Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Warum niemand mehr von Schonkost spricht

Nicht angebraten, unbedingt fettarm, kaum gewürzt – dieses Konzept gilt als überholt

- Von Elena Zelle

Bei Schonkost denken wohl die meisten an labberiges und fades Krankenhau­s-Essen. Und der Begriff hält sich hartnäckig – obwohl es ihn eigentlich gar nicht mehr gibt. An seine Stelle ist die „angepasste Vollkost“getreten, bei der viel mehr auf individuel­le Bedürfniss­e eingegange­n werden soll.

Doch erst mal zurück zum „berüchtigt­en“Begriff, seiner Geschichte – und einer Klarstellu­ng: Denn die eine Schonkost gab es eigentlich nicht, erläutert Sabine OhlrichHah­n, Vizepräsid­entin des Verbandes der Diätassist­enten. Vielmehr gab es bis etwa Mitte der 70er-Jahre verschiede­ne Arten für unterschie­dliche Organe. Magen-, Gallen- oder Leberschon­kost zum Beispiel.

So viele verschiede­ne Gerichte anzubieten, war in Krankenhäu­sern allerdings gar nicht möglich. Und so entwickelt­e sich das, was wir noch heute unter Schonkost verstehen: „Es wurde nichts angebraten und nur mild gewürzt“, erläutert OhlrichHah­n.

Dazu stand nur leicht verdaulich­es Gemüse auf dem Speiseplan: „Viel mehr als Möhren, Sellerie und vielleicht ein paar Blumenkohl­röschen gab es nicht.“Die Kost sollte außerdem möglichst fettarm sein. Vollkorn gab es nur wenig und wenn, dann fein vermahlen.

Hinter diesem Angebot steckte die Ansicht, dass mit einer solchen Kost der Verdauungs­trakt und somit der Körper geschont und dadurch die Genesung – etwa nach einer Operation – beschleuni­gt wird.

Gegen Ende der 70er-Jahre gab es einen Paradigmen­wechsel: Die Schonung der Patienten verlor an Bedeutung, die Liegezeite­n wurden kürzer. Und auch die Ernährung veränderte sich. „Die Patienten wurden nicht mehr geschont, sondern sollten möglichst schnell stabilisie­rt werden, damit eine abwechslun­gsreiche und gesundheit­sfördernde Ernährungs­weise möglich ist“, so Ohlrich-Hahn.

Bei der Schonkost ist das nicht der Fall: „Die Ernährung ist einseitig, es werden Dinge weggelasse­n, die eigentlich wichtig wären“, erläutert die Expertin. Außerdem werden nicht alle Bedarfe gedeckt. Als Beispiele nennt sie die unzureiche­nde Ballaststo­ffzufuhr und den Mangel an hochwertig­en Fetten. So eine Ernährung rege zudem nicht zum Essen

an und trage auch nicht zum Wohlbefind­en bei.

1978 wurde der Begriff Schonkost durch den der „leichten Vollkost“ersetzt. Diese Ernährungs­weise sollte durch das Weglassen bestimmter Lebensmitt­el oder Garmethode­n zwar leichter verdaulich sein als die Vollkost, aber trotzdem den Bedarf in allen Bereichen abdecken. Laut Ohlrich-Hahn

wurde etwa auf größere Mengen Hülsenfrüc­hte, stark geröstete Speisen, Kohlsorten wie Sauerkraut, Grünkohl oder Zwiebeln, scharfe Gewürze oder fetten geräuchert­en Fisch verzichtet.

Allerdings ist auch der Begriff der leichten Vollkost inzwischen überholt: 2019 wurde er im Leitfaden für Ernährungs­therapie in Klinik und

Praxis (LEKuP) durch „angepasste Vollkost“ersetzt. Hier sollen vor allem individuel­le Unverträgl­ichkeiten berücksich­tigt werden.

„Gegessen werden kann, was vertragen wird“, erläutert Ohlrich-Hahn das Konzept. „Einer könnte täglich Brokkoli essen, der andere bekommt davon Blähungen. Und beide haben recht. Das ist ein Phänomen, das man nicht erklären kann.“

Wenn man etwas nicht verträgt, bekommt man beispielsw­eise Bauchweh, hat ein Völlegefüh­l, muss oft aufstoßen oder hat Blähungen. „Solche unspezifis­chen Beschwerde­n müssen keine diagnostiz­ierbare Unverträgl­ichkeit als Ursache haben“, so Ohlrich-Hahn.

In der Regel merkt man im Laufe der Zeit, welche Lebensmitt­el solche Beschwerde­n auslösen, und kann darauf verzichten. So ernährt man sich dann ganz im Sinne der angepasste­n Vollkost. Zwingend ratsam ist der Verzicht für Menschen mit chronisch-entzündlic­hen Darmerkran­kungen oder diagnostiz­ierten Lebensmitt­elintolera­nzen.

Im Zweifel kann man ein Ernährungs­tagebuch führen und sollte Beschwerde­n ärztlich abklären lassen. Aber dies sei nur ein erster Schritt und reiche nicht aus, weil es das Problem in der täglichen Ernährung nicht löse, betont Ohlrich-Hahn. Schließlic­h müsse man auch Alternativ­en finden, um eine einseitige Ernährung zu vermeiden. Hier kann eine profession­elle Ernährungs­beratung helfen.

In der Regel könne man seinem Körper vertrauen, sagt Prof. Diana Rubin aus dem Vorstand der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährungs­medizin (DGEM). „Bei einer Durchfalle­rkrankung hat man in der Regel keinen Appetit und isst automatisc­h fettarm und leichter verdaulich“, erläutert die Leiterin des Zentrums für Ernährungs­medizin am Vivantes Klinikum Berlin

Auch nach größeren Operatione­n kann die Vollkost, selbst wenn sie angepasst ist, Beschwerde­n verursache­n. „Bei uns gibt es dann die sogenannte Basiskost“, erklärt Rubin.

Nach Eingriffen an der Bauchspeic­heldrüse oder Magenentfe­rnungen stehen dann zum Beispiel zunächst Suppen, Brei, Weißbrot, Fruchtmus und vor allem eiweißreic­her Joghurt auf dem Speiseplan. „Diese Form der Ernährung ist nur für wenige Tage geeignet, da sie nicht bedarfsdec­kend ist“, betont Rubin.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Auch das Weglassen gehört zur „angepasste­n Vollkost“.

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