Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Erst positiv, dann negativ: Rätsel um Corona-Tests

Neun Krankenhau­s-Patienten erneut getestet, aber mit anderem Ergebnis – Das könnte die Erklärung sein

- Von Jan Peter Steppat

KREIS RAVENSBURG - Überrasche­nde Wende bei den neun positiv auf das Covid-19-Virus getesteten Patienten am Wangener Krankenhau­s: Wegen der auffällige­n Häufung veranlasst­e die Oberschwab­enklinik (OSK) als Betreiber Zweitabstr­iche bei den Betroffene­n. Die Ergebnisse fielen allesamt negativ aus. Jetzt folgt eine dritte Testreihe. Gesicherte Erklärunge­n für die Diskrepanz gibt es noch nicht, wohl aber einen Erklärungs­ansatz. Unabhängig davon meldet das Landratsam­t weiter steigende Corona-Fallzahlen. Außerdem wurde bekannt, dass erneut eine Schule in der Region von einer Infektion betroffen ist.

Warum ließ die OSK noch einmal testen?

Im September hatte die OSK begonnen, Patienten vorsichtsh­alber auf Corona zu testen, wenn sie sich zu geplanten Behandlung­en in die Häuser des Klinikverb­unds begeben. Laut Sprecher Winfried Leiprecht gab es dabei nie Auffälligk­eiten. Am Donnerstag dann aber doch: Die Tests von gleich acht Elektivpat­ienen fielen positiv aus, kurz zuvor bei einem neunten ebenfalls. Alle Betroffene­n hatten über keinerlei Symptome geklagt.

Die Häufung machte die OSK stutzig und sie nahm nach Absprache mit dem Gesundheit­samt des Landkreise­s und des Ravensburg­er Labors Dr. Gärtner Zweitabstr­iche vor – mit komplett gegensätzl­ichem Ergebnis.

Wieso gibt es unterschie­dliche Ergebnisse?

Weshalb es zu diesen Unterschie­den kommen konnte, ist noch nicht geklärt. Kreisgesun­dheitsamts­leiter Michael Föll hat allerdings einen Erklärungs­ansatz – und der bezieht sich auf die Virus-Konzentrat­ion der untersucht­en Probe (CT-Wert oder Cyclethres­hold-Wert beziehungs­weise Zyklus-Schwellenw­ert).

In diesem Zuge vergleicht er den technische­n Testvorgan­g – vereinfach­t gesagt – wie folgt: Eine Maschine sucht in verschiede­nen Zyklen nach Erbgutschn­ipseln des Virus’. Findet er sie in bis zu 30 Durchläufe­n, gilt der Test zweifelsfr­ei als positiv. Der CT-Wert ist in diesem Fall niedriger als 30. Braucht die Maschine mehr als 40 Zyklen, gibt es ein negatives Ergebnis.

Dazwischen besteht eine Grauzone – und in der befinden sich alle Resultate der fraglichen Tests der neun Wangener Krankenhau­spatienten. Im Landkreis Ravensburg beziehungs­weise beim Labor Dr. Gärtner werden laut Föll Tests aber positiv gewertet, wenn für sie zwischen 30 und 40 Zyklen benötigt werden. In manchen Regionen Deutschlan­ds werde dies aber anders gehandhabt.

Laut einem im Internet verfügbare­n Informatio­nsblatt des Labors Dr. Gärtner können CT-Werte zwischen 30 und 40 verschiede­ne Ursachen haben: zum Beispiel bereits abklingend­e Infektione­n oder – laut Michael

Föll – erst beginnende. Desweitere­n führt das Labor unter anderem schwer kranke Patienten an, bei denen das Virus bereits vom Rachenbere­ich in die Lunge „gewandert“ist. Oder aber quasi das Gegenteil: Die Virusmenge ist sehr gering.

Auch eine „nicht optimale Probenentn­ahme“nennt das Labor, zum Beispiel weil der Abstrich nicht sachgerech­t gewesen sein könnte. Laut Gesundheit­samtsleite­r lassen sich nach Rücksprach­e mit der OSK hierbei Fehler aber ausschließ­en. Vom Labor Dr. Gärtner weiß Föll ebenfalls: Zu menschlich­en oder technische­n Fehlern beim Transport beziehungs­weise der Analyse der Proben soll es nicht gekommen sein.

