Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Die Wahlergebnisse sind trügerisch
Die SPD kann digital. Beim Landesparteitag saßen die Delegierten allein zu Hause statt gemeinsam in einer Halle. Diese neuar- tige Kombination aus Onlineberatung und Vorstandswahlen an 20 im Land verteilten Wahlurnen hat funktioniert. Es muss aber die Ausnahme bleiben.
Parteitage sind nämlich mehr als Abstimmungen und inhaltliche Beratungen. Sie sind Marktplätze des Meinungsaustauschs und ein Gradmesser für den Zustand einer Partei. Wer bekommt wie viel Applaus nach einer Rede? Wer steht mit wem am Rand und tuschelt? Keine dieser Fragen beantwortet ein virtueller Parteitag. Auch die extrem hohe Zustimmung bei den Vorstandswahlen bietet kein ehrliches Abbild – dieses Signal der Geschlossenheit war schlicht notwendig so kurz vor der Landtagswahl.
Die selbsternannte Partei der Solidarität war im Südwesten lange vor allem von Streit zwischen Flügeln und Egoismen geprägt. Einer Partei, die in Umfragen an der Einstelligkeit knabbert, wäre zu wünschen, dass sie den Gegner nicht länger im eigenen Lager sieht. Ob Landeschef Andreas Stoch und Generalsekretär Sascha Binder tatsächlich geschafft haben, die Flügel der Partei aus ihren Schützengräben herauszuholen, wird sich erst nach der Wahl im März zeigen. Sollten die Ergebnisse schlecht sein, drohen Heckenschützen alte Kämpfe wieder anzufachen. Dann waren die Genossen nur vorübergehend geschlossen.
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Und falls eine solche Wiederauflage der Regierung von 2011 bis 2016 an zu wenigen Stimmen scheitern sollte, könnte noch die FDP mit ins Boot geholt werden. Stochs Liebäugeln mit der Wasserstofftechnologie fürs Auto ist ein klares Augenzwinkern Richtung FDP, denn diese Technologie haben sich die Liberalen wie keine andere Partei auf die Fahnen geschrieben.
Was sich im Land ändern soll, hat die Partei im Wahlprogramm verankert. Es sollte schlank und prägnant sein. Das 44-seitige Ergebnis ist nun doch ausführlicher und zum Teil schwammiger geworden, als sich mancher Genosse gewünscht hätte. Den Fokus legt die Partei zu Beginn auf fünf Kernthemen: Arbeit, Bildung, Gesundheit, Wohnen und Klimaschutz. Die SPD hatte versucht, landesweit die Kita-Gebühren über einen Volksantrag abzuschaffen. Das Innenministerin hatte den Antrag abgelehnt, das Landesverfassungsgericht hat diese Entscheidung bestätigt. „Lasst uns die Landtagswahl im nächsten Jahr zu einer Volksabstimmung über gebührenfreie Kitas machen“, wirbt Stoch nun.
Das härteste Ringen gibt es indes um den Klimaschutz. Die Jusos pochen darauf, ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr neu zuzulassen. Juso-Chefin Lara Herter lobt das Bekenntnis im Wahlprogramm, die Erderhitzung unter 1,5 Grad Celsius zu halten. „Die Maßnahmen darin reichen aber nicht“, sagt sie. IG-MetallLandeschef und SPD-Mitglied Roman Zitzelsberger lehnt die Forderung als zu radikal ab. „Ich will mir nicht vorstellen, wie wir als SPD auf den Marktplätzen stehen und versuchen zu erklären, warum eine Technologie, die wir brauchen, verschwinden soll“, sagt er etwa über Plug-inHybride. „Wir müssen die Mobilitätswende als Teil der Energiewende hinbekommen, sonst sind viele Arbeitsplätze weg und Elektroautos werden mit Kohlestrom aus der Lausitz betrieben.“Zwei Drittel der Delegierten lehnen schließlich den Vorstoß der Jusos ab.
Und dann müssen die Delegierten doch noch aufs Fahrrad oder ins Auto steigen, um den Landesvorstand neu zu wählen. 20 Wahlurnen hat die Partei dafür im Südwesten verteilt. Eine digitale Wahl hätte gegen das Parteiengesetz, konkret gegen die Geheimhaltung bei solchen Wahlen, verstoßen. Mit ihren Zustimmungswerten können die Gewählten zufrieden sein. Andreas Stoch bleibt mit knapp 95 Prozent der Stimmen Landesvorsitzender. Seine Stellvertreter bleiben Jasmina Hostert (86,5 Prozent), Parsa Marvi (81,3 Prozent) und Dorothea Kliche-Behnke (89,3 Prozent). Gabi Rolland war nicht mehr angetreten. Für sie rückt Rita Schwarzelühr-Sutter nach (83 Prozent). Schatzmeister bleibt Karl-Ulrich Templ (94 Prozent). Sascha Binder, der als Generalsekretär die Wahlkämpfe der Partei im nächsten Jahr organisiert, ist mit 84,8 Prozent bestätigt. 13 Bewerber um die 20 Beisitzer-Plätze haben sich im ersten Wahlgang bereits durchgesetzt – darunter IG-Metall-Landeschef Roman Zitzelsberger, der Ex-Juso-Vorsitzende Pavlos Wacker und als einzige Bewerberin aus der Region Ariane Bergerhoff vom Kreisverband Ostalb. Alle anderen Bewerber müssen sich einem zweiten Wahlgang stellen. Dieser folgt per Briefwahl.