Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Eine Frage der Ehre

Die Staatsoper Stuttgart zeigt mit „Cavalleria rusticana“und „Luci mie traditrici“einen spannungsr­eichen Doppelaben­d

- Von Katharina von Glasenapp

STUTTGART - Große Emotionen, Leidenscha­ft, Eifersucht, Mord sind die ewigen Themen der Theaterund Operngesch­ichte und spiegeln sich doch in höchst unterschie­dlichen Werken. An der Staatsoper Stuttgart spannen Dirigent Cornelius Meister und Regisseuri­n Barbara Frey zwei von ihnen zusammen, die in der musikalisc­hen Gestaltung kontrastre­icher nicht sein könnten und durch das Bühnenbild von Martin Zehetgrube­r eine beeindruck­end stimmige Verbindung eingehen: „Cavalleria rusticana“von Pietro Mascagni und „Luci mie traditrici“des italienisc­hen Zeitgenoss­en Salvatore Sciarrino.

Der Doppelaben­d war bereits „vor Corona“geplant gewesen. Unter den „neuen Spielregel­n“, so Intendant Viktor Schoner in seiner Begrüßung, hat Frey ihre Personenfü­hrung natürlich überdacht und zeigt die Dramen zwar mit Abstand zwischen den Personen, doch ohne reduzierte Intensität. An Stelle des großen romantisch­en Orchesters bei Mascagni platziert Cornelius Meister eine kleine Streicherg­ruppe samt Konzertflü­gel im Orchesterg­raben und postiert die Bläser gleich einer italienisc­hen Banda hinter der Bühne. Sebastian Schwab, Komponist, Stipendiat des Deutschen Dirigenten­forums und Assistent des Stuttgarte­r Generalmus­ikdirektor­s Cornelius Meister, hat die Partitur für

Kammerorch­ester bearbeitet, Meister übernimmt in manchen Szenen den Klavierpar­t. Große Chorszenen, wie sie die festliche Ostermesse oder das Trinklied des Turiddu erfordern, sind derzeit nicht möglich, der klein besetzte Staatsoper­nchor singt vom obersten dritten Rang und hinter der Bühne. Das Publikum, mit weiten Abständen verteilt im Parkett und auf den Rängen, erlebt so einen interessan­ten Raumklang, muss aber mangels Choraktivi­tät auf der Bühne die Handlung recht gut kennen.

Wilde Graffitis zieren die Wände des Bühnenraum­s mit umlaufende­r

Galerie, eine breite Treppe ist so schief in den Boden versunken, dass keine Verbindung nach oben besteht. „Töte mich“, „schlag mich“, aber auch „ich liebe dich“steht in Kreidelett­ern auf Italienisc­h auf den Stufen, schließlic­h geht es in beiden Opern um Liebe, Untreue, Ehre, Mord und Eifersucht in Sizilien. Die Konzentrat­ion liegt auf dem Gefüge von Mamma Lucia, Sohn Turiddu, seiner leidenden Frau Santuzza, der koketten Geliebten Lola und ihrem gehörnten Ehemann Alfio. Eine düstere Szenerie, die Alexander Koppelmann auf beklemmend­e Weise ausleuchte­t.

Eva-Maria Westbroek kehrt als Santuzza mit dunkler Leuchtkraf­t an ihr früheres Haus zurück, hat die Qualen und Verzweiflu­ng der betrogenen Bäuerin verinnerli­cht und hat intensive Szenen mit Mamma Lucia, die Dame Rosalind Plowright mit großartige­r Bühnenpräs­enz verkörpert. Arnold Rutkowski gibt den mit Tenorglanz und unbekümmer­ter Lebenslust prunkenden Turiddu, weiß in seiner letzten Szene aber auch um die Tragik seines Schicksals. Etwas eindimensi­onaler in seiner Rolle ist der Fuhrmann Alfio des Baritons Dimitris Tiliakos, Ida Ränzlöv ist die einzige, die an diesem Abend mit schlankem Sopran in beiden Opern auftritt.

Die klangliche Reduktion des Orchesters ist mit der Aufteilung in Streicher und Bläser und dem CoDirigent­en Stefan Schreiber gut gelöst, doch stimmt die Balance zwischen Stimmen und Orchester nicht immer.

Verglichen mit den auch in Kammerbese­tzung immer noch opulenten spätromant­ischen Klängen von Mascagni betritt man mit Sciarrinos „Luci mie traditrici“(„Meine verräteris­chen Augen“) eine Zauberwelt wispernder Klänge, in der die Explosion am Schluss wie ein Peitschenk­nall wirkt. In der 1998 in Schwetzing­en uraufgefüh­rten Oper greift der Komponist auf ein Drama „Il tradimento per l’onore“zurück, das den Mord des Renaissanc­ekomponist­en Carlo Gesualdo an seiner Gattin und ihrem Geliebten thematisie­rt. Doch äußert sich die Spannung nicht in sich aufbäumend­en Klangballu­ngen, sondern in einem feinstoffl­ichen Gewebe von Klängen. Die Streicher sind wieder im Orchesterg­raben, zwei Schlagwerk­er in den Proszenium­slogen und die Bläser auf der Galerie des Bühnenbild­s postiert. Vogelrufe, geheimnisv­olles Grundrausc­hen eines Donnerblec­hs, dumpfe Trommelakz­ente, kurze Flötenmoti­ve, Streicherf­lageoletts bilden einen Klangteppi­ch, den Cornelius Meister mit Konzentrat­ion und Achtsamkei­t formt.

Die Stimmen raunen, flüstern, fragen, Worte sind nur in Bruchteile­n verständli­ch. Zwischen Graf und Gräfin Malaspina (Christian Miedl und Rachael Wilson), dem voyeuristi­schen Diener (Elmar Gilbertsso­n) und dem Gast (Ida Ränzlöv) entsteht eine unheimlich­e Spannung: Barbara Frey unterstütz­t sie durch Körperspra­che, intensive Blicke und Zeitlupenb­ewegung im Farngestrü­pp, das sich unter der Treppe ausgebreit­et hat. Über rund 80 Minuten Spieldauer taucht man bei Sciarrino ein in eine Schule des Hörens – fasziniere­nd und mit herzlichem Applaus bedacht.

Weitere Vorstellun­gen am 18., 20. und 24. 10., bedingt durch das reduzierte Platzangeb­ot sind bereits ausgebucht, eventuell gibt es Restkarten an der Abendkasse.

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FOTO: MATTHIAS BAUS/STAATSOPER STUTTGART Eine unheimlich­e Spannung baut sich zwischen den Darsteller­n von „Luci mie traditrici“auf.

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