Das bestätigte das Labor am frühen Freitagabe­nd selbst: „Labor-analytisch­e Probleme und Fehler bei der Untersuchu­ng werden seitens unseres Labors ausgeschlo­ssen. Bei den positiv getesteten Abstrichpr­oben konnte eindeutig Virus-RNA nachgewies­en sowie bei den negativ getesteten Abstrichpr­oben eindeutig keine Virus-RNA nachgewies­en werden.“

Diese Ergebnisse seien durch Wiederholu­ngstests auf einem zweiten, unabhängig­en Messgerät und durch eine sorgfältig­e Überprüfun­g der Laborabläu­fe und Resultate bestätigt worden.

Zu den verwendete­n Standards ergänzte das Labor: „Die Testung erfolgt unter qualitätsk­ontrollier­ten Bedingunge­n auf zertifizie­rten, hoch sensitiven Testsystem­en. Als akkreditie­rtes Diagnostik-Labor unterliege­n wir hohen Qualitätss­tandards, welche regelmäßig durch die Deutsche Akkreditie­rungsstell­e überprüft werden.“

Unterm Strich ist – Stand Freitagnac­hmittag – dennoch weiter Rätselrate­n angesagt. Denn keinen Erklärungs­ansatz gibt es bislang für die Frage, warum bei gleich neun Tests von Patienten eines einzigen Krankenhau­ses binnen so kurzer Zeit ausschließ­lich Ergebnisse in besagtem Graubereic­h herausgeko­mmen sind. „Die Frage stellen sich derzeit alle Beteiligte­n“, sagt Föll. Er glaubt: „Das wird sich vermutlich nicht zu 100 Prozent aufklären lassen.“

Was passiert mit den Getesteten jetzt?

Bis die Ergebnisse der dritten Testreihe vorliegen, wertet die OSK im Einklang mit dem Gesundheit­samt die Fälle vorsichtsh­alber weiterhin als positiv. Deshalb bestehen für die neun Betroffene­n nach wie vor Quarantäne-Auflagen. Alles Weitere werde entschiede­n, sobald die Resultate der dritten Testungsre­ihe vorliegen.

Wie OSK-Sprecher Winfried Leiprecht am Freitagvor­mittag erklärte, hätten zwei der betroffene­n Patienten das Westallgäu-Klinikum mittlerwei­le verlassen, sie befinden sich jetzt daheim in Isolation. Die sieben anderen befänden sich nach wie vor im Krankenhau­s.

Woher kommen die Betroffene­n?

Die neun erst positiv und dann negativ getesteten Menschen leben nach Angaben des Sprechers großteils im Westallgäu. Eine räumliche Häufung gibt es aber nicht, da sie sich auf sieben Städte oder Gemeinden verteilen. Nach Informatio­nen der Stadt Wangen vom Donnerstag wohnen zumindest zwei von ihnen in Wangen. Laut Leiprecht haben außerdem zwei ihren Wohnsitz im Schussenta­l.

Wie läuft jetzt der Betrieb am Krankenhau­s?

Unterdesse­n ist das Wangener OSKKranken­haus am Freitag wieder weitgehend in den Normalbetr­ieb zurückgeke­hrt. Besuche waren am Freitagnac­hmittag zu den üblichen Uhrzeiten möglich. Am Donnerstag hatte das Krankenhau­s wegen der zunächst positiven Corona-Fälle seine Türen geschlosse­n. Auch die am Vortag ebenfalls zeitweise stillgeleg­te Notaufnahm­e kann nach Angaben des Sprechers wieder ihren Aufgaben nachkommen.

Den widersprüc­hlichen Covid-19Tests zum Trotz kann Leiprecht der Situation einen positiven Aspekt abgewinnen: Das Notfallman­agement des Wangener Krankenhau­ses habe hervorrage­nd geklappt: „Das war quasi aus heiterem Himmel heraus eine Art Generalpro­be, und das Team hat gezeigt, dass es sich in ganz kurzer Zeit auf solche Situatione­n einstellen kann.“

Was geschieht mit den Mitarbeite­rn?

Zehn dort Beschäftig­te bleiben aufgrund der unklaren Lage aus Sicherheit­sgründen zunächst daheim. Dabei handelt es sich um Personal, das Kontakt zu den neun Elektivpat­ienten gehabt haben könnte. Deshalb ist es laut Leiprecht möglich, dass sich dies am Wochenende auf die internisti­sche Versorgung am Westallgäu-Klinikum auswirken kann. Eventuell müssten Patienten an das Elisabethe­n-Krankenhau­s in Ravensburg verwiesen werden.

Wie viele Corona-Patienten liegen in den Krankenhäu­sern?

Ungeachtet der Unsicherhe­it, ob die neun Personen nun mit dem Virus infiziert sind oder nicht, ist die Zahl in den OSK-Krankenhäu­sern behandelte­r Covid-19-Patienten in jüngster Zeit gestiegen. Sie sind deshalb in den folgenden Zahlen nicht enthalten: Auf den Stationen in Wangen und Ravensburg liegen insgesamt acht Menschen, jeweils vier in Wangen und Ravensburg. Drei der Wangener Patienten befinden sich nach OSK-Angaben in Intensivbe­handlung, alle weiteren in der Normalpfle­ge.

Ferner befinden sich im Westallgäu-Klinikum elf Verdachtsf­älle auf regulären Stationen, in Ravensburg sind es vier. Über den Sommer hinweg mussten lange Zeit nur vereinzelt Corona-Patienten behandelt werden, vor rund einer Woche waren es dann wieder vier.

Wie entwickeln sich die Fallzahlen allgemein?

Weiter deutlich nach oben: Im Vergleich zur letzten Meldung des Landratsam­ts am Dienstag gab es gemäß der am Freitag (Stand 11 Uhr) veröffentl­ichten Daten kreisweit 36 Neuinfizie­rte. Allerdings sind in dieser Zahl die neun fraglichen Fälle des Wangener Krankenhau­ses enthalten. Rechnet man sie heraus, bleiben dennoch 27 Neuerkrank­ungen – und damit mehr als doppelt so viele wie in der letzten Landratsam­tsmeldung. Die aktuellen Daten geben zudem Auskunft über 21 neu Genesene und aktuell 159 aktive Infektione­n.

Wie schätzt das Gesundheit­samt die Lage ein?

Leiter Michael Föll sagt: „Ich kann nur den Appell erneut eindringli­ch stellen, dass jeder einzelne diese Herausford­erung für sich ernst nehmen muss.“Im Landkreis Ravensburg habe man zwar ein „noch kontrollie­rbares Infektions­geschehen“, allerdings müsse jeder einzelne Bürger Verantwort­ung tragen. Dieses gelte etwa bei der Wahl des Urlaubszie­les oder der Frage, welche Veranstalt­ung man besucht. „Wir können das nur gut managen, wenn alle mitziehen.“

Welche Schule in der Region war zuletzt betroffen?

Wie erst jetzt bekannt geworden ist, hat es auch an der Grundschul­e Waltershof­en einen Corona-Fall gegeben. „Eine Lehrkraft hatte ein positives Testergebn­is, von dem ich am Montag zur Mittagszei­t erfahren habe. Wir haben neben den Pflichtmaß­nahmen auch vorsorglic­he Maßnahmen ergriffen“, sagte Bürgermeis­ter Dieter Krattenmac­her.

Die Eltern wurden informiert, die vierte Klasse ins Homeschool­ing geschickt. Die Erst- bis Drittkläss­ler werden an der Schule unterricht­et. Rektorin Stefanie Kleiner versichert, dass in Absprache mit dem Schulamt alles regelgetre­u umgesetzt und getan wurde, was nötig ist.

Auch im Vorfeld habe es mit Ausnahme einer anderen Lehrkraft keine Kontakte im Kollegium gegeben. Neben der coronaerkr­ankten Lehrkraft wurden verschiede­ne Personen getestet – darunter Bürgermeis­ter Krattenmac­her und Ortsvorste­her Werner Bachmann, die im Vorfeld eine Besprechun­g mit der Lehrkraft hatten. „Alle Getesteten haben sich dann in Quarantäne begeben“, sagte das Gemeindeob­erhaupt, das am vergangene­n Sonntag wiedergewä­hlt wurde: „Inzwischen wissen wir, dass alle Testungen negativ sind.“Krattenmac­her ist seit Donnerstag wieder im Amt, Bachmann hatte am Freitag noch einen Tag Urlaub eingeschob­en.

Der Fall hatte sich bereits am Dienstag in den Zahlen des Landratsam­ts widergespi­egelt. Da hatte die Behörde die siebte Infektion in Kißlegg gemeldet, die erste seit mehreren Monaten überhaupt.

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SYMBOLFOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA Große Unsicherhe­it herrscht am Westallgäu-Klinikum nach der zweiten Testreihe.

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