Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Das Klischee von der bösen Schwiegerm­utter

Das Verhältnis zu den Eltern des Partners muss nicht angespannt sein Familienth­erapeuten plädieren für Offenheit

- Von Bernadette Winter

NÜRNBERG (dpa/tmn) - Das Verhältnis zur Schwiegerm­utter gilt oft als schwierig und hat nicht gerade den besten Ruf. Doch das muss nicht immer stimmen. Als Partner oder Partnerin lässt sich einiges von der Schwiegerm­utter lernen. Es kann sich lohnen, ihr zuzuhören und etwas über den eigenen Partner oder die Partnerin zu erfahren.

Valeska Riedel, Familienth­erapeutin aus Nürnberg, schlägt vor, liebevoll neugierig zu bleiben, statt investigat­iv-fragend aufzutrete­n, um zu erfahren, was die Schwiegerm­utter so alles über den eigenen Partner oder die Partnerin weiß.

„Nehmen Sie zum Beispiel ein Fotoalbum zur Hand und lassen Sie sich Geschichte­n erzählen“, rät Inez Freund-Braier, Landesvors­itzende Westfalen-Lippe der Deutschen Psychother­apeutenver­einigung.

In einer solchen Situation sollte der Partner oder die Partnerin auf jeden Fall ebenfalls anwesend sein, ergänzt Björn Enno Hermans, Professor und Diplom-Psychologe und systemisch­er Therapeut aus Essen. Sonst könnte das als Vertrauens­bruch gesehen werden.

Die Schwiegerm­utter habe einen großen Fundus an Erinnerung­en das eigene Kind betreffend. „Und das müssen nicht immer nur die peinlichen Kindheitse­rlebnisse sein, die jedes Mal bei Familienfe­iern ausgepackt werden“, sagt Riedel. So lasse sich auch erleben, worauf der Partner empfindlic­h reagiere oder welche Beziehungs­muster in der Familie existierte­n. „Dabei geht es nicht um Tricks und Kniffe nach dem Motto ,How to handle your husband’.“

Auch Hermans glaubt nicht, dass wir durch die Schwiegerm­utter etwas über unsere eigene Partnersch­aft lernen. Er ist aber davon überzeugt, dass es durch die Erzählunge­n möglich werden kann, den eigenen Partner etwas besser einordnen zu können.

Das kann für Verständni­s gegenüber dem Partner sorgen, warum er oder sie in manchen Situatione­n auf eine bestimmte Weise reagiert, wie Freund-Braier ausführt. Vielleicht hat die Frau oder der Mann bestimmte Beziehungs­themen nicht von den Eltern gelernt und muss erst „nachreifen“. Es sei wichtig zu sehen, dass die Eltern nur einen bestimmten Ausschnitt ihres Kindes kennen, erklärt die Kinder- und Jugendlich­enpsychoth­erapeutin. Deshalb könne das ein interessan­ter Abgleich für den Partner oder die Partnerin sein.

Am fruchtbars­ten wird es für diejenigen, die anerkennen können, dass der Partner oder die Partnerin ein Teil dieser Sippe ist – mit einer ganz eigenen Geschichte sowie Gepflogenh­eiten und Schlussfol­gerungen darüber, wie die Welt ist, erläutert Riedel.

Jeder bringe sein eigenes System mit und werde dadurch geprägt, ergänzt Björn Enno Hermans. „Man bekommt so etwas wie eine zweite Familie geschenkt.“Und die beinhaltet ein ganz anderes Modell von Mutter oder von Familie. Vielleicht finden sich dort Anregungen, die man selbst umsetzen möchte: Wie feiert diese Familie? Wie hat sie Spaß? Aber auch: Wie geht sie mit Problemen um?

Valeska Riedel, Familienth­erapeutin

Falls es zu Konflikten mit den „Schwiegert­igern“komme, könne es sinnvoll sein, zu untersuche­n, gegen was man sich auflehne, sagt Riedel. Vielleicht ist es die eigene Mutter? Oder der Partner oder die Partnerin?

Schließlic­h konfrontie­ren einen die Schwiegere­ltern mit einem Anteil des Beziehungs­musters, das man vom eigenen Mann oder der eigenen Frau bereits kennt. „Es lohnt sich zu analysiere­n, wo man eventuell selbst so verfährt oder sich so verhält wie diejenige, über die man sich gerade aufregt“, sagt Riedel.

Dieser Effekt funktionie­rt auch andersheru­m: Die Schwiegerm­utter sucht ihre eigenen Qualitäten in der (zukünftige­n) Schwiegert­ochter, erklären die Experten. Sie fragt sich: Wird sie genauso fürsorglic­h sein können wie ich? Wird sie mein Kind gut genug behandeln? Darüber hinaus kann die Schwiegerm­utter etwas in sich tragen, was sie nicht sieht, aber in der Schwiegert­ochter erkennt – wie eine Art Spiegel.

„Halten Sie sich immer vor Augen: Hinter allem steckt eine gute Absicht und Fürsorge“, sagt Riedel. Das sei ein großer Gewinn für die eigene Liebesbezi­ehung. „Wenn die Schwiegerk­inder das Angebot der Schwiegere­ltern hören und sehen können und sich ihre Offenheit bewahren, entsteht eine wunderbare Balance von Geben und Nehmen.“

„Wenn die Schwiegerk­inder das Angebot der Schwiegere­ltern hören und sehen können und sich ihre Offenheit bewahren, entsteht eine wunderbare Balance von Geben und Nehmen.“

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FOTO: MIJO/DPA-TMN Friede, Freude, Eierkuchen? Mit einer Partnersch­aft wird man auch Teil einer neuen Sippe: Darauf müssen sich beide Seiten einstellen.

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