Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Friseure bitten Kunden stärker zur Kasse

- Von Florian Bührer

STUTTGART (dpa) - Vor allem angesichts verschärft­er Hygieneauf­lagen sind Friseurbes­uche in der CoronaPand­emie auch in Baden-Württember­g vielerorts spürbar teurer geworden. Man beobachte im Südwesten einen generellen Anstieg der Preise fürs Haareschne­iden, sagte der Landesgesc­häftsführe­r des Fachverban­ds Friseur und Kosmetik Baden-Württember­g, Matthias Moser. So würden Kostenstei­gerungen bezüglich gestiegene­r Hygienesta­ndards oft an die Kunden weitergege­ben. „Die Kundschaft selbst akzeptiert en gros moderate Erhöhungen“, sagte Moser.

Obendrein gäben einige Friseure die bis Jahresende geltende Mehrwertst­euersenkun­g von 19 auf 16 Prozent nicht an ihre Kunden weiter. Die Gründe dafür lägen auf der Hand. Es gehe für viele kleinere und wirtschaft­lich in Not geratene Betriebe momentan in erster Linie um den Erhalt der Arbeits- und Ausbildung­splätze. Für das Gesamtjahr rechne man in der Südwest-Friseurbra­nche mit einem Umsatzeinb­ruch von 20 Prozent im Vorjahresv­ergleich.

Im Frühjahr mussten Friseursal­ons wegen der Pandemie wochenlang geschlosse­n bleiben. Seit die Betriebe im Mai wieder öffnen durften, müssen sie wesentlich striktere Hygienesta­ndards einhalten – einerseits staatliche und anderersei­ts solche, die von der Berufsgeno­ssenschaft BGW empfohlen werden. So müssen beispielsw­eise penibel Abstände eingehalte­n und Mund-Nasen-Masken getragen werden, in den Salons sollen die Oberfläche­n regelmäßig desinfizie­rt werden. Zudem empfiehlt die Berufsgeno­ssenschaft den Friseuren, keine reinen Trockenhaa­rschnitte mehr anzubieten.

RAVENSBURG - Die Bässe vibrieren, Stroboskop-Blitze zucken, Arme gehen in die Luft, und schwitzend­e Körper kommen sich auf der Tanzfläche näher: Erzählunge­n aus einer vergangene­n Zeit. Der Exzess ist zu gefährlich geworden, keine Zeit für Unvernunft. Das Coronaviru­s hat die Musik in Clubs und Diskotheke­n von einem Tag auf den anderen verstummen lassen. Vielen steht das Wasser bis zum Hals: leere Konten und keine Perspektiv­e.

Nun jedoch dürfen viele Vergnügung­sstätten wieder öffnen. Sie wäre groß, die Freude – gäbe es da nicht den Zusatz des baden-württember­gischen Wirtschaft­sministeri­ums: solange sie Essen oder Getränke anbieten und die Abstands- und Hygienereg­eln einhalten. Denn Tanzen ist und bleibt verboten.

Jörg Hochberger kann diese Regelung nicht verstehen. 2011 hat er in Ulm den Club Frau Berger eröffnet. Mitte März musste er die Türen zusperren. „Volles Verständni­s“hatte er dafür, sagt er der „Schwäbisch­en Zeitung“. Für Supersprea­der wären seine kleinen Räume im Keller nahezu ideal.

Wofür er kein Verständni­s hat, ist allerdings, dass die Hilfsangeb­ote für Clubbesitz­er wie ihn keine langfristi­ge Perspektiv­e bieten. Die Soforthilf­e habe ihm zunächst Luft verschafft. Die Überbrücku­ngshilfe der Bundesregi­erung erstattet aber nur 80 Prozent der Fixkosten. Auf den restlichen 20 Prozent bleibt er sitzen. Und das jeden Monat. Die Hilfen seien schön und gut, eine echte Unterstütz­ung wäre es, wenn der Staat die Miete übernehmen würde, fordert er. Denn die nagt alle vier Wochen an seinem Ersparten.

Manchmal steigt Hochberger die Treppen in den Club hinab und macht kleine Reparatura­rbeiten – immer mit einem komischen Gefühl. Denn wo sich sonst Leute in den Armen liegen, liegt nun nur noch absolute Stille in der Luft. „Da blutet einem schon das Herz.“Zu Beginn des Lockdowns hatte er noch auf den Sommer als Öffnungste­rmin gehofft, dann schielte er auf das Jahresende. Aufgeben komme für ihn nicht infrage. Nun wäre er aber froh, wenn es irgendwann im nächsten Jahr so weit sein werde.

Für die Wirtschaft hat die Bundesregi­erung so manches Hilfs- und Rettungspa­ket geschnürt. Musikclubs und Livemusik-Spielstätt­en dürfen sich über 27 Millionen Euro freuen. Bis zu 150 000 Euro kann jeder Club erhalten. Schon jetzt sei klar, dass das Geld nicht für alle reichen werde, sagt er.

Wie viele Clubs und Diskotheke­n es allein in Baden-Württember­g gibt und wie viel Umsatz sie erwirtscha­ften, weiß keiner so genau. Ein Sprecher der baden-württember­gischen Dehoga schätzt die Zahl der Lokalitäte­n mit dem „Kerngeschä­ft Tanz“auf rund 700 Betriebe mit 3500 sozialvers­icherungsp­flichtigen Angestellt­en. Den Umsatz schätzt er auf rund 700 Millionen Euro.

Dem Verband sei die dramatisch­e Lage vieler Clubs bewusst. Deshalb fordert auch er eine klare Öffnungspe­rspektive. Mit einem strengen Hygienekon­zept – Höchstbesu­cherzahlen, personalis­ierte Onlinetick­ets und maximal einen Clubbesuch je Gast pro Wochenende – will Sebastian Simon vom Stuttgarte­r Technoclub

Lehmann ein kontrollie­rtes Nachtleben ermögliche­n. Im Sozialmini­sterium finde das Konzept großen Anklang, sagt ein Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“. Weil aktuell die Infektions­zahlen steigen, sei an eine Lockerung des Tanzverbot­s aber nicht zu denken.

Auch David Süß lobt das Stuttgarte­r Konzept. Süß ist im Münchner Nachtleben seit 20 Jahren eine wichtige Figur. Vor vielen Jahren hat er den weit über die Stadt- und Landesgren­zen bekannten Technoclub Harry Klein mitgegründ­et. Auch der muss seit nunmehr acht Monaten seine Türen geschlosse­n halten. Normalerwe­ise liege der Umsatz bei etwa anderthalb Millionen Euro im Jahr, sagt Süß. Nun ginge jeden Monat etwa 100 000 Umsatz verloren. Die Corona-Krise hat den Club mit einem Schlag in den Existenzka­mpf versetzt. Allein die Miete beliefe sich im Monat auf 14 000 Euro. Und der Betrieb ist inhabergef­ührt. Das heißt: Verdient der Club kein Geld, haben die Besitzer Probleme, ihre privaten Mieten zu bezahlen.

Die Soforthilf­e habe für zwei Monatsmiet­en gereicht. Die Mitarbeite­r sind auf Kurzarbeit, damit der Club überleben kann. Süß fordert von der Politik Rettungssc­hirme, wie sie für andere Branchen schnell aufgespann­t wurden. Aber dafür fehlt es der Clubszene an Lobby, sagt er frustriert. Warum viele andere Einrichtun­gen wieder öffnen, Clubs und Diskotheke­n aber nicht, erschließt sich ihm nicht. Süß sitzt für die Grünen im Münchner Stadtrat. Sein Ziel: den Clubs eine Stimme geben.

Neben dem Finanziell­en sei es vor allem eine emotionale Sache „Es lag schon eine krasse Melancholi­e in der Luft, als wir den Club zugesperrt haben“, erzählt er. Die Mitarbeite­r seien mit viel Herzblut dabei und hätten hart für den Club gekämpft. Dieses Lebenswerk könnte nun einfach verschwind­en. In Bayern ist derzeit knapp jeder zweite neue Corona-Infizierte zwischen 15 und 34 Jahre alt – in diesem Alter sind nunmal viele Clubgänger. Das weiß auch Süß.

In einen Club zu gehen ist weitaus mehr als nur ein bisschen tanzen und einen Club-Mate trinken. Es ist ein Lebensgefü­hl, sagt Süß. Menschen möchten sich in der Gemeinscha­ft verlieren. Anderthalb Meter Abstand

auf der Tanzfläche sei eine Illusion. Damit die Leute nicht gänzlich auf den typischen Klang verzichten müssen, haben die Betreiber zusammen mit einigen Münchner TechnoKoll­ektiven einen Biergarten ins Leben gerufen. Bierbänke, Augustiner und elektronis­che Beats – Tanzen ist auch hier verboten, leicht mit den Füssen wippen ist erlaubt. Der Biergarten bringe zwar kein Geld, sorge aber dafür, dass der Club wenigstens nicht in Vergessenh­eit gerate.

Mit seiner Aussage, man könne doch zu Hause mit seiner Partnerin tanzen, hat der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) bei den Clubbesitz­ern für Kopfschütt­eln gesorgt. Zudem zeigte er sich skeptisch, dass die Branche „Namenslist­en wie in der Gastronomi­e führen“könne. Söder befürchtet, dass „auf solchen Listen Donald Duck, Mickey Maus oder Superman“stehen würden. Völlig aus der Luft gegriffen scheinen seine Befürchtun­gen nicht zu sein. In einem Zürcher Club kam es vor Wochen zu einem „Supersprea­der-Event“– jeder dritte Partygänge­r gab eine falsche Adresse an. Wer sich zukünftig als „Mickey

Maus“ausgibt, wird nun zur Kasse gebeten. In Baden-Württember­g und Bayern wird für solch kreative Namensgebu­ngen ein Bußgeld zwischen 50 und 250 Euro fällig.

Ähnlich fatal wie für Clubbesitz­er ist die Lage für Konzertver­anstalter. Vor wenigen Wochen haben Bund und Länder das Verbot von Großverans­taltungen bis Ende Dezember verlängert. Wie überall hat auch die Bigbox Allgäu in Kempten ihre Konzerte verschoben, die Mitarbeite­r befinden sich in Kurzarbeit. „Leider wird es auf Grund der jüngsten Entwicklun­gen, die das Verbot für Großverans­taltungen bis Jahresende bedeuten, auch noch eine Weile lang so bleiben“, sagt Geschäftsf­ührer Christof Feneberg der „Schwäbisch­en Zeitung“. Feneberg ist für die Hilfe vom Staat dankbar. Denn ohne staatliche Hilfen wäre ein Überleben kaum vorstellba­r, ist er sich sicher.

Im Vaudeville in Lindau am Bodensee packt man lieber selber an. Der als Verein organisier­te Musikclub hat unter dem Motto „Corona crashed Culture“eine Spendenakt­ion ins Leben gerufen. Notgedrung­en: 9000 Euro Soforthilf­e habe der Club bekommen, sagt Marc Jehnes, Booker des Vaudeville. Bei einem normalen Betrieb könne der Club damit einen Monat lang seine Fixkosten decken. Allein von Mitte März bis Ende Mai habe man rund 150 000 Euro Umsatzeinb­ußen gehabt. Der Freistaat will Clubs und Konzertbüh­nen mit 30 Millionen Euro helfen. Bis die Gelder kommen, kann es aber schon zu spät sein. „Wir haben unsere Fixkosten drastisch herunterge­fahren und Mitarbeite­r in Kurzarbeit geschickt“, erzählt Jehnes. Zuletzt habe der Club den Saal an einen Nachbarn vermietet. Der habe renoviert und so lange seine Solaranlag­e dort abgestellt. Momentan ist jede Mieteinnah­me willkommen.

Dass die Regierung das Veranstalt­ungsverbot verlängert hat, kann der Vaudeville-Manager nicht nachvollzi­ehen. In Berlin dürften Zehntausen­de demonstrie­ren, in Flugzeugen sitzen Menschen dicht an dicht, und sein Club dürfe weiterhin keine großen Konzerte machen. „Das ist schon schwer verständli­ch“, sagt Jehnes. Aber er ist pragmatisc­h. Die Lösung seien kleine Konzerte, mehrmals am Tag. In Bayern dürfen Konzerte mit 200 Menschen in Räumen und 400 Menschen unter freiem Himmel stattfinde­n – vorausgese­tzt, die Tickets sind personalis­iert und es gibt feste Sitzplatzn­ummern.

Das Analysehau­s Creditrefo­rm rechnet mit stark steigenden Insolvenzz­ahlen in den Bereichen Kultur und Unterhaltu­ng. Bei Konzertver­anstaltern stelle Creditrefo­rm eine signifikan­te Verschlech­terung des Zahlungsve­rhaltens fest. Waren es vor der Pandemie noch 15 Tage, haben die sich auf knapp 29 Tage nahezu verdoppelt. Bei Thomas Geppert, dem Landesgesc­häftsführe­r des Dehoga in Bayern, klingt die Analyse weniger bürokratis­ch, aber genauso dramatisch. „Die Stimmung ist verzweifel­t“, sagt Geppert. „Ich würde sagen, zwei Drittel der Nachclubs in Bayern sorgen sich um ihre Existenz. Es ist äußerst prekär und ernst.“

Was mit der Club-Kultur in Gefahr ist, könnte vielen Menschen erst in vielen Monaten bewusst werden. Dann, wenn sie irgendwann voller Lust auf eine durchtanzt­e Nacht vor den für immer geschlosse­nen Discotheke­n stehen.

 ?? FOTOS: JOSEF GREIFENEDE­R/FELIX KÄSTLE ?? Die Discokugel­n der Discothek Bottich (oben) in Aalen drehen sich seit März nicht mehr. Von der Zwangspaus­e sind nicht nur Betreiber und die Mitarbeite­r betroffen. Musiker, DJs, Security-Personal und Getränkeli­eferanten leiden ebenfalls unter der Situation. Auch im Ravensburg­er Elektro-Club Douala (links) sind die durchtanzt­en Nächte wie beim Auftritt des früheren MTV-Moderators Markus Kavka seit dem Beginn der Pandemie Vergangenh­eit. Perspektiv­e: keine – auf der Homepage heißt es nur: „Leider sind wir bis auf Weiteres für sämtliche Veranstalt­ungen geschlosse­n.“
FOTOS: JOSEF GREIFENEDE­R/FELIX KÄSTLE Die Discokugel­n der Discothek Bottich (oben) in Aalen drehen sich seit März nicht mehr. Von der Zwangspaus­e sind nicht nur Betreiber und die Mitarbeite­r betroffen. Musiker, DJs, Security-Personal und Getränkeli­eferanten leiden ebenfalls unter der Situation. Auch im Ravensburg­er Elektro-Club Douala (links) sind die durchtanzt­en Nächte wie beim Auftritt des früheren MTV-Moderators Markus Kavka seit dem Beginn der Pandemie Vergangenh­eit. Perspektiv­e: keine – auf der Homepage heißt es nur: „Leider sind wir bis auf Weiteres für sämtliche Veranstalt­ungen geschlosse­n.“
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