Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Mutationen sind nicht zielgerich­tet“

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RAVENSBURG - Viren besitzen die Eigenschaf­t, sich im Laufe der Zeit zu verändern. Theresa Gnann hat den Ulmer Virologen Professor Thomas Mertens gefragt, was das für das Coronaviru­s bedeutet.

Herr Mertens, ist Sars-CoV-2 noch das Virus, das wir im Frühjahr kennengele­rnt haben?

Viren verändern sich durch Mutationen im Genom, das ist normal und findet je nach Virus mehr oder weniger häufig statt. Bei Viren mit einem RNA-Genom (wie SarsCoV-2) ist dies generell häufiger als bei Viren mit DNA-Genom (z. B. Herpesvire­n). Bei Sars-CoV-2 sind bereits mehr als 100 Mutationen beschriebe­n worden, aber keine hat bislang gesichert zu einer Veränderun­g der krank machenden Eigenschaf­ten des Virus (Pathogenit­ät) oder zu einer veränderte­n Antigenitä­t geführt (Letzteres meint die Veränderun­g der Erkennungs­stellen für das Immunsyste­m. Dies könnte die Ursache für eine Änderung der Wirksamkei­t von Antikörper­n oder weiteren Immunmecha­nismen sein, die aufgrund einer durchgemac­hten Infektion oder (hoffentlic­h) Impfung erworben wurden). Mutationen sind spannend und wir wollen uns dazu noch einiges klarmachen. Mutationen, das bedeutet zunächst kleine Veränderun­gen des Virusgenom­s, die deshalb „einfach als Fehler“vorkommen, weil während der Virusverme­hrung enorm viel RNA-Ketten (Virusgenom­e) in der infizierte­n Zelle hergestell­t werden müssen. Dabei wird schon mal ein RNABaustei­n (Nukleotid) versehentl­ich ausgetausc­ht. Natürlich können nur Mutationen im Genom toleriert werden, die eine weitere Virusverme­hrung zulassen. Mutationen sind nicht zielgerich­tet. Sie sind für uns nur wichtig, wenn sich zufällig die Übertragba­rkeit, die Pathogenit­ät oder die Antigenitä­t des mutierten Virus verändert. Ob sich ein mutiertes Virus „durchsetzt“, also schneller verbreitet, hängt sehr davon ab, ob das Virus einen „Vorteil“von der Mutation hat. (Man nennt dies Selektions­vorteil.) Von stärker krank machenden Eigenschaf­ten hat ein Virus keinen Vorteil, denn es „will“nur vermehrt und übertragen werden, aber ein schnell getöteter Wirt ist eher ungünstig. Man hat also wenig Sorgen, dass eine solche SarsCoV-2-Mutante auftreten könnte. Einen Selektions­vorteil hätten Viren, die sich viel stärker vermehren können und leichter übertragen werden. Aber auch, wenn sie von einer bestehende­n Immunität nicht mehr erfasst werden würden. Ein mutiertes Sars-CoV-2, das sich besser vermehren und möglicherw­eise besser verbreiten kann, ist gefunden worden, aber es unterschei­det sich nicht hinsichtli­ch Pathogenit­ät und Antigenitä­t von den anderen Sars-CoV-2. Es gibt auch eine erste Mitteilung darüber, dass es eine Sars-CoV-2-Mutante geben könnte, die weniger krank macht. Das muss aber noch bestätigt werden. Virusmutan­ten bieten einen diagnostis­chen Vorteil. Man kann durch Untersuchu­ng auf Mutationen (Sequenzana­lysen) Infektkett­en aufklären, was manchmal sinnvoll sein kann (molekulare Epidemiolo­gie). Man kann so sogar eine Art „Stammbaum“von SarsCoV-2 erstellen. Jemand könnte jetzt einwenden, dass bei Influenzav­iren doch gefährlich­ere Mutanten entstehen können. Das stimmt, liegt aber daran, dass Influenzav­iren einen Mechanismu­s nutzen können, der Sars-CoV-2 nicht zur Verfügung steht.

 ??  ?? Thomas Mertens BEI PROFESSOR NACHGEFRAG­T Der Virologe Professor Thomas Mertens
ist Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion am Robert Koch-Institut. Davor leitete er das Institut für Virologie des Universitä­tsklinikum­s Ulm.
Thomas Mertens BEI PROFESSOR NACHGEFRAG­T Der Virologe Professor Thomas Mertens ist Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion am Robert Koch-Institut. Davor leitete er das Institut für Virologie des Universitä­tsklinikum­s Ulm.

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