Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Jetzt wird ermittelt im Fall des getöteten Baindters
Brasilianische Behörden und die Staatsanwaltschaft Ravensburg sind aktiv – Obduktionsbericht gibt Aufschlüsse
BAINDT/BELO HORIZONTE - Es kommt Bewegung in den Fall des in Brasilien getöteten Baindters. Wie eine Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“ergeben hat, ermitteln nun die brasilianischen Behörden, und auch die Staatsanwaltschaft Ravensburg ist aktiv. Wie die Erfolgsaussichten in diesem komplizierten Fall allerdings sind, ist ungewiss. Die Eltern von Kevin Gesualdi Doll hegen jetzt aber ein wenig Hoffnung und wollen weiterhin alles dafür tun, dass der Tod ihres Sohnes aufgeklärt wird. Auch der Obduktionsbericht nennt weitere Details zu den Todesumständen.
Wie berichtet, ist der 22-jährige Mann am späten Abend des 9. August vermutlich von einem Polizisten der Polícia Civil in der brasilianischen Metropole Belo Holizonte niedergestochen worden, wo der junge Baindter zuletzt lebte und Psychologie studierte. Im Treppenhaus seines mehrstöckigen Wohnhauses, in dem auch der Polizist wohnt, hatte es einen Zwischenfall gegeben, der auf einem Youtube-Video festgehalten ist. Danach blieb der junge Mann auf der Treppe liegen und verblutete. Die Tat selbst ist allerdings nicht zu sehen. Das Video lässt die Vermutung zu, dass der 22-Jährige einen anderen Mann angegriffen hat, weswegen schon von Notwehr die Rede war.
Doch für Vater Ralf Doll ist die Sache nicht so klar, wie es das Video erscheinen lässt. Er sagte im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“: „Dieses Video wurde wahrscheinlich vom Täter angefertigt und verbreitet. Es zeigt nur einen Teil der Geschichte. Die anderen Videoaufnahmen, die ich bei der Polizei im Beisein unseres Anwalts gesehen habe, sind unter Verschluss und werden nicht gezeigt.“Bisher hatten die brasilianischen Behörden nicht ermittelt. Doch das habe sich nun geändert, sagt Ralf Doll.
Der Vater hat einen Rechtsanwalt eingeschaltet, über den die Eltern auch an den Obduktionsbericht gekommen sind. „Darin ist festgehalten, dass Kevin mit neun Messerstichen getötet wurde – drei davon gingen ins Herz“, berichtet der Vater. Aus dem Bericht gehe auch hervor, dass der 22-Jährige keine Drogen im Blut hatte. „Das war uns sehr wichtig, weil viel Falsches über ihn geschrieben wurde und es wurden Dinge behauptet, die einfach nicht stimmen“, sagt der Vater. Brisant in diesem Zusammenhang: Bei einer Wohnungsdurchsuchung des Opfers hat die Polizei angeblich eine Box mit Drogen gefunden, die jedoch laut Angaben von Mutter Daniela Gesualdi Doll und ihrer Schwester am Tag zuvor noch nicht dort war. Allerdings sei im Obduktionsbericht auch von 0,4 Promille Alkohol im Blut von Kevin Gesualdi Doll die Rede, was aber nicht überrascht, da der junge Mann zuvor bei einer Feier war.
Aber nicht nur in Brasilien wird ermittelt, sondern auch in Deutschland. Vor drei Wochen seien die Eltern bei der Kriminalpolizei Ravensburg geladen gewesen. Bereits am
14. August hatte die Staatsanwaltschaft Ravensburg ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Totschlag eingeleitet. Wie Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl schildert, wurde die Staatsanwaltschaft über das Bundeskriminalamt, das Landeskriminalamt Baden-Württemberg und das Polizeipräsidium Ravensburg über den Fall informiert. Dem ging eine Mitteilung des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Rio de Janeiro vom
12. August voraus.
Denn wenn ein deutscher Staatsbürger im Ausland gewaltsam zu Tode kommt, werden auch die deutschen Strafverfolgungsbehörden aktiv. So landete der Fall schließlich in Ravensburg. „Wir wollen den Fall möglichst umfassend aufklären“, versichert Oberstaatsanwalt Diehl.
„Wir sind damit beschäftigt, die Medienberichte und die sozialen Medien auszuwerten, aber auch alle Unterlagen, an die wir gelangen können“, sagt Diehl. Dazu gehört zum Beispiel auch der Obduktionsbericht,
der über die Eltern zur Staatsanwaltschaft kam, oder der erste Polizeibericht aus Brasilien, der vom Generalkonsulat überlassen wurde. Alles muss vom Portugiesischen ins Deutsche übersetzt werden.
Allerdings gestaltet sich die Arbeit für die Strafverfolgung hier schwierig, weil sie nicht vor Ort aktiv sein kann. „Wir können zum Beispiel keine Tatortarbeit machen“, erklärt Diehl. Auch Zeugenvernehmungen kann es nur eingeschränkt geben. Und an gerichtsverwertbare Ermittlungsunterlagen aus Brasilien zu gelangen, gestalte sich auch schwierig, weil Deutschland kein Rechtshilfeabkommen in Strafsachen hat. Da bleibe nur der langwierige diplomatische Geschäftsweg über die Justizministerien. Die Erfolgsaussichten seien auch nicht sehr gut.
„Auf jeden Fall beobachten wir, zu welchem Ergebnis die brasilianischen Behörden kommen und gleichen das mit unseren ab“, erläutert der Oberstaatsanwalt das Vorgehen. Sollte die Staatsanwaltschaft Ravensburg
aber zum Schluss kommen, dass der Tatverdacht ausreichend begründet werden kann und Anklage erhoben wird, müsste der Verdächtige nach der deutschen Strafprozessordnung vorher angehört werden. Dazu Diehl: „Eine Ausschreibung eines Beschuldigten mit Haftbefehl zur Festnahme im Ausland (sofern dringender Tatverdacht begründet werden kann) ist in solchen Fällen zwar auch möglich. Sehr fraglich ist aber, ob eine Auslieferung tatsächlich Erfolg hätte, wenn es sich um einen Staatsangehörigen des eigenen Landes handelt und die eigenen Justizbehörden die Straftat nicht verfolgen. Auch hier wären die Erfolgsaussichten sicher gering.“
Die Eltern haben über den Weißen Ring in Ravensburg eine psychologische Betreuung bekommen, sie wollen weiterkämpfen. Die Mutter ist wieder nach Brasilien gereist, um vor Ort aktiv zu sein. Vater Ralf Doll: „Im Moment hoffen wir und versuchen alles zu tun. Das bringt uns unseren Sohn aber auch nicht zurück.“