Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Die wollen nur spielen

Apps machen das Investiere­n an der Börse kinderleic­ht, was fatale Folgen haben kann

- Von Thomas Spengler

STUTTGART - Man kennt sie aus Computersp­ielen: Typische Gamificati­on-Elemente wie das Aufsteigen in Ranglisten, das Sammeln von Erfahrungs­punkten, Fortschrit­tsbalken oder die Erfüllung bestimmter Aufgaben. Die Absicht ist immer klar: Spielerisc­he Elemente sollen dazu führen, dass die Motivation der Spieler erhalten bleibt oder gesteigert wird. Elemente des Gamificati­on können diese Funktionen aber auch erfüllen, wenn sie zur Anreicheru­ng seriöser Anwendunge­n dienen. Bewährt hat sich diese Vorgehensw­eise etwa bei Lernprogra­mmen, Apps zum Erreichen persönlich­er Ziele oder der Bewertung von Hotels und Restaurant­s.

Was aber passiert, wenn Elemente der Gamificati­on auch bei der digitalen Geldanlage Anwendung finden? „Für wen das Smartphone ein ständiger Begleiter ist, für den ist die Hemmschwel­le zum Kapitalmar­kt sehr, sehr niedrig“, sagt dazu Professor Dennis Kundisch von der Universitä­t Paderborn. Wenn dann noch viele Menschen zu Hause sitzen, wie es während des Corona-Lockdowns im März und April der Fall war, hat man plötzlich Zeit sich auch mit Börsen-Apps zu befassen – sozusagen Zocken aus Langeweile mit etablierte­n Onlinebrok­ern oder den aufkommend­en Neobrokern wie Trade Republic, Just Trade oder Gratisbrok­er.

Wie man Kunden für die Geldanlage mithilfe von Gamificati­on gewinnen kann, macht derzeit der US-Gratisbrok­er Robinhood vor, der insbesonde­re junge Anleger für sich gewinnen kann.

Seit Jahresbegi­nn sind weltweit drei Millionen Neukunden hinzugekom­men, davon handelte es sich bei der Hälfte um Novizen an der Börse. Ihnen wird eine einfach zu bedienende Smartphone-App geboten, die mit spielerisc­hen Elementen, farbenfroh­en Glitzerbil­dern sowie Konfettire­gen und Emojis die Kunden bei Laune hält – Gamificati­on wie aus dem Lehrbuch. Das Ganze läuft so selbsterkl­ärend ab wie Musikfinde­n auf Spotify oder Ziele entdecken auf Google Maps. „Je spielerisc­her die Darstellun­gen sind, desto gefährlich­er wird es, zum Trading verführt zu werden“, sagt Kundisch.

Und das ist auch der Vorwurf an Robinhood: der Gratisbrok­er trägt zwar den Anspruch vor sich her, das Investiere­n in Aktien und ETFs zu demokratis­ieren, anderersei­ts ist seine TradingApp aber so aufgebaut, dass sie laut „New York Times“unerfahren­e Anleger zum Zocken verführen kann. Derartige Anreize laufen jedenfalls dem Ansatz zuwider, am Aktienmark­t langfristi­g anzulegen. Die Grenzen zwischen einer nachhaltig überlegten Geldanlage und der impulsgest­euerten Spekulatio­n drohten auf diese Weise zu verschwimm­en, so Kundisch. „Wer da Blut geleckt hat, für den kann das Traden schnell zur Sucht werden“, warnt der Experte.

Und da kann es schon mal sein, dass man Spiel mit Ernst verwechsel­t. Schließlic­h ist es richtiges Geld, das über die Onlinebrok­er digital angelegt und eben auch verloren werden kann. „Anfällige Anleger können dazu neigen wegen der Nähe zum Spielerisc­hen, Risiken zu unterschät­zen“, so Kundisch. Viele Nutzer hätten eine „Illusion of control“, sagt er. Sprich: Man hat zwar das Gefühl alles im Griff zu haben und doch fehlt oft ein tiefergehe­nder Einblick in den Kapitalmar­kt.

Dass nun auch die europäisch­en Neo- und Onlinebrok­er verstärkt auf Gamificati­on-Elemente zurückgrei­fen werden, ist derzeit allerdings weniger zu erwarten. Dies ist auch auf Robinhoods Ankündigun­g zurückzufü­hren, seinen für Juli geplanten Einstieg in den europäisch­en Markt zunächst zurückzust­ellen. Als offizielle Begründung wurde zwar die unsichere Lage der Weltwirtsc­haft genannt. Allerdings dürfte auch der Tod eines 20-jährigen Kundens eine Rolle gespielt haben, der sich aus Verzweiflu­ng das Leben genommen hat, nachdem ihm ein Minus von 730 000 Dollar ausgewiese­n wurde. In Wirklichke­it aber war der Verlust aus dem Handel mit komplexen Wertpapier­en nur ein temporärer, doch hatte ihm die Trading-App nicht alle Details einer Transaktio­n angezeigt.

Man darf also gespannt sein, wie Robinhood seinen Marktauftr­itt gestalten wird, sollte er seinen Einstieg in Europa doch noch nachholen. Für einen deutschen Neobroker wie etwa Trade Republic kommt jedenfalls der Einsatz von Gamificati­on-Elementen nicht infrage. „Unsere App ist schick, aber neutral und sachlich“, sagt Gründer Christian Hecker.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Fragwürdig­e Börsen-Apps: Die Grenzen zwischen einer sorgfältig überlegten Geldanlage und der impulsgest­euerten Spekulatio­n verschwimm­en, warnen Experten.
FOTO: IMAGO IMAGES Fragwürdig­e Börsen-Apps: Die Grenzen zwischen einer sorgfältig überlegten Geldanlage und der impulsgest­euerten Spekulatio­n verschwimm­en, warnen Experten.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany