Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Mindestens acht Tage auf Effekt warten“
Virologe Thomas Mertens erklärt, warum die Corona-Zahlen trotz Maßnahmen steigen
RAVENSBURG - Warum die CoronaZahlen trotz der Maßnahmen steigen und wie sich die Covid-19-Verläufe voneinander unterscheiden, erklärt Virologe Professor Thomas Mertens im Gespräch mit Daniel Hadrys.
Seit Montag gilt ein „Lockdown light“, dennoch vermeldete das RKI Rekordzahlen an Neuinfektionen. Wie ist das möglich?
Die an einem Tag festgestellten Neuinfizierten haben sich immer mindestens vier Tage zuvor infiziert (vier bis zehn Tage), anders gesagt der Kontakt, welcher zur Ansteckung führte, liegt immer einige Tage zurück. Auch eine Verminderung der Neuinfektionen durch die getroffenen Maßnahmen wird erst nach mehreren „Infektionszyklen“deutlicher. Wir müssen also mindestens zehn bis 14 Tage warten, um einen Effekt der Maßnahmen deutlich erkennen zu können.
Es gibt leichte, mittelschwere und schwere Covid-19-Verläufe. Wie unterscheiden diese sich voneinander?
Zunächst gibt es Menschen, die infiziert sind, aber keinerlei Krankheitszeichen haben. Die Anzahl solcher asymptomatischen Infektionen wird in verschiedenen Studien unterschiedlich angegeben. Das liegt auch daran, wie genau nach leichten Symptomen gefragt wurde. Man kann annehmen, dass circa ein Viertel aller Infizierten wirklich keine Symptome haben. Bei den leicht Erkrankten sind die Krankheitszeichen dann aber sehr individuell unterschiedlich und können fast alle Organsysteme (Herz, Hirn, Lunge, Nieren, Darm, Haut) betreffen. Fieber (45 Prozent), Müdigkeit und Husten (52 Prozent) sind sehr häufig. Es kommen auch Halsschmerzen und Schnupfen (22 Prozent) vor. Andere leicht Erkrankte haben Bindehautentzündungen, und wieder andere haben ähnlich wie bei einer Grippe Muskel- und Gelenkschmerzen. Bei manchen Erkrankten stehen wiederum Magen-Darm-Symptome auch mit Durchfall und Übelkeit im Vordergrund. Letztlich haben andere Infizierte auch als Erstes Atemprobleme und Zeichen einer beginnenden Lungenentzündung. Der Verlust der Riechfähigkeit und des Geschmacks sind auch häufig. Eine Forschergruppe aus Wien hat gefunden, dass diese Symptome sogar häufig in bestimmten Kombinationen auftreten. All dies würde man noch unter leichte Erkrankung zusammenfassen. In der zweiten Woche nach Beginn der Erkrankung entscheidet sich, ob es dabei bleibt. Mittelschwere Erkrankungen sind eigentlich immer mit Lungenentzündung und erhöhter Atemfrequenz verbunden (Zeichen des Sauerstoffmangels). Schnelle Atmung (mehr als 20 Atemzüge je Minute) ist ja leicht zu erkennen und sollte vor allem bei Risikopersonen als Alarmzeichen gewertet werden, wenn die Frequenz ansteigt. Meist erst acht bis 14 Tage nach dem Erkrankungsbeginn kann es dann zu sehr schwerem weiteren Verlauf kommen, mit Beatmungspflicht und schockartigem, sehr schwer zu behandelndem Krankheitsbild. In dieser letzten Gruppe ist leider die Wahrscheinlichkeit zu sterben sehr hoch.