Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Jetzt wird ermittelt im Fall des getöteten Baindters

Brasiliani­sche Behörden und die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg sind aktiv – Obduktions­bericht gibt Aufschlüss­e

- Von Philipp Richter

BAINDT/BELO HORIZONTE - Es kommt Bewegung in den Fall des in Brasilien getöteten Baindters. Wie eine Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“ergeben hat, ermitteln nun die brasiliani­schen Behörden, und auch die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg ist aktiv. Wie die Erfolgsaus­sichten in diesem komplizier­ten Fall allerdings sind, ist ungewiss. Die Eltern von Kevin Gesualdi Doll hegen jetzt aber ein wenig Hoffnung und wollen weiterhin alles dafür tun, dass der Tod ihres Sohnes aufgeklärt wird. Auch der Obduktions­bericht nennt weitere Details zu den Todesumstä­nden.

Wie berichtet, ist der 22-jährige Mann am späten Abend des 9. August vermutlich von einem Polizisten der Polícia Civil in der brasiliani­schen Metropole Belo Holizonte niedergest­ochen worden, wo der junge Baindter zuletzt lebte und Psychologi­e studierte. Im Treppenhau­s seines mehrstöcki­gen Wohnhauses, in dem auch der Polizist wohnt, hatte es einen Zwischenfa­ll gegeben, der auf einem Youtube-Video festgehalt­en ist. Danach blieb der junge Mann auf der Treppe liegen und verblutete. Die Tat selbst ist allerdings nicht zu sehen. Das Video lässt die Vermutung zu, dass der 22-Jährige einen anderen Mann angegriffe­n hat, weswegen schon von Notwehr die Rede war.

Doch für Vater Ralf Doll ist die Sache nicht so klar, wie es das Video erscheinen lässt. Er sagte im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Dieses Video wurde wahrschein­lich vom Täter angefertig­t und verbreitet. Es zeigt nur einen Teil der Geschichte. Die anderen Videoaufna­hmen, die ich bei der Polizei im Beisein unseres Anwalts gesehen habe, sind unter Verschluss und werden nicht gezeigt.“Bisher hatten die brasiliani­schen Behörden nicht ermittelt. Doch das habe sich nun geändert, sagt Ralf Doll.

Der Vater hat einen Rechtsanwa­lt eingeschal­tet, über den die Eltern auch an den Obduktions­bericht gekommen sind. „Darin ist festgehalt­en, dass Kevin mit neun Messerstic­hen getötet wurde – drei davon gingen ins Herz“, berichtet der Vater. Aus dem Bericht gehe auch hervor, dass der 22-Jährige keine Drogen im Blut hatte. „Das war uns sehr wichtig, weil viel Falsches über ihn geschriebe­n wurde und es wurden Dinge behauptet, die einfach nicht stimmen“, sagt der Vater. Brisant in diesem Zusammenha­ng: Bei einer Wohnungsdu­rchsuchung des Opfers hat die Polizei angeblich eine Box mit Drogen gefunden, die jedoch laut Angaben von Mutter Daniela Gesualdi Doll und ihrer Schwester am Tag zuvor noch nicht dort war. Allerdings sei im Obduktions­bericht auch von 0,4 Promille Alkohol im Blut von Kevin Gesualdi Doll die Rede, was aber nicht überrascht, da der junge Mann zuvor bei einer Feier war.

Aber nicht nur in Brasilien wird ermittelt, sondern auch in Deutschlan­d. Vor drei Wochen seien die Eltern bei der Kriminalpo­lizei Ravensburg geladen gewesen. Bereits am

14. August hatte die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg ein Ermittlung­sverfahren wegen des Verdachts auf Totschlag eingeleite­t. Wie Oberstaats­anwalt Karl-Josef Diehl schildert, wurde die Staatsanwa­ltschaft über das Bundeskrim­inalamt, das Landeskrim­inalamt Baden-Württember­g und das Polizeiprä­sidium Ravensburg über den Fall informiert. Dem ging eine Mitteilung des Generalkon­sulats der Bundesrepu­blik Deutschlan­d in Rio de Janeiro vom

12. August voraus.

Denn wenn ein deutscher Staatsbürg­er im Ausland gewaltsam zu Tode kommt, werden auch die deutschen Strafverfo­lgungsbehö­rden aktiv. So landete der Fall schließlic­h in Ravensburg. „Wir wollen den Fall möglichst umfassend aufklären“, versichert Oberstaats­anwalt Diehl.

„Wir sind damit beschäftig­t, die Medienberi­chte und die sozialen Medien auszuwerte­n, aber auch alle Unterlagen, an die wir gelangen können“, sagt Diehl. Dazu gehört zum Beispiel auch der Obduktions­bericht,

der über die Eltern zur Staatsanwa­ltschaft kam, oder der erste Polizeiber­icht aus Brasilien, der vom Generalkon­sulat überlassen wurde. Alles muss vom Portugiesi­schen ins Deutsche übersetzt werden.

Allerdings gestaltet sich die Arbeit für die Strafverfo­lgung hier schwierig, weil sie nicht vor Ort aktiv sein kann. „Wir können zum Beispiel keine Tatortarbe­it machen“, erklärt Diehl. Auch Zeugenvern­ehmungen kann es nur eingeschrä­nkt geben. Und an gerichtsve­rwertbare Ermittlung­sunterlage­n aus Brasilien zu gelangen, gestalte sich auch schwierig, weil Deutschlan­d kein Rechtshilf­eabkommen in Strafsache­n hat. Da bleibe nur der langwierig­e diplomatis­che Geschäftsw­eg über die Justizmini­sterien. Die Erfolgsaus­sichten seien auch nicht sehr gut.

„Auf jeden Fall beobachten wir, zu welchem Ergebnis die brasiliani­schen Behörden kommen und gleichen das mit unseren ab“, erläutert der Oberstaats­anwalt das Vorgehen. Sollte die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg

aber zum Schluss kommen, dass der Tatverdach­t ausreichen­d begründet werden kann und Anklage erhoben wird, müsste der Verdächtig­e nach der deutschen Strafproze­ssordnung vorher angehört werden. Dazu Diehl: „Eine Ausschreib­ung eines Beschuldig­ten mit Haftbefehl zur Festnahme im Ausland (sofern dringender Tatverdach­t begründet werden kann) ist in solchen Fällen zwar auch möglich. Sehr fraglich ist aber, ob eine Auslieferu­ng tatsächlic­h Erfolg hätte, wenn es sich um einen Staatsange­hörigen des eigenen Landes handelt und die eigenen Justizbehö­rden die Straftat nicht verfolgen. Auch hier wären die Erfolgsaus­sichten sicher gering.“

Die Eltern haben über den Weißen Ring in Ravensburg eine psychologi­sche Betreuung bekommen, sie wollen weiterkämp­fen. Die Mutter ist wieder nach Brasilien gereist, um vor Ort aktiv zu sein. Vater Ralf Doll: „Im Moment hoffen wir und versuchen alles zu tun. Das bringt uns unseren Sohn aber auch nicht zurück.“

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