Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Im Namen des Islam
Nach der Hagia Sophia greift Erdogan nun auch nach dem Tempelberg in Jerusalem
Die Rückverwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee ist vielerorts auf heftige Kritik gestoßen. Dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der sich davon unbeeindruckt zeigt, ging es bei der Umwidmung nicht nur um die „Wiederauferstehung“eines islamischen Symbols. Er erklärte sie auch zum „Vorboten für die Befreiung“der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem.
Mit dem türkischen Terminus „Mescid-i Aksa“(arabisch: AlMasdschid Al-Aqsa) meinte Erdogan allerdings nicht nur die Moschee, sondern das gesamte Tempelberg-Plateau. Die Bezeichnung wird heute auch deshalb bevorzugt, weil sie im Koran im Zusammenhang mit Muhammads nächtlicher Reise von Mekka nach Jerusalem erwähnt ist. So soll den Muslimen stärker ins Bewusstsein gerufen werden, dass die Jerusalemer Stätte der drittheiligste Ort im Islam ist. Die konsequente Verwendung dieses Begriffs ist auch Teil einer globalen muslimischen Kampagne, die zum Schutz des Ortes vor israelischer Kontrolle aufruft. Auch türkische Islamisten sind daran beteiligt und werden dabei sowohl vom Staat als auch von ihm nahestehenden Stiftungen unterstützt. Der Ruf nach einer „Befreiung der Al-Aksa“ist in diesen Kreisen schon länger vernehmbar. Dass er nun vom türkischen Staatschef offen artikuliert wird, hat dieses Begehren zur offiziellen Staatsideologie erhoben.
Diese Linie vertritt auch Ali Erbas, seit September 2017 Präsident der türkischen Religionsbehörde Diyanet, dessen Twitter- und Facebook-Seite ein Foto vom Tempelberg-Areal schmückt. Es ist von Osten her, aus dem besetzten Teil der Stadt, aufgenommen, womit vermieden wird, dass die von den Juden frequentierte Klagemauer ins Bild rückt – eine Perspektive, die der islamistischen Leugnung des jüdischen Anspruchs auf den Tempelberg entspricht. Ali Erbas folgt damit dem Kurs seines Amtsvorgängers Mehmet Görmez, der seit seinem Ausscheiden weiter energisch für Al-Aksa agitiert. Görmez kann sich rühmen, im Mai 2015 in der Al-Aksa-Moschee eine flammende Predigt auf Arabisch gehalten zu haben, in der er seine palästinensischen Gastgeber für ihren „heiligen Krieg zur Verteidigung der gesegneten Al-Aksa-Moschee“pries. Die von ihm forcierte türkische Al-Aksa-Kampagne gewann deutlich an Schwung, als Erdogan nach der Anerkennung Gesamtjerusalems als Hauptstadt Israels durch die Trump-Regierung Ende 2017 alle Muslime aufrief, den Tempelberg zu besuchen. Tatsächlich reisten nun vermehrt türkische Pilgergruppen dorthin, die demonstrativ türkische Nationalfahnen und Plakate mit Erdogans Konterfei vor dem Felsendom hochhielten.
Die israelische Polizei reagierte prompt und untersagte den türkischen Touristen, auf dem Berg politische Symbole zu zeigen und den roten Fes, die osmanische Kopfbedeckung, zu tragen. Der Verbreitung des von Ankara verordneten NeoOsmanismus, der die türkische AlAksa-Kampagne auch dient, konnten diese Maßnahmen allerdings nicht Einhalt gebieten. So etwa bemüht sich der Istanbuler Verein „Mirasimiz“(Unser Erbe) um den „Schutz und die Erhaltung des osmanischen Erbes in und um Jerusalem“, worin Türken wie Palästinenser einen Akt des kulturellen Widerstands gegen die israelische Besatzung und die fortschreitende „Judaisierung“Ostjerusalems sehen. Mirasimiz fördert die Restaurierung islamischer Sakralbauten aus der osmanischen Ära Palästinas und wird dabei von der mächtigen türkischen staatlichen „Agentur für Zusammenarbeit und Koordination“finanziell und logistisch unterstützt.
Die Vereinszeitschrift „Minber-i Aksa“(Al-Aksa-Kanzel) lenkt kontinuierlich die Aufmerksamkeit auf das osmanische Erbe in Palästina, verklärt aber im Fall des Tempelbergs die dortigen Leistungen osmanischer Herrscher als Bauherren und Hüter der Heiligtümer. Dass die AlAksa-Moschee und der Felsendom in spätosmanischer Zeit stark vernachlässigt wurden, erfährt man hier aber nicht. Dafür wird, wie im jüngsten Heft von „Minber-i Aksa“, eingehend über die Restaurierungsarbeiten der Al-Aksa-Moschee in den Jahren 1922 bis 1925 berichtet, die der in Berlin ausgebildete türkische Architekt Mimar Kemaleddin mitleitete. Dass auch ägyptische und britische Experten an dem Projekt maßgeblich beteiligt waren, wird freilich ausgeklammert.
„Minber-i Aksa“nennt sich auch ein anderer Verein in Istanbul, der sich wie eine ganze Reihe weiterer einheimischer Initiativen bei der türkischen Al-Aksa-Kampagne hervortut. Für eine seiner einschlägigen internationalen Tagungen am Bosporus konnte er beispielsweise 2018 schon 400 islamische Rechtsgelehrte aus dem Ausland versammeln. Bei diesem Anlass beschwor der Istanbuler Mufti, Hasan Kamil Yilmaz, die Vision eines neuen Saladin, der das „usurpierte“Jerusalem bald befreien werde.
Der Mufti mag dabei an Erdogan gedacht haben, aber bislang haben sich Staatsbeamte und AKP-Funktionäre mit Erdogan-Saladin-Vergleichen zurückgehalten. Als der AKPPolitiker und Direktor der Kreisverwaltung Iznik (Provinz Bursa), Halil Ibrahim Gökbulut, vor der Wiedereröffnung der Hagia Sophia als Moschee Erdogans Al-Aksa-Parole zitierte und ihn als „Saladin der Umma“(Saladin der Gemeinschaft der Muslime) pries, hatte dies für die oppositionelle kemalistische Zeitung „Sözcü“Sensationswert. In den türkischen sozialen Medien allerdings ist die Saladin-Analogie unter AKPAnhängern weit verbreitet – ebenso das Kopfschütteln darüber bei ihren Gegnern.