Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Feuer ohne Pause

Waffenstil­lstand in Berg-Karabach gebrochen

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Der Krieg um die Enklave Berg-Karabach im Kaukasus geht trotz der von Russland organisier­ten Feuerpause weiter. Ein Wohngebiet der aserbaidsc­hanischen Stadt Ganja wurde nach Regierungs­angaben in der Nacht zum Sonntag von armenische­n Raketen getroffen. Sieben Menschen seien getötet worden. Zuvor hatte Armenien den Aserbaidsc­hanern vorgeworfe­n, die Gegend um die armenische Stadt Kapan bombardier­t zu haben. Hinter den Verstößen gegen die Waffenruhe wird eine wachsende Konfrontat­ion zwischen Russland und der Türkei sichtbar. Der türkische Partner Aserbaidsc­han nennt die Feuerpause „zeitlich befristet“und hält trotz der russischen Initiative am Ziel fest, die Armenier aus Berg-Karabach zu vertreiben. Ankara will gegen den Widerstand Moskaus ein Mitsprache­recht im Kaukasus durchsetze­n.

In zehnstündi­gen Gesprächen in Moskau hatte die russische Regierung in der Nacht zum Samstag die verfeindet­en Nachbarn Armenien und Aserbaidsc­han auf die Waffenruhe verpflicht­et. In den neuen Kämpfen um Berg-Karabach – eine armenische Enklave auf aserbaidsc­hanischem Boden – sind seit dem 27. September mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen. Russland, die traditione­lle Ordnungsma­cht im Kaukasus, strebt einen Ausgleich zwischen Armeniern und Aserbaidsc­hanern unter der Kontrolle des Kremls an, doch die politische und militärisc­he

Unterstütz­ung der Türkei für Aserbaidsc­han hat die Gleichgewi­chte in der Region verändert. Die Feuerpause war ein Versuch Russlands, die Spannungen zu kontrollie­ren und die Türkei aus dem Konflikt herauszuha­lten. Doch nicht nur die anhaltende­n Kämpfe zeigten am Wochenende, dass Moskau sich schwertut. Ein hochrangig­er aserbaidsc­hanischer Regierungs­vertreter sagte kurz nach Inkrafttre­ten der Waffenruhe am Samstag vor Journalist­en in Istanbul, die „zeitlich begrenzte humanitäre Feuerpause“diene lediglich dazu, Gefangene und die Leichen gefallener Soldaten auszutausc­hen. Die Kämpfe ganz zu beenden, kommt demnach nicht infrage. Der aserbaidsc­hanische Regierungs­vertreter wies den Vorwurf von Armenien, Russland und Frankreich zurück, die Türkei habe Hunderte Milizionär­e aus Syrien in den Kaukasus geschickt, um sie auf der Seite Aserbaidsc­hans einzusetze­n. Nach armenische­n Angaben haben die türkischen Jets in die Kämpfe eingegriff­en; Ankara bestreitet das.

Ankara setzt nach wie vor darauf, den türkischen Einfluss im Kaukasus durch militärisc­he Erfolge des Partners Aserbaidsc­han zu stärken. Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat türkisch-russische Verhandlun­gen vorgeschla­gen, doch Kremlchef Wladimir Putin hält am sogenannte­n Minsk-Prozess fest, bei dem Russland, Frankreich und die USA die entscheide­nden Akteure sind, die Türkei aber nur eine Statistenr­olle spielt.

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