sachgerecht gewesen sein könnte. Laut Gesundheitsamtsleiter lassen sich nach Rücksprache mit der OSK hierbei Fehler aber ausschließen. Vom Labor Dr. Gärtner weiß Föll ebenfalls: Zu menschlichen oder technischen Fehlern beim Transport beziehungsweise der Analyse der Proben soll es nicht gekommen sein.
Das bestätigte das Labor am frühen Freitagabend selbst: „Labor-analytische Probleme und Fehler bei der Untersuchung werden seitens unseres Labors ausgeschlossen. Bei den positiv getesteten Abstrichproben konnte eindeutig Virus-RNA nachgewiesen sowie bei den negativ getesteten Abstrichproben eindeutig keine Virus-RNA nachgewiesen werden.“
Diese Ergebnisse seien durch Wiederholungstests auf einem zweiten, unabhängigen Messgerät und durch eine sorgfältige Überprüfung der Laborabläufe und Resultate bestätigt worden.
Zu den verwendeten Standards ergänzte das Labor: „Die Testung erfolgt unter qualitätskontrollierten Bedingungen auf zertifizierten, hoch sensitiven Testsystemen. Als akkreditiertes Diagnostik-Labor unterliegen wir hohen Qualitätsstandards, welche regelmäßig durch die Deutsche Akkreditierungsstelle überprüft werden.“
Unterm Strich ist – Stand Freitagnachmittag – dennoch weiter Rätselraten angesagt. Denn keinen Erklärungsansatz gibt es bislang für die Frage, warum bei gleich neun Tests von Patienten eines einzigen Krankenhauses binnen so kurzer Zeit ausschließlich Ergebnisse in besagtem Graubereich herausgekommen sind. „Die Frage stellen sich derzeit alle Beteiligten“, sagt Föll. Er glaubt: „Das wird sich vermutlich nicht zu 100 Prozent aufklären lassen.“
Was passiert mit den Getesteten jetzt?
Bis die Ergebnisse der dritten Testreihe vorliegen, wertet die OSK im Einklang mit dem Gesundheitsamt die Fälle vorsichtshalber weiterhin als positiv. Deshalb bestehen für die neun Betroffenen nach wie vor Quarantäne-Auflagen. Alles Weitere werde entschieden, sobald die Resultate der dritten Testungsreihe vorliegen.
Wie OSK-Sprecher Winfried Leiprecht am Freitagvormittag erklärte, hätten zwei der betroffenen Patienten das Westallgäu-Klinikum mittlerweile verlassen, sie befinden sich jetzt daheim in Isolation. Die sieben anderen befänden sich nach wie vor im Krankenhaus.
Woher kommen die Betroffenen?
Die neun erst positiv und dann negativ getesteten Menschen leben nach Angaben des Sprechers großteils im Westallgäu. Eine räumliche Häufung gibt es aber nicht, da sie sich auf sieben Städte oder Gemeinden verteilen. Nach Informationen der Stadt Wangen vom Donnerstag wohnen zumindest zwei von ihnen in Wangen. Laut Leiprecht haben außerdem zwei ihren Wohnsitz im Schussental.
Wie läuft jetzt der Betrieb am Krankenhaus?
Unterdessen ist das Wangener OSKKrankenhaus am Freitag wieder weitgehend in den Normalbetrieb zurückgekehrt. Besuche waren am Freitagnachmittag zu den üblichen Uhrzeiten möglich. Am Donnerstag hatte das Krankenhaus wegen der zunächst positiven Corona-Fälle seine Türen geschlossen. Auch die am Vortag ebenfalls zeitweise stillgelegte Notaufnahme kann nach Angaben des Sprechers wieder ihren Aufgaben nachkommen.
Den widersprüchlichen Covid-19Tests zum Trotz kann Leiprecht der Situation einen positiven Aspekt abgewinnen: Das Notfallmanagement des Wangener Krankenhauses habe hervorragend geklappt: „Das war quasi aus heiterem Himmel heraus eine Art Generalprobe, und das Team hat gezeigt, dass es sich in ganz kurzer Zeit auf solche Situationen einstellen kann.“
Was geschieht mit den Mitarbeitern?
Zehn dort Beschäftigte bleiben aufgrund der unklaren Lage aus Sicherheitsgründen zunächst daheim. Dabei handelt es sich um Personal, das Kontakt zu den neun Elektivpatienten gehabt haben könnte. Deshalb ist es laut Leiprecht möglich, dass sich dies am Wochenende auf die internistische Versorgung am Westallgäu-Klinikum auswirken kann. Eventuell müssten Patienten an das Elisabethen-Krankenhaus in Ravensburg verwiesen werden.
Wie viele Corona-Patienten liegen in den Krankenhäusern?
Ungeachtet der Unsicherheit, ob die neun Personen nun mit dem Virus infiziert sind oder nicht, ist die Zahl in den OSK-Krankenhäusern behandelter Covid-19-Patienten in jüngster Zeit gestiegen. Sie sind deshalb in den folgenden Zahlen nicht enthalten: Auf den Stationen in Wangen und Ravensburg liegen insgesamt acht Menschen, jeweils vier in Wangen und Ravensburg. Drei der Wangener Patienten befinden sich nach OSK-Angaben in Intensivbehandlung, alle weiteren in der Normalpflege.
Ferner befinden sich im Westallgäu-Klinikum elf Verdachtsfälle auf regulären Stationen, in Ravensburg sind es vier. Über den Sommer hinweg mussten lange Zeit nur vereinzelt Corona-Patienten behandelt werden, vor rund einer Woche waren es dann wieder vier.
Wie entwickeln sich die Fallzahlen allgemein?
Weiter deutlich nach oben: Im Vergleich zur letzten Meldung des Landratsamts am Dienstag gab es gemäß der am Freitag (Stand 11 Uhr) veröffentlichten Daten kreisweit 36 Neuinfizierte. Allerdings sind in dieser Zahl die neun fraglichen Fälle des Wangener Krankenhauses enthalten. Rechnet man sie heraus, bleiben dennoch 27 Neuerkrankungen – und damit mehr als doppelt so viele wie in der letzten Landratsamtsmeldung. Die aktuellen Daten geben zudem Auskunft über 21 neu Genesene und aktuell 159 aktive Infektionen.
Wie schätzt das Gesundheitsamt die Lage ein?
Leiter Michael Föll sagt: „Ich kann nur den Appell erneut eindringlich stellen, dass jeder einzelne diese Herausforderung für sich ernst nehmen muss.“Im Landkreis Ravensburg habe man zwar ein „noch kontrollierbares Infektionsgeschehen“, allerdings müsse jeder einzelne Bürger Verantwortung tragen. Dieses gelte etwa bei der Wahl des Urlaubszieles oder der Frage, welche Veranstaltung man besucht. „Wir können das nur gut managen, wenn alle mitziehen.“
Welche Schule in der Region war zuletzt betroffen?
Wie erst jetzt bekannt geworden ist, hat es auch an der Grundschule Waltershofen einen Corona-Fall gegeben. „Eine Lehrkraft hatte ein positives Testergebnis, von dem ich am Montag zur Mittagszeit erfahren habe. Wir haben neben den Pflichtmaßnahmen auch vorsorgliche Maßnahmen ergriffen“, sagte Bürgermeister Dieter Krattenmacher.
Die Eltern wurden informiert, die vierte Klasse ins Homeschooling geschickt. Die Erst- bis Drittklässler werden an der Schule unterrichtet. Rektorin Stefanie Kleiner versichert, dass in Absprache mit dem Schulamt alles regelgetreu umgesetzt und getan wurde, was nötig ist.
Auch im Vorfeld habe es mit Ausnahme einer anderen Lehrkraft keine Kontakte im Kollegium gegeben. Neben der coronaerkrankten Lehrkraft wurden verschiedene Personen getestet – darunter Bürgermeister Krattenmacher und Ortsvorsteher Werner Bachmann, die im Vorfeld eine Besprechung mit der Lehrkraft hatten. „Alle Getesteten haben sich dann in Quarantäne begeben“, sagte das Gemeindeoberhaupt, das am vergangenen Sonntag wiedergewählt wurde: „Inzwischen wissen wir, dass alle Testungen negativ sind.“Krattenmacher ist seit Donnerstag wieder im Amt, Bachmann hatte am Freitag noch einen Tag Urlaub eingeschoben.
Der Fall hatte sich bereits am Dienstag in den Zahlen des Landratsamts widergespiegelt. Da hatte die Behörde die siebte Infektion in Kißlegg gemeldet, die erste seit mehreren Monaten überhaupt